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SCHACH-SPHINX/05559: Nie versiegendes Füllhorn (SB)


Der arabische Anekdotenschatz ist ein nie versiegendes Füllhorn, und heute just wollen wir nachsehen, welche Geschichte über das Schachspiel aus ihm herauspurzelt. Ein angesehener Mann zu sein in diesem Lande bedeutete, mit strenger Hand Selbstzucht zu üben, denn Intrigen und verstohlene Feindseligkeiten vergifteten allerorten die Luft. Um sich gegen seine Neider zu behaupten, machte es sich ein Wesir zu eigen, sich in allen Dingen geistiger Fertigkeit eigenhändig zum Meister auszubilden. Dabei mußte er viele Tugenden über Bord werfen und Laster und viel Unschickliches in sein Haus holen. Der Erfolg gab ihm jedoch recht. Binnen eines Jahres übertraf er all seine Zeitgenossen in den vier kardinalen Disziplinen, die unerläßlich waren, wenn man sich im Labyrinth der Macht nicht verirren wollte, nämlich: Reichtum, Geiz, Hochmut und die Schreibkunst. Wie einen solchen Menschen wieder aus dem Steigbügel stoßen? fragten sich seine Gegner. Ihn zu einer Schandtat zu verführen, um ihn in den Augen des Herrschers herabzusetzen, fehlten die Anreize. Alles, was sich erträumen ließ, besaß er bereits. Da kam einer der Verschwörer auf eine famose Idee und machte ihm tags darauf ein kostbares Geschenk: ein Schachspiel aus Elfenbein, verziert mit seltenen Edelsteinen. Auch einen nubischen Sklaven schenkte er ihm, und ebendieser war zu seinen freien Zeiten ein wahrer Meister der Schachkunst gewesen. Wie zu erwarten, maß sich der unliebsame Wesir Nacht für Nacht mit seinem Sklaven in der edlen Kunst und vergaß darüber seine Tagesgeschäfte und Verpflichtungen. Sein Stolz konnte es nicht verwinden, daß irgendein hergelaufener Sklave ihm beim Schachspiel, darin er sich rasch vernarrte, so sternenfern voraus war. Als dem Herrscher zu Ohren kam, daß sein Wesir all die Tage und Nächte auf nichts anderes mehr sinnen konnte als darauf, auf ein elfenbeinenes Brett zu starren, schickte er ihn kurzerhand in die Verbannung, zu einem trostlosen Bezirk seines großen Reichs, wo er nach wenigen Jahren gramgebeugt starb. Einer seiner wenigen Freunde schrieb nach seinem Tode: "Bevor er ins Unglück stürzte, hatte er sich in die Gewohnheit verloren, Schach zu spielen." So schlimm ist es bei Artur Jussupow noch nicht, und dennoch zählt er zu den versiertesten Meistern der Jetztzeit. Im heutigen Rätsel der Sphinx bekam dies inbesondere der Hamburger Hannu Wegner zu spüren. Nun, Wanderer, nach soviel arabischen Nächten, wie siegte Jussupow mit den weißen Steinen?



SCHACH-SPHINX/05559: Nie versiegendes Füllhorn (SB)

Jussupow - Wegner
Bundesliga 1991

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das spanische Gefecht endete nach 1...Dd7-e7! remislich, denn Halprin fiel nichts Besseres ein, als nach 2.Lh6xg7 Kg8xg7 - 2...De7xg7? 3.Dh5- e8+ nebst Matt - 3.Tf3-g3+ Kg7-f8 4.Tg3-f3+ Kf8-g8 ins Dauerschach einzulenken. Keinen Erfolg hätte er auch nach 2.Tf3-g3 Lc8-e6! 3.Lh6xg7 De7xg7 4.Dh5xe5 Le6-g4 gehabt. Der von Pillsbury gefundene Damenzug deckte das lebenswichtige Feld g5 ab.


Erstveröffentlichung am 27. August 2002

07. August 2015


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