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SCHACH-SPHINX/05505: Metaphysische Verzückung (SB)


An Aktualität hat der Ausspruch des Friedensnobelpreisträgers von 1922, Fridtjof Nansen, nichts eingebüßt, der angesichts der sich verselbständigenden Sportentwicklung ins Grübeln kam und sich fragte: "Sollte es nicht die Aufgabe der Leibesübung sein, Körper und Geist zu bilden, statt vernunftbegabte Menschen in Rennpferde und Muskelmaschinen zu verwandeln?" Und wie steht es mit Schachspielern, die zu Denkmaschinen mutieren? Vom schwärmerischen Blick für die multiplen Bytes-Universen verblendet, scheinen sich gewisse Zeitgeister den Computern in geradezu bedenklicher Weise verschrieben zu haben. Wie Surfer, die sich von Wellen tragen und berauschen lassen, so versteigen sich die Computeristen unter den Schachspielern darin, sich von der unendlichen Vielfalt digitalisierter Zugmöglichkeiten Stunde für Stunde, Tag und Nacht, in eine abstrakte Datenwelt entführen zu lassen. Der Blick verliert sich in der Blässe des Virtuellen, wird durchsichtig, lebensmatt. In der myriadenfachen Ausuferung astronomisch schneller Rechenoperationen wird das Schachspiel selbst nur noch zum Mittel für einen absurden Zweck. Im Kern scheint hier der Geist an der fanatischen Suche nach der letzten Daseinsbegründung des Lebens erkrankt zu sein. Was Philosophen in Gedanken zu bewältigen hofften, die Computergeneration von heute bedient sich in der Klärung dieser Frage eines technischen Hilfsmittels. Metaphysische Verzückung - was kommt hinter der letzten Krümmung des Raums? So nützlich Schachprogramme in den Händen versierter Berufsspieler sein können, so giftig erweisen sie sich in ihrer Funktion als Ersatz und Beruhigung gegen die galoppierenden Zukunftsängste unserer Zeit. Tatmensch oder Träumer, nach innen gekehrt, melancholisch, eine tragische Shakespeare-Gestalt oder tief im Willen verwurzelte lebensbejahende Lust - ist da wirklich eine Wahl vonnöten? Jedenfalls hatte der Kölner Meister Johannes Eising seine Wahl längst getroffen, als er mit den schwarzen Steinen einen der Großmeister, nämlich den Russen Lew Polugajewksi, von dessen abstrakter Remishoffnung kurierte. Wie brach er die Tore zum Mattsieg im heutigen Rätsel der Sphinx auf, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05505: Metaphysische Verzückung (SB)

Polugajewski - Eising
Solingen 1974

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ein wenig schöner und effektiver hätte die 16jährige Caroline Claus die Partie mit 1.Sb4xa6! gewinnen können, denn nach 1...b7xa6 2.Lf1xa6+ nebst 3.Le3-b6 oder 1...Dc7-d8 2.Le3-b6 hätte es für die gegnerische Dame kein Entkommen gegeben. Aber auch ihr Einfall hatte etwas für sich, denn 1.Le3-b6 2.Dc7-b8 Sb4xa6 3.Db8-a8 Sa6-c7 sieht alles in allem recht hübsch aus.


Erstveröffentlichung am 05. Juli 2002

14. Juni 2015


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