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SCHACH-SPHINX/05429: Kavaliere und andere Ritter der Höflichkeit (SB)


Bei Turnieren, die im großen Stil veranstaltet werden, gehört es zuweilen zum guten Ton, daß ein prominentes Mitglied der Stadtgemeinschaft aus Wirtschaft, Politik oder Kultur den ersten Zug der ersten Turnierpartie ganz nach Belieben ausführen darf. Diese nette Geste wird zwar nicht allerorten und heutzutage seltener als früher gepflegt, doch 1984 bei den Commonwealth-Meisterschaften in Hongkong durfte eine der Berühmtheiten der Stadt für den kanadischen Großmeister Igor Ivanov den Eröffnungszug machen. Nun war die Gnädigste auf dem Gebiet der Schachtheorie alles andere als bewandert und auch wenig vertraut mit den Eröffnungsvorlieben von Ivanow, und so zog sie frei nach Gusto den Bauern vor der Dame einen Schritt nach vorne. Das Weibliche fühlt sich eben vom Weiblichen angezogen. Natürlich war der Zug 1.d2-d3 partieunüblich, weswegen Ivanows Gegner auch vorschlug, ihn im stillen rückgängig zu machen, damit der Kanadier seinen Lieblingszug ausführen konnte. Doch Ivanow, ganz Kavalier und Ritter der alten Schule, zeigte sich gar nicht voreingenommen, ließ den Bauern stehen, wo er von der reizenden Dame hingestellt wurde, und siehe da, er gewann die Partie im glänzenden Stil. Nicht ohne Stilmittel besiegte auch der Profi-Weltmeister Garry Kasparow mit den schwarzen Steinen seine junge Gegnerin Judit Polgar - trotzdem er gegen die auf dem Brett heißblütig spielende ungarische Großmeisterin die Qualität eingebüßt hatte. Es zeigte sich jedoch, daß Kasparows Freibauer den materiellen Nachteil mehr als wettmachte. Kannst du das heutige Rätsel der Sphinx knacken, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05429: Kavaliere und andere Ritter der Höflichkeit (SB)

J.Polgar - Kasparow
Linares 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Obwohl Vietnam mit Sicherheit nicht zu den führenden Schachnationen der Welt zählt, hatte es in Meister Dao Thien Hai einen würdigen Vertreter der Schachgilde. Er gewann nicht nur das Turnier in Münster, auch in seiner Partie gegen Stefan Kindermann brillierte er mit einer feinen Figurenführung, indem er mit 1.h2-h3! die Jagd auf den schwarzen König eröffnete. Nun ging 1...Tg4-h4 oder 1...Tg4-a4 wegen 2.Tf1-g1+ nicht an, doch auch Kindermanns Zug 1...Tg4-g3 rettete ihn vor dem Verlust nicht. Meister Dao zog nämlich einfach 2.Tf7-g7+ und Schwarz gab auf.


Erstveröffentlichung am 20. April 2002

30. März 2015


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