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SCHACH-SPHINX/05356: Staubkorn in der Ewigkeit (SB)


Die Perser gaben dem Schach den wenig rühmlichen Beinamen "Spiel der tausend Qualen". Daß dies aus dem Munde eines sich selbst geißelnden Volkes durchaus als Lob verstanden werden darf, sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Der stets an den Grenzen sich entlangbewegende Ritt der Gedanken fordert von einem Schachspieler ein hohes Maß an Konzentration und Willensstärke. Wer nicht bereit ist, seine eigenen Schwächen schonungslos durch dieses Fegefeuer zu scheuchen, der sollte das Schachspiel nur zum Zeitvertreib wählen oder sich mit dem beschaulicheren Kartenspiel anfreunden. Es ist nicht nur die Eitelkeit, die bei einer Niederlage verletzt wird. Tief im Inneren macht der Schachspieler eine wesensfremde Erfahrung. Er kommt einem Bereich seines Denkens nahe, der hinter vielen Schleiern und Tabugesetzen versteckt gehalten wird. Er erfährt sich nämlich als Staubkorn in einem Meer gräßlichen Vergessens. "Wer hier hinab will, wie schnell schluckt den die Tiefe", schrieb der streitbare Philosoph Friedrich Nietzsche. Ein Staubkorn in der Ewigkeit - dies nicht nur im Abstrakten, sondern bis in die letzte Faser seines Leibes begriffen zu haben, hat einigen Meistern in der Geschichte in der Tat Herz und Verstand geraubt, eine leere Hülle zurückgelassen. Aber niemand braucht sich davor zu fürchten, denn der erste Schritt in diese Gefilde heißt Freiwilligkeit. Nichts kann einen Menschen zwingen, den Rand des Abgrunds zu umschreiten. So intim, so zerreißend echt ist diese Erfahrung, daß sie nur in Anspielungen, schweigenden Worten, leis' durchflüstert an die Ohren der staunenden Welt gelangt. Im Mythos heißt dieser kurze Blick in den Abgrund: "Das Lächeln der Medusa". So, Wanderer, nach diesen schauerlichen Sümpfen und Tabufeldern des Geistes wieder zurück zum herzgewinnenden Alltagsschach. Der deutsche Großmeister Eric Lobron hielt im heutigen Rätsel der Sphinx ein scharfes Mattschwert in Händen, als er sich aufmachte, dem schwarzen König vom Brett zu fegen.



SCHACH-SPHINX/05356: Staubkorn in der Ewigkeit (SB)

Lobron - Hodgson
London 1993

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Mürrisch stand der dänische Großmeister nach dem 'erlittenen Remis' vom Stuhl auf. Meister Taimanow hatte sich noch einmal aus seinem Klammergriff befreien können, und zwar mit 1.Th8-g8+ Kg5-h6 2.Sd3-e5!! - ein prächtiges Damenopfer - 2...Df5xc2 3.Se5xg4+ Kh6-h7 4.Sg4-f6+ Kh7-h6 5.Sf6-g4+ Kh6-h5 6.Sg4-f6+ Kh5-h6 - natürlich nicht 6...Kh5- h4?? 7.Tg8-g4# - 7.Sf6-g4+ und Remis mit ewigem Schach.


Erstveröffentlichung am 11. Februar 2002

16. Januar 2015





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