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SCHACH-SPHINX/05309: Geschichtsdilettantismus (SB)


Über die Entstehung des Schachspiels ist in den letzten Jahrhunderten viel Unsinn zusammenfabuliert worden. Die Autoren kamen, sahen und flunkerten das Blaue nur so vom Himmel herunter. So schrieb der Dominicaner Jacobus Cessoles zwischen 1250-1275: "Zur Zeit des Königs Evilmerodach von Babylon, eines ausschweifenden, ungerechten und grausamen Menschen, der die Leiche seines Vaters, Nebucadnezar, in 300 Stücke teilte und 300 Geiern zum Verschlingen vorwarf, ward das Schachspiel erfunden. Der Erfinder dieses neuen Spieles war ein orientalischer Philosoph, Xerxes bei den Chaldäern genannt, Philometer bei den Griechen, was so viel bedeutet wie Freund des Maßes oder der Gerechtigkeit." Nichts von alledem ist historisch verbürgt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Aus Unkenntnis der historischen Schriften hatten sich viele Autoren aus den Fingern gesogen, was an Aberwitz und Geschichtsdilettantismus nur denkbar war. So behauptete der englische Schachforscher James Christie 1801: "In der grauen Vorzeit haben die Skythischen Hirten das Spiel erfunden, im Laufe der Zeit wurde es dem Palamedes überliefert." Besonnene und kritische Köpfe wie van der Linde und Forbes deckten diese Haltlosigkeiten bei ihrem Studium der Altquellen lückenlos auf. Letzterer schrieb zu den Behauptungen Christies: "All this is sheer imagination." Es hat schon etwas Belustigendes an sich, mit welcher Fabulierlust gewisse Freunde des Schachspiels sich ihre eigenen Mythen erfanden, um die wurzeldunkle Herkunft des Königlichen Spiels ans Tageslicht zu zerren. Einer Selbsttäuschung ganz besonderer Art unterlag auch Meister Hans Ree bei der Holländischen Meisterschaft von 1971, als er seine Stellung sicher wähnte. Sein Kontrahent Jan Hein Donner war's, der ihn im heutigen Rätsel der Sphinx mit den weißen Steinen von seinem Irrtum befreite, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05309: Geschichtsdilettantismus (SB)

Donner - Ree
Holland 1971

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Um ein Haar und Meister Wladimirow hätte seinen fehlerhaften Zug 1.Lb5- d7+? dreimal hintereinander wiederholt, was zwangsläufig zu einem Remis geführt hätte, aber nach 1...Ke6-e7 2.Ld7-b5+ Ke7-e6? 3.Lb5-d7+? Ke6-e7 4.Ld7-b5+ Ke7-e6? fand er endlich den Siegeszug 5.Tc7-g7!, womit das Mattnetz um den schwarzen König geschlossen wurde. Gegen die Drohung 6.Lb5-d7# halfen auch die Racheschachs gegen den weißen König nichts.


Erstveröffentlichung am 29. Dezember 2001

30. November 2014





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