Schattenblick →INFOPOOL →SCHACH UND SPIELE → SCHACH

SCHACH-SPHINX/04716: Grammatik des Herzens (SB)


Einblick zu nehmen in die Seele eines Menschen, sein Innenleben, darin die Achse der äußeren Welt im verkleinerten Maßstab mit all den persönlichen Ordnungen und Prioritäten kreist, ausfindig zu machen, war schon seit jeher ein bewegender Wunsch. Nicht immer waren es berufständische Interessen, die sich dieses Ziel gesetzt hatten, wie zum Beispiel die Priester und Psychologen. Die Absicht, im anderen den Mechanismus des eigenen Lebens zu erkennen, ist allgemeiner Teil des menschlichen Gemüts. Da man nur über Äußerlichkeiten ins Wesen eines Menschen vordringen kann, wurde jedes Handeln und jede Vorliebe zu Rate gezogen. Beim Schachspiel ist es die Partie, von der man sich Antworten über den Charakter des Spielenden erhofft. Schon 1835 schrieb daher der polnische Autor eines Schachbuchs namens Karol Krupski: "An den Taten des Menschen erkennt man seinen Charakter, seine geistigen Fähigkeiten und seine Leidenschaften. Da man aber nicht immer Zeuge seines Tuns sein kann, wollen die einen seine seelischen Eigenschaften aus seinen Gesichtszügen, aus der Schädelform, andere sogar aus seiner Handschrift erraten. Unserer Ansicht nach kann man, da beim Schachspiel Verstand und Wille überaus wirksam sind, über die Eigenschaften eines Menschen aus seinem Spiel viel treffendere Schlüsse ziehen als aus sämtlichen anthropologischen und graphologischen Studien. Jedes Spiel, insbesondere aber das Schachspiel, ist eine sprechende Grammatik des Menschenherzens." Ein rührender Gedanke, aber wer kann schon wissen, wie tief ein Mensch graben müßte, um auf das Wesentliche des anderen Menschen zu stoßen. Im heutigen Rätsel der Sphinx mußte der holländische Großmeister Jan Timman jedenfalls nicht lange überlegen, bis er den Gewinnweg für Weiß fand. Also, Wanderer, hast du schon einmal in die Seele einer Schachpartie geblickt?



SCHACH-SPHINX/04716: Grammatik des Herzens (SB)

Timman - Quinteros
Amsterdam 1973

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der Zug 1.Sc3-d5? verriet den Dilettanten, denn nach 1...g7-g5! wurde dem weißen Gaul die einzige Möglichkeit eines Rückzugs genommen, so daß er verlorenging und damit die Partie.


Erstveröffentlichung am 22. Februar 2001

16. April 2013





Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang