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SCHACH-SPHINX/04524: Trunkener Ire (SB)


James Mason war ein wunderlicher Ire. Sein Talent im Schachspiel war unbestreitbar, unbezweifelbar war jedoch auch seine andere Leidenschaft, die zum Trinken. Sein Geld verdiente er als Journalist, ehe er Irland den Rücken kehrte, ein Land, das seine Menschen in den schweren Zeiten der Hungersnöte nicht mehr ernähren konnte. Nach Amerika emigrierend, ließ das Heimweh ihn jedoch nicht los. So kehrte er ins britische Empire zurück, ließ sich in England nieder, trank, spielte - manche nennen dies irisch. Auf dem Brett vollbrachte er zuweilen große Taten, kühn im Angriff, geistreich in der Verteidigung, allein sein Hang zur Flasche ließ ihn viele Partie unter Niveau verlieren. Eines zeichnete ihn jedoch aus, nämlich daß er nie gegen eine andere kapriziöse Erscheinung der Turnierwelt verlor. Auch David Janowski war an die Leidenschaften gefesselt. Das Glücksspiel war der lange Faden, den er nicht zerreißen konnte, vielleicht auch nicht wollte. Die Trunkenheit Masons und die Spielversessenheit Janowskis, wie ging es an, daß der Whiskey stets über Fortunas Laune siegte? In Monte Carlo 1902 führten beider Wege wieder zusammen, doch dazu mußte Freundeshand aushelfen. Mason war nämlich zur Partie nicht erschienen, und alle Welt wußte, daß er irgendwo seinen Rausch ausschlief. Nun hatte Janowskis arrogante Art, auf andere herabzublicken und sie wegen simpler Kleinigkeiten zu schmähen, ihm nicht gerade Kameraden beschert. Die Rotte der von ihm Beleidigten machte sich also auf die Suche nach Mason, der das Werkzeug ihrer Rache werden sollte, und tatsächlich, auf einer Parkbank fanden sie schließlich den trunkenen Iren, schnarchend, den Geist in Wein und Schnaps aufgeweicht. Nur mit Mühe brachten sie ihn auf die Beine und weckten insoweit seine Lebensgeister, daß er mit einem Auge die Welt erkennen konnte, während das andere noch schlief. Trotzdem saß Mason rechtzeitig vor Ablauf der Bedenkzeit vor dem Brett. Zwischen Einnicken und halbwachen Zuständen glückte ihm ein weiteres Mal ein Sieg über den eitlen Gecken in Janowski, der den Saal wutentbrannt nach seiner Niederlage verließ. Mason hingegen sackte in sich zusammen und träumte von einem Irland, das nirgends auf der Weltkarte zu finden war. Also, Wanderer, nach dieser langen Erzählung auf zum heutigen Rätsel der Sphinx. Mason fand mit den weißen Steinen eine famose Abwicklung in ein Endspiel, das seinen Gefährten in der Rache gegen Janowski das Herz erwärmte!



SCHACH-SPHINX/04524: Trunkener Ire (SB)

Mason - Janowski
Monte Carlo 1902

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der weiße Bauer rückte vor und trieb den Schwarzen aufs Schafott: 1.e5- e6! Td7xg7 2.Sf5xg7 Tg8xg7 und nun ließ es sich der Turm nicht nehmen, der schwarzen Partie den Rest zu geben: 3.Td1xd5! c6xd5 4.Tf1-f8+ Kc8- c7 5.Tf8-f7+


Erstveröffentlichung am 22. Dezember 2000

05. Oktober 2012





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