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MELDUNG/102: Aktuelle Meldungen zum Hungerstreik kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten (Civaka Azad)


Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. - 29. März 2019

Hungerstreik kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten

Aktuelle Entwicklungen


Der Hungerstreik kurdischer Aktivistinnen und Aktivisten aus Protest gegen die Isolationsbedingungen des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan dauert weiter an. Seit drei Tagen warten die Familienangehörige der hungerstreikenden Gefangenen in der türkischen Hauptstadt Ankara vergeblich auf eine positive Rückmeldung für ihre Gesprächsanfrage an den Justizminister Abdülhamit Gül. Zusammen mit dem Co-Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins IHD (İnsan Hakları Derneği) haben die Familienangehörigen im IHD-Zentrum eine Presseerklärung abgegeben. In seinem Appell an die Öffentlichkeit und die politischen Verantwortlichen erklärte Türkdoğan unter anderem: "Die Familien befinden sich seit drei Tagen hier. Nach den Kommunalwahlen werden noch mehr Familienangehörigen nach Ankara kommen bis das Problem gelöst ist. Das Justizministerium muss sofort Verantwortung zur Lösung des Problems übernehmen. Die Familien sind entschlossen und möchten nicht, dass ihre Kinder in den Gefängnissen zu Schaden kommen. Das einzige, was in dieser Situation zu machen ist, ist die Isolation mit sofortiger Wirkung aufzuheben."

Der Umgang des türkischen Staates mit Abdullah Öcalan ist weiterhin ein Spiegelbild für seine Politik gegenüber der kurdischen Bevölkerung. Bevor die Friedensgespräche zwischen Herrn Öcalan und Vertretern des türkischen Staates Ende Juli 2015 endgültig für beendet erklärt wurden, setzte die AKP bereits im April 2015 auf die erneute Totalisolation Öcalans. Auf die Isolationshaft seit dem 5. April 2015 folgte ein umfassender Krieg des türkischen Staates in den Städten Nordkurdistans. Nicht nur für die kurdische Bevölkerung bedeutete das Ende der Friedensphase von 2013 bis 2015 eine Eskalation des Konflikts, jegliche andersdenken Menschen wurden zur Zielscheibe der autoritären Regierung.

2200 Akademiker haben 2016 in der Türkei eine Petition für den Frieden unter dem Motto: "Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein" unterzeichnet, die sich gegen die Menschenrechtsverletzungen in den kurdischen Regionen des Landes richtete. Gut drei Jahre nach der Veröffentlichung der Petition erreichen die Repressionen der türkischen Behörden gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Dimension. So droht nun Prof. Dr. Füsun Üstel die Inhaftierung. Dazu erklärt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Dr. Peter-André Alt: "Der türkische Staat geht systematisch und mit großer Härte gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, die als Staatsbürger von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben." Insgesamt 1800 Akademikerinnen und Akademiker, darunter auch bekannte Preisträger wie Noam Chomsky, Şeyla Benhabib, Steven Pinker, Judith Butler und Bruce Alberts, haben in einem offenen Brief die Repressionen der türkischen Behörden gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler scharf verurteilt.

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Stimmen zum Hungerstreik

In einem Gastbeitrag bei RT Deutsch kritisiert der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Martin Dolzer, der sich dem Hungerstreik für vier Tage symbolisch angeschlossen hat, das Schweigen der Mainstreammedien in der Bundesrepublik und der EU zu diesem Thema. Er appelliert an die Bundesregierung unter anderem mit folgenden Worten: "Die nahezu bedingungslose Waffenbrüderschaft Deutschlands mit den Herrschenden in der Türkei, die schon zum Genozid an den Armeniern zu Beginn des letzten Jahrhunderts beigetragen hatte, muss endlich beendet werden und ist durch eine Politik zu ersetzen, die sich an den Menschenrechten und dem Völkerrecht orientiert!"

In einem Gespräch der Tageszeitung junge Welt mit unserem Mitarbeiter Ali Cicek geht dieser auf Kritik gegenüber dem Hungerstreik als Protestform ein und macht darauf aufmerksam, dass der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen als letzter Protestakt verstanden werden muss, da keine andere Möglichkeit mehr gesehen werde, sich Gehör zu verschaffen. Die Türkei sei heute eine Diktatur und die Lage für regimekritische türkische Staatsangehörige verschlimmere sich stetig.

Heute Morgen wurde zudem eine gemeinsame Erklärung von insgesamt 20 Bundestagsabgeordneten der Fraktion DIE LINKE veröffentlicht. In der Erklärung heißt es unter anderem: "Die Bundesregierung schweigt leider zu diesem Protest. Für sie sind offenbar die wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei wichtiger als Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Als führendes Mitglied des Rats der Europäischen Union könnte die Bundesregierung die Türkei dazu bewegen, den politisch Inhaftierten eine rechtsstaatliche Behandlung zu garantieren und damit auch die Leben der hungerstreikenden Menschen retten."

Währenddessen dauert die Mahnwache vor dem Europaparlament in Straßburg seit vergangenem Montag weiter an. Zu den Teilnehmerinnen der Aktion gehörten gestern auch die EU-Abgeordneten Martina Anderson und Eleonora Forenza. Beide Frauen bekundeten ihre Solidarität mit den Hungerstreikenden und kritisierten die schweigende Haltung Europas.

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Fazit unserer Informationswoche

Im Rahmen unserer Informationswoche haben wir kontinuierlich politische Entscheidungsträger, Stiftungen, die Presse und Zivilgesellschaft über die aktuellen Entwicklungen im Rahmen des Hungerstreiks informiert. Den Bundestagsabgeordneten und deutschen Europa-Abgeordneten wurden konkrete Handlungsvorschläge unterbreitet.

Das Minimalziel unserer Öffentlichkeitskampagne war, dass keiner der politisch Verantwortlichen in Deutschland letzten Endes sagen kann, er oder sie habe nichts von dem Hungerstreik der kurdischen Aktivistinnen und Aktivisten gewusst. Wir können abschließend erklären, dass die Verantwortung nun bei den politischen Entscheidungsträgern liegt, etwas für eine rechtsstaatliche Behandlung aller in der Türkei aus politischen Gründen Inhaftierten zu unternehmen.

Es ist bemerkenswert, dass es zahlreiche Berichte über die anstehenden Kommunalwahlen in der Türkei am 31. März in der Medienlandschaft gibt, die Hungerstreikenden mit ihren Forderungen jedoch keine Erwähnung finden, wo diese mit ihren Forderungen doch auf die Chancen verweisen, die Türkei wieder auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zurück zu führen.

Wir als Civaka Azad, dem Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, sind fest davon überzeugt, dass internationale Aufmerksamkeit und politischer Druck die türkische Regierung dazu bewegen können, ihre ignorante Haltung gegenüber den Forderungen der Hungerstreikenden aufzugeben. In diesem Sinne stehen wir für Interviewanfragen mit den Hungerstreikenden selbst oder Hintergrundgesprächen mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jederzeit zur Verfügung.

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Quelle:
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
Residenzstraße 54, 13409 Berlin
Tel.: 030/91446137
E-Mail: info@civaka-azad.org
Internet: www.civaka-azad.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2019

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