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INTERNATIONAL/185: Minderheiten - Die eigenen Regierungen gefährlicher als Terrorgruppen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2015

Minderheiten: Die eigenen Regierungen gefährlicher als Terrorgruppen

von Thalif Deen


Bild: © Cam McGrath/IPS

In Ägypten werden Mädchen nach Angaben der Vereinigung der Opfer von Entführungen (AVAFD) zu Hunderten verschleppt und zwangskonvertiert
Bild: © Cam McGrath/IPS

NEW YORK (IPS) - In der Konfliktregion Nahost werden Minderheiten von Terrorgruppen wie der Al Qaeda oder dem Islamischen Staat (IS) bedroht, attackiert und vertrieben. Doch die für sie größte Gefahr gehe von den eigenen Regierungen aus, warnt die Menschenrechtsorganisation 'Minority Rights Group International' (MRG) in einem neuen Bericht.

Seit Anfang letzten Jahres hat sich die Sicherheitslage für Jesiden, Turkmenen, Schabaken, ethnische Kurden, Kopten, assyrische Christen und andere kleine Volksgruppen in sieben Ländern der Region - in Afghanistan, Ägypten, im Jemen, in Libyen, im Libanon, in Syrien und im Irak drastisch verschlechtert. Auch wenn der Terrorismus für diese Menschen eine reale Bedrohung darstelle, sei diese bei weitem nicht so groß wie die der eigenen Regierungen, meinte MRG-Geschäftsführer Mark Lattimer im Gespräch mit IPS. Vom Sudan über Myanmar bis in die russische Föderation würden Minderheiten systematisch von denjenigen verfolgt, deren Aufgabe es eigentlich sein müsse, sie zu schützen.

Zum ersten Mal ist Syrien auf dem MRG-Index für bedrohte Völker auf den ersten Platz aufgerückt. In einem großen Teil des Landes herrscht inzwischen religiöse Intoleranz und fast alle christlichen Gemeinschaften leben in staatlich kontrollierten Enklaven. Lediglich in den Kurdengebieten im Norden konnte MRG Bemühungen im Sinne einer inklusiven Demokratie feststellen. Der syrische Bürgerkrieg, der bereits mehr als 200.000 Todesopfer gefordert und die Hälfte der Bevölkerung in die Flucht getrieben hat, droht sich weiter zu verschärfen.

Lattimer vermisst den eigenen Angaben zufolge eine proaktivere Haltung der UN im Umgang mit den Minoritäten. Meist werde die Weltorganisation erst in Fällen extremer Gewalt aktiv. Dem MRG-Chef zufolge könnten enorme Erfolge im Kampf für die Menschenrechte von Minderheiten erzielt werden, würden diese auf regelmäßiger Basis in Entwicklungsprojekten, im öffentlichen Leben und als Gesprächspartner in Friedensgesprächen berücksichtigt.

Als die Menschenrechtsorganisation 2008 ihr erstes Länder-Ranking vorstellte, rangierte der Irak auf dem ersten Platz der für Minderheiten gefährlichen Staaten. Seither hat er sich nie weit aus dem Umfeld wegbewegt. Im letzten Jahr wurden dort mehr als 14.000 Zivilisten getötet. Etliche fielen Massakern des IS im Zuge der Vertreibung von Jesiden, Schabaken, Chaldo-Assyrern und Turkmenen aus Mossul, Sinjar und der Ninive-Ebene zum Opfer. Tausende jesidische Frauen und Mädchen befinden sich nach wie vor in IS-Gefangenschaft.

Auch die schiitischen Gemeinschaften werden vom IS und von Sunniten bedroht, die wiederum Vergeltungsschläge der irakischen Sicherheitskräfte und verbündeten schiitischen Milizen zu fürchten haben.

Der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik zwischen ehemaligen Séléka-Rebellen, die mehrheitlich Muslime sind, und den vorwiegend christlichen Anti-Balaka-Milizen, hat dafür gesorgt, dass das Land in der Liste minderheitenfeindlichen Länder um vier Plätze auf Platz zehn nach oben gerückt ist. Mehr als 850.000 Menschen - fast ein Fünftel der Landesbevölkerung - befanden sich dem Bericht zufolge 2014 auf der Flucht. Und auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres gingen die Vertreibungen weiter. Im April kam es dann zu einem umstrittenen Friedensabkommen zwischen den beiden verfeindeten Gruppen.

Auch Ägypten hat sich auf dem Index um drei Plätze nach oben gearbeitet. Die fortgesetzten Kämpfe und die Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen haben sich negativ auf das Leben der Beduinen auf dem Sinai ausgewirkt, die seit langem unter den Folgen ihrer politischen und wirtschaftlichen Ausgrenzung leiden. Zudem kritisieren Menschenrechtsgruppen die Regierung dafür, zu wenig zum Schutz der christlichen Gemeinschaften wie den Kopten zu unternehmen. Vor allem in Oberägypten würden Christen und ihre Kirchen regelmäßig angegriffen.

In China, das sogar 15 Stellen nach oben gerückt ist, starben mehr als 200 Menschen bei Terroranschlägen von uigurischen Kämpfern in der autonomen uigurischen Region Xinjiang. Von Regierungsseite kam es zu Massenfestnahmen, während die Gerichte Dutzende Male die Todesstrafe verhängten. Wenig ist laut MRG geschehen, um die chronische Unterernährung und Ausgrenzung der Uiguren zu beenden, die Hauptgründe für die Unruhen. Die Strategie der Regierung, uigurische Menschenrechtler als Terroristen zu verunglimpfen, habe Versuchen, die Lage positiv zu verändern, geschadet.

Die Rückkehr zu einem autokratischeren Regierungsstil der russischen Föderation, die auf dem MRG-Index den 16. Platz belegt, fällt mit einer zunehmenden Fremdenfeindlichkeit der Russen gegenüber Migranten zusammen - ob diese nun aus dem Kaukasus oder von woanders her stammten. Doch die größte Gefahr geht Lattimer zufolge vom Norden des Kaukasus selbst aus, wo es regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen russischen Streitkräften und islamistischen Separatisten in Tschetschenien, Inguschetien, Kabardino-Balkaria und vor allem in Dagestan kommt. (Ende/IPS/kb/21.05.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/05/minorities-threatened-more-by-governments-than-terrorist-groups-says-study/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2015

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