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INTERNATIONAL/154: Interview zur Situation der Rohingya-Muslimen in Myanmar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2013

Myanmar: 'Welt muss Rohingya-Muslimen unverzüglich helfen' - Sprecher Wakar Uddin im Interview

von Sudeshna Chowdhury


Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung von Wakar Uddin

Wakar Uddin
Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung von Wakar Uddin

New York, 12. Juni (IPS) - Angesichts der Gefahren, mit denen sich die Rohingya-Muslime in Myanmar (Burma) konfrontiert sehen, nimmt die Zahl der Flüchtlinge immer weiter zu. Doch auch die menschenrechtliche und humanitäre Situation der Vertriebenen in den Lagern sei ebenfalls verheerend, wie Wakar Uddin vom Verband der Rohingya Myanmars mit Sitz in den USA im IPS-Gespräch betont. Er wirft der internationalen Gemeinschaft vor, Probleme solange auszusitzen, bis genug Blut geflossen sei.

Im Bundesstaat Rakhine (Arakan) in Myanmar werden die Rohingya-Muslime explizit dazu genötigt, sich an die ihnen auferlegte Zwei-Kind-Politik zu halten. Zwar haben Menschenrechtsorganisationen protestiert, doch damit sind die Übergriffe auf die Rohingya noch längst nicht vorüber.

Der Generaldirektor des Rohingya-Verbands fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, geschlossen für die Rohingya in Myanmar (Burma) einzutreten. Es reiche nicht, die Gewalt gegen die ethnische und religiöse Minderheit zur Kenntnis zu nehmen. Sie müsse endlich handeln. "Wie viele Rohingya müssen noch sterben, bevor die Welt auf diese Krise reagiert?", fragt Uddin im IPS-Interview, das in Auszügen folgt.

IPS: Wir wirkt sich die Zwei-Kind-Politik auf die Rohingya-Muslime in Myanmar aus?

Wakar Uddin: Die Zwei-Kind-Politik ist ein Instrument, das die Bevölkerung der Rohingya-Muslime kleinhalten und kontrollieren soll. Es handelt sich um eine hassgesteuerte Strategie der ethnischen Säuberung. Diese Bevölkerungspolitik zielt speziell auf die Rohingya-Muslime, die von der Regierung und einigen extremistischen buddhistischen Elementen gehasst werden. Einige Experten würden sogar von einer Völkermord-Strategie sprechen.

Die Volksgruppe der Rohingya ist in Myanmar zahlenmäßig gewachsen, wie sich dies auch bei anderen Ethnien in aller Welt feststellen lässt. Sie besteht derzeit aus insgesamt drei Millionen Mitgliedern.

Die Zwei-Kind-Politik gibt es in Myanmar bereits seit 1994. Doch wurde sie lange Zeit nicht durchgesetzt. Wohl kam es zu Zwangssterilisationen im Hinterland. Inzwischen jedoch haben die Behörden damit begonnen, die Direktive entschieden voranzubringen. Sie versuchen, die Bevölkerung auszurotten, indem sie sie außer Landes treiben beziehungsweise eine Obergrenze für die Zahl ihrer Kinder festsetzen. Auf diese Weise wird eine Geburtenkontrolle betrieben, die in zweierlei Hinsicht Wirkung zeigt. Irgendwann wird es keine Rohingya in der Arakan mehr geben. Dann kann sich die Regierung das Land der Rohingya einverleiben.

IPS: Es geht also nicht nur um religiöse Differenzen?

Uddin: Ein beträchtlicher Teil des burmesischen Bundesstaates Rakhine gehört den Rohingya. Die Region ist reich an Erdöl, Gas und anderen Bodenschätzen. Ziel ist es, an die Gebiete heranzukommen, die den Rohingya gehören.

Extremistische Elemente versuchen, die Menschen aus dem Land zu treiben, um dann Ansprüche auf die verlassenen Territorien erheben zu können. Sie behaupten, dass die Rohingya den Bundesstaat Arakan illegal unterwandert hätten und eigentlich nach Bangladesch und ins indische Westbengalen gehörten. Doch Tatsache ist, dass die Rohingya seit vielen Jahrhunderten in Myanmar leben.

IPS: Dringt die Gewalt auch in andere Teile des Landes?

Uddin: Die Burmanen stellen die größte ethnische Gemeinschaft in Burma. Wir beobachten eine stete Burmanisierung des Landes mit dem Ziel, die Minderheiten in Myanmar zu beseitigen.

Im Bundesstaat Kachim fordern die Menschen inzwischen die Autonomie. Zunächst hatte sich die Gewalt gegen die Rohingya gerichtet. Doch inzwischen geht die regierende Klasse auch gegen andere Muslime vor. Und jetzt, wo die Gewalt auf den Rest des Landes übergreift, werden auch Hindus und Christen nicht länger verschont.

IPS: Wie ist die Lage der Vertriebenen?

Uddin: Besonders schlecht geht es den Frauen und Kindern. Es fehlt an Medikamenten und Nahrungsmitteln. Mit der Ankunft des Monsunregens wird sich die Lage weiter verschlimmern. Gerade die Binnenflüchtlinge befinden sich in einer schwierigen Lage.

Doch besonders bestürzend sind Meldungen über die Sexlager, in denen Rohingya-Frauen vergewaltigt und von burmesischen Sicherheitskräften als Sexsklavinnen gehalten werden. Diese Frauen wissen nicht, wo sie hin sollen. Die Behörden versorgen sie mit Nahrungsmitteln und Unterkünften, um sie als Gegenleistung auszubeuten. Die Medien berichten sporadisch über die Vergewaltigungen. Leider gibt es keine systematische Untersuchung der Vergewaltigungen.

IPS: Wie gehen die Nachbarländer und die internationale Gemeinschaft mit der Situation um?

Uddin: Einige Rohingya-Muslime haben in den Nachbarländern wie Indien, Thailand und Bangladesch Unterschlupf gefunden. Doch das ist keine Lösung des Problems, geht es schließlich um 1,5 Millionen Menschen. Es gilt das Problem an der Wurzel zu packen. Erhalten die Rohingya endlich Rechte, werden Bildung und Arbeitsplätze ein Übriges tun, um die Krise zu lösen.

Was die Rolle der internationalen Gemeinschaft angeht: Erst jetzt haben die Menschen außerhalb Burmas damit begonnen, die Situation der Rohingya überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Als Mitglieder der Rohingya-Diaspora gibt es viel für uns zu tun, um die Diskussion am Leben zu halten und die Menschen daran zu erinnern, dass die Rohingya leiden und einer dauerhaften Lösung der Krise bedürfen.

Doch die internationale Gemeinschaft, die UN, reagiert viel zu langsam auf die Notlage. Die Vereinten Nationen sind von Natur aus viel zu bürokratisch. Es muss erst eine gewisse Anzahl von Menschen sterben, bevor sie aktiv wird.

Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass Burma bis vor kurzem ein geschlossenes Land war. Journalisten hatten keinen Zugang zum Land. Erst nach den Massentötungen im letzten Jahr haben die ausländischen Staaten und die Medien von der Krise der Rohingya Kenntnis genommen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.arunion.org/
http://www.ipsnews.net/2013/06/qa-the-u-n-is-too-slow-to-respond-to-crisis/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2013