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INTERNATIONAL/124: Ägypten - Mursi-Regierung springt hart mit Streikenden um (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2013

Ägypten: Mursi-Regierung springt hart mit Streikenden um - Schärfere Gesetze geplant

von Cam McGrath


Ägyptische Arbeiter streiten für Demonstrationsrecht - Bild: © Cam McGrath

Ägyptische Arbeiter streiten für Demonstrationsrecht
Bild: © Cam McGrath

Kairo, 25. Januar (IPS) - Bei dem Volksaufstand in Ägypten, der zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte, haben die Arbeiter eine entscheidende Rolle gespielt. Zwei Jahre später befinden sich Gewerkschaftsvertreter mit der Regierung von Staatschef Mohammed Mursi und den Arbeitgebern im Streit. Während sie bislang vergeblich für lange vorenthaltene Rechte eintreten, bereitet die Regierung schärfere Gesetze vor.

In den vergangenen Monaten haben sich Tausende Arbeiter im ganzen Land zu Protesten versammelt, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Damit wurden Bereiche der Wirtschaft gelähmt, die sich immer noch nicht vollständig von den Unruhen im Jahre 2011 erholt haben. Die neue von Islamisten geführte Regierung hat zugesichert, die Streitigkeiten rasch und fair beizulegen. Doch das ist angesichts der Widerspenstigkeit der Arbeitnehmer, der Unnachgiebigkeit der Unternehmer und der knappen Staatsfinanzen nicht so leicht.

Die Muslimbruderschaft, die sich als konservative islamische Bewegung im vergangenen Jahr eine Mehrheit bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gesichert hat, präsentierte sich auf einer Plattform, die für soziale Gerechtigkeit eintrat. Die einst verbotene Gruppe hat sich allerdings nicht durch ein besonderes Engagement für die Rechte von Arbeitern hervorgetan, sondern ist im Gegenteil eher durch Aktionen gegen die Gewerkschaften aufgefallen.

"Wir hatten zwar eine Revolution, aber die einzige Veränderung besteht darin, dass wir nicht mehr von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei, sondern von der Muslimbruderschaft regiert werden", sagte der Gewerkschaftsaktivist Kareem El-Beheiry. "Die Bruderschaft hat nie irgendetwas für die Arbeiterbewegung getan."


Sprunghafter Anstieg von Streiks

Mursi, ein ehemaliges Führungsmitglied der Muslimbruderschaft, musste seit seinem Amtsantritt im vergangenen Juni eine Reihe von Prüfungen überstehen. 2012 gab es über 200 Protestaktionen von Arbeitern, wobei sich die Zahl in der zweiten Jahreshälfte mehr als verdoppelte, wie eine neue Studie des Ägyptischen Zentrums für wirtschaftliche und soziale Rechte (ECESR) belegt.

"Wir können nur feststellen, dass die Mursi-Regierung dabei versagt hat, die Proteste beizulegen. Sie hat noch nicht einmal einen klaren Plan, wie sie mit den Forderungen der Arbeiter umgehen soll. Stattdessen ist sie bei den alten Strategien geblieben und hat die Sache damit nur verschlimmert", heißt es in dem Report.

Arbeitsminister Khaled El-Azhary, ein prominentes Mitglied der Bruderschaft, hat die Streikenden wiederholt aufgefordert, wieder an die Arbeit zu gehen. Er versprach, dass sich die Regierung mit den Forderungen befassen würde. Laut Azhary kann sich die angeschlagene Wirtschaft des Landes allerdings keine weiteren Produktionsverluste leisten und müsse sich noch von den Unruhen 2011 erholen.

Ägypten müht sich ab, die Löcher im Staatshaushalt und in der Zahlungsbilanz zu stopfen, während die letzten Devisenreserven aufgebraucht werden. Der Tourismus, früher eine der größten Einnahmequellen, ist seit dem Aufstand um 20 Prozent eingebrochen. Ausländische Investoren zogen sich zurück, und viele Projekte liegen aufgrund der weiterhin unsicheren wirtschaftlichen und politischen Lage auf Eis.

Die Regierung versucht in der Regel, Konfrontationen mit streikenden Arbeitern zu vermeiden. Denjenigen, die versuchen, "die Räder der Produktion zu blockieren", begegnet sie jedoch mit unnachsichtiger Härte. In den Monaten nach der Vereidigung von Mursi hat die Polizei Demonstrationen aufgelöst und lokale Streikführer festgenommen. Beschäftigte in der öffentlichen Verwaltung, die sich an Protesten beteiligt hatten, wurden entlassen oder versetzt. Gegen manche wurden Disziplinarverfahren eingeleitet.

"Mehr als 200 Angestellte und Arbeiter wurden während der ersten drei Regierungsmonate von Mursi in Einzelaktionen entlassen", geht aus dem ECESR-Report hervor. "Gegen mehr als 100 wurden Untersuchungen angestrengt, nachdem sie bei friedlichen Protesten festgenommen worden waren. Außerdem wurden viele Beschäftigte während Sitzblockaden körperlich angegriffen. Die Schläger waren von ihren Arbeitgebern angeheuert worden."


Staatsmedien zur Einschüchterung von Gewerkschaftern benutzt

"Mursis Regierung hat sich zudem die Taktik des Mubarak-Regimes zu eigen gemacht, in den staatlichen Medien gegen die Gewerkschaften zu hetzen und ihre Führer einzuschüchtern", sagte die Journalistin Hadeer Hassan. "Die Haltung der Muslimbruderschaft fällt dadurch auf, dass sie sowohl die Wirtschaft als auch Mursis Regierung schwächt. Statt auf die Forderungen der Arbeiter einzugehen, hat die Bruderschaft versucht, die Öffentlichkeit gegen die Streikenden aufzubringen, indem diese in den Medien als Verräter dargestellt wurden." Hinzu kämen "falsche Anschuldigungen", wonach Arbeiter Sabotage betrieben hätten.

Mindestens ein Dutzend Beschuldigter wurden unter Berufung auf Gesetze verurteilt, die unter der vom Militär geführten Übergangsregierung im März 2011 erlassen worden waren. Demnach stehen Streiks, die der Wirtschaft schaden, unter Strafe. Mursi hat bisher weder etwas gegen die umstrittenen Gesetze unternommen noch die Urteile aufgehoben, obwohl er dazu berechtigt wäre.

Die Regierung arbeitet unterdessen an neuen Gesetzen, die den Gewerkschaftsvertretern zufolge die Versammlungsfreiheit einschränken und dem Staat erneut die Kontrolle über die Gewerkschaften geben wird.

Ein erster Entwurf eines Gesetzes über Rechte von Gewerkschaften, das überholte und restriktive Regelungen reformieren soll, müsste nach Ansicht politischer Beobachter das Recht auf Streik festschreiben und hunderte unabhängiger Gewerkschaften, die nach Mubaraks Sturz gegründet wurden, rechtlich anerkennen. Stattdessen haben jedoch Azhary und andere führende Mitglieder der Muslimbruderschaft eine andere Gesetzesvorlage entworfen, die harte Strafen für Streikende vorsieht. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://ecesr.com/en/
http://www.ipsnews.net/2013/01/morsi-slams-new-lid-on-labour-rights/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2013