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INTERNATIONAL/092: Côte d'Ivoire - Rechtsloses Niemandsland, Waffen haben noch immer das Sagen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2012

Côte d'Ivoire: Rechtsloses Niemandsland - Waffen haben noch immer das Sagen

von Fulgence Zamblé



Abidjan, 10. August (IPS) - Auch ein Jahr nach der Amtsübernahme von Präsident Alassane Ouattara treten in der Wirtschafts- und Handelsmetropole Abidjan und in anderen Städten Côte d'Ivoires Soldaten und Milizen offen mit Waffen im Anschlag auf. Sie demonstrieren, wer in weiten Teilen des westafrikanischen Landes noch immer das Sagen hat. Einheimische Menschenrechtsaktivisten sprechen von einem rechtslosen Niemandsland.

In jüngster Zeit sind zahlreiche Zivilisten bei Schießereien ums Leben gekommen oder wurden verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. So kam es am 24. Juli in Abobo, einem Viertel von Abidjan, zu einem Feuergefecht zwischen Soldaten der regulären Armee (FRCI) und der Militärpolizei, das drei Menschen das Leben kostete. Im gleichen Stadtteil ermordeten Soldaten Anfang März einen jungen Mann, von dem sie umgerechnet 1,2 US- Dollar verlangt hatten.

In Adjamé und Yopougon, zwei weiteren großen Bezirken von Abidjan, regeln Bewaffnete den Verkehr und führen Routinekontrollen durch. In Yopougon beschossen Soldaten am 27. Juli einen Bus. Der Fahrer hatte sich geweigert, ihren Befehlen zu folgen. Zeugen berichteten von drei verletzten Passagieren. Zwei Tage später nahmen in Abengourou im Westen des Landes Bewaffnete einen Bus unter Feuer. Fünf Verletzte mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Razzien, willkürliche Verhaftungen und lange Festnahmen ergänzen den Katalog der Vorwürfe, die die in Abidjan ansässige ivorische Liga für Menschenrechte (LIDHO) gegen die bewaffneten Kräfte erhebt. "Wir scheinen hier in einem rechtslosen Niemandsland zu leben", klagte der LIDHO-Vorsitzende René Hokou Legré gegenüber IPS. "Zudem ist es beängstigend, dass diese Soldaten keiner Hierarchie zu unterstehen scheinen. Ihre Aktionen können auch nicht als Einzeltaten gelten, denn dazu wiederholen sie sich zu oft."

Jedem müsse klar sein, dass es in einem Rechtsstaat keine Sonderjustiz geben dürfe, betonte Yacouba Doumbia, Übergangspräsident der ivorischen Menschenrechtsbewegung (MIDH) in Abidjan.

Der in Abidjan arbeitende Politologe Marcellin Tanon wirft der Regierung vor, Straftaten der Militärs zu rechtfertigen und diese zu rehabilitieren. "Die Soldaten genießen völlige Straffreiheit", stellte er fest. Er beruft sich dabei auf Ereignisse vom 20. Juli, als im westlichen Duékoué eine Miliz ein Lager mit Flüchtlingen aus Guérés überfiel, um die Ermordung von vier Menschen zu rächen, die bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen waren.


UN-Blauhelmen Passivität vorgeworfen

Nach offiziellen Angaben starben elf Menschen bei dem Angriff. Menschenrechtsorganisationen machten ethnische Malinké und traditionelle Jäger, so genannte Dozos, sowie Armeesoldaten für den Überfall verantwortlich und warfen den UN-Blauhelmen Untätigkeit vor.

Im Staatsfernsehen schob Verteidigungsminister Paul Koffi Koffi zwei Tage später zwei Ex-Kämpfern und Gefolgsleuten des ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo, die regelmäßig in dem Auffanglager ein- und ausgingen, die Schuld an dem Massaker zu.

"Der Umgang mit Soldaten, die Ouattara geholfen haben, an die Macht zu kommen, ist ein komplexes Problem", erklärte der Politologe Maurice Zagol aus Abidjan. "Wer versuchen würde, sich ihnen mit Gewalt entgegenzustellen, könnte eine weitere Rebellion auslösen. Dennoch müssen alle ehemaligen Kämpfer entwaffnet werden, sonst ist zu befürchten, dass die Bevölkerung auf lange Sicht an der Legitimation der Staatsmacht zweifelt."

In einem Telefongespräch mit IPS versicherte der Pressesprecher des Verteidigungsministeriums, Hauptmann León Allah, die Armeeführung tue alles, um das Problem der im Umlauf befindlichen Waffen und die massive Präsenz der Soldaten in den Straßen in den Griff zu bekommen. (Ende/IPS/mp/2012)


Links:

http://lidho.org/
http://www.fidh.org/
http://www.ipsinternational.org/fr/_note.asp?idnews=7151

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2012