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INTERNATIONAL/074: China - Nächtliche Abrissaktionen, Bevölkerung protestiert gegen Zwangsräumungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. April 2012

China: Nächtliche Abrissaktionen - Bevölkerung protestiert gegen Zwangsräumungen

von Emily-Anne Owen



Peking, 16. April (IPS) - Mitten in der Nacht klopfte es im vergangenen Dezember bei Zhang Haxia und ihrem Mann an der Tür. Das Ehepaar wurde aus seiner Wohnung im Südwesten Chinas gezerrt und in einem Lastwagen weggefahren. Als die beiden zurückkehrten, hatten sie ihren gesamten Besitz verloren.

Gegen Zwangsräumungen regen sich in der Volksrepublik mittlerweile heftige Proteste. Die Behörden gehen hart gegen Menschenrechtsorganisationen vor, die Opfern zu helfen versuchen. Erst kürzlich wurden zwei Aktivisten zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Ni Yulan und ihr Mann Dong Jiqin waren im April festgenommen worden, nachdem sie Menschen geholfen hatten, denen man ihr Land weggenommen hatte. Ni wurde zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt, während Dong für zwei Jahre ins Gefängnis kam.

Das Paar hatte selbst Jahre lang vergeblich versucht, sein traditionelles Atriumhaus in der Hauptstadt Peking vor dem Abriss zu bewahren. 2008 verloren sie den Kampf gegen die Behörden.

Im vergangenen Dezember wurden sie wegen öffentlichen Ärgernisses und Sachbeschädigung verklagt. Nach Angaben der Organisation 'Chinese Human Rights Defenders' (CHRD) dauerte die Urteilsverkündung im Volksgericht des Distrikts Xicheng lediglich zehn Minuten.


Folter und Gefängnis

Ni hatte bereits in früheren Jahren ein- bis zweijährige Gefängnisstrafen wegen Amtsbehinderung und Sachbeschädigung verbüßt. Sie wurde nach eigenen Angaben gefoltert, wodurch sie bleibende körperliche Behinderungen zurückbehielt.

Bauträger und korrupte Beamte in der Lokalverwaltung, die aus dem Immobilienboom Kapital schlagen wollen, versuchen häufig an den Bewohnern vorbei an wertvolle Grundstücke zu kommen. Landesweit gehen deshalb jeden Monat Tausende Menschen auf die Straße. Bei vielen dieser Demonstrationen kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Zhang, die eigentlich anders heißt, schildert, wie sie und ihr Mann am 4.‍ ‍Dezember um drei Uhr morgens von Beamten der Stadtverwaltung und der Mafia aus ihrem Haus verschleppt wurden. "Wir wurden zu einem weit entfernten Ort gefahren, den wir nicht kannten", so die Bäuerin aus der Stadt Chengdu in einem Telefonat mit IPS.

Als das Ehepaar vier Stunden später wieder zurückgebracht wurde, war das Haus bereits abgerissen. Die Ziegel und anderen Baumaterialien waren abtransportiert worden. Als die beiden Eheleute daraufhin nach Peking fahren wollten, um eine Petition bei der zentralen Regierung einzureichen, wurden sie von der Polizei festgenommen, in die Polizeiwache in ihrem Heimatort in der Provinz Sichuan überstellt und dort misshandelt.

"Danach sollten wir ein Dokument unterschreiben. Ich weigerte mich, weil ich wusste, dass ich damit bestätigen würde, dass ich aus freien Stücken zur Wache mitgekommen wäre. Also wurde ich erneut geschlagen. Als mein Mann nach dem Vorgesetzten verlangte, ließ man uns gehen."

Auf einer von Sichuan aus betriebenen Website ist zu lesen, dass drei Aktivisten, die Entschädigungen für Zwangsräumungen in der ostchinesischen Provinz Jiangsu verlangten, spurlos verschwanden. Mao Jianzhong, Gu Xingzhen und Xia Kunxiang waren ebenfalls nach Peking gefahren, um gegen die Zwangsmaßnahmen zu protestieren. Seitdem sie angeblich von Beamten in ihre Heimatstadt Suzhou zurückgebracht worden sind, fehlt von ihnen jede Spur.


Tausende Geheimgefängnisse

Angesichts der auf Provinzebene grassierenden Korruption sehen die Opfer von Zwangsräumungen oft keine andere Wahl, als ihre Anliegen der zentralen Regierung vorzubringen. Dem Menschenrechtsaktivisten Huang Qi zufolge, der den Vorfall zuerst auf der Website 'Tianwang' bekannt gemacht hat, landen Menschen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren, ohne Gerichtsverfahren in 'schwarzen Gefängnissen'. Im ganzen Land gebe es Tausende solcher geheimen Haftanstalten.

Demnach werden Petitionen an die Regierung bereits oft in den Provinzverwaltungen festgehalten. Die lokalen Beamten befürchten, dass ihr Ruf gefährdet und die verbreitete Korruption bekannt werden könnte.

Seit Präsident Hu Jintao und Regierungschef Wen Jiabao 2003 ihre Ämter antraten, hätten die Landnahmen zugenommen, sagt Huang. Deshalb forderten immer mehr Menschen Entschädigungen und reichten Petitionen ein. Erst vor wenigen Tagen sei das Haus eines Bauern in Sichuan mitten in der Nacht zerstört worden, berichtet er. Solche Aktionen fänden mit Vorliebe im Dunkeln statt, um zu verhindern, dass sich lästige Zeugen einstellten.

Ob es im Land eine neue Kulturrevolution gebe und ob das politische System reformiert werde, bereite den Menschen weniger Sorgen als der Kampf um ihre eigenen Rechte, meint Huang. Kürzlich wurde auf einer Website berichtet, dass es im Südwesten Chinas zu Zusammenstößen zwischen der Bevölkerung und der Polizei gekommen war.


Erfolgreicher Widerstand von Dorfbewohnern macht international Schlagzeilen

Einige Vorfälle sorgen auch im Ausland für Schlagzeilen. In Wukan in der südlichen Provinz Guangdong sorgten Dorfbewohner dafür, dass nach der illegalen Beschlagnahmung von Grundstücken korrupte Beamte aus ihren Ämtern entfernt und Kommunalwahlen durchgesetzt wurden. Das Dorf gilt seither als Symbol für den Erfolg von Protesten gegen Zwangsräumungen.

Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation 'Landesa' und Vertreter der chinesischen Zentralregierung arbeiten derzeit an Maßnahmen zum Schutz der Landrechte. Die Regierung hat damit begonnen, Bauern 30-jährige Nutzungsrechte für ihre Grundstücke zu garantieren. Viele Einwohner ländlicher Regionen seien sich aber ihrer Rechte nicht bewusst, berichtete die Organisation, die sich für die Belange von Bauern in Entwicklungsländern einsetzt. Diese Unwissenheit werde von Lokalverwaltungen oft ausgenutzt. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://chrdnet.com/
http://www.landesa.org/
http://www.rfa.org/english/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107384

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2012