Schattenblick →INFOPOOL →REPRESSION → FAKTEN

INTERNATIONAL/065: Kamerun - 50 Jahre "Wiedervereinigung", englischsprachige Minderheit unterdrückt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Januar 2012

Kamerun: 50 Jahre 'Wiedervereinigung' - Englischsprachige Minderheit unterdrückt

von Ngala Killian Chimtom

Wiedervereinigungsmonument in Jaunde - Bild: © Ngala Killian Chimtom

Wiedervereinigungsmonument in Jaunde
Bild: © Ngala Killian Chimtom

Jaunde, 27. Januar (IPS) - Ende des Jahres wird Kamerun den 50. Jahrestag der Wiedervereinigung von Französisch- und Britisch-Kamerun feiern. Für die englischsprachige Minderheit sind die geplanten Feierlichkeiten kein Anlass zu Freude. Sie fühlen sich von der französischsprachigen Bevölkerungsmehrheit diskriminiert und unterdrückt.

"Mir wäre es am liebsten, nichts mehr mit frankophonen Kamerunern zu tun zu haben", meint Jannette Ngum. Die Grundschullehrerin aus der Nordwestprovinz erinnert sich noch gut an die schlechte Behandlung, die sie im Ministerium für öffentlichen Dienst und Verwaltungsreform in der Hauptstadt Jaunde erfuhr, als sie dort wegen eines Jobs vorsprach.

Nach der kamerunischen Verfassung sind Englisch und Französisch die offiziellen und gleichgestellten Amtssprachen des zentralafrikanischen Landes. "Dennoch sagte man mir im Ministerium, dass man meinen 'Dialekt' nicht verstehe", berichtet Ngum. Danach sei sie von der Angestellten einfach ignoriert, ein französischsprachiger Kollege hingegen sofort bedient worden.

Gut ein Fünftel der 20 Millionen Kameruner ist englischsprachig. Der Großteil lebt in den Provinzen Nordwest und Südwest.

Ähnliche Erfahrungen wie Ngum haben die meisten Anglo-Kameruner. Wie Michael Ndobegang, Geschichtsdozent an der Universität von Jaunde, bestätigt, ist die Benachteiligung der Angehörigen der sprachlichen Minderheit unübersehbar. Zudem habe man sie mit den Jahren systematisch aus den Zentren der Macht entfernt.


Aus Ämtern entfernt

Ndobegang zufolge existiert in Kamerun das ungeschriebene Gesetz, wonach englischsprachige Kameruner als Verteidigungs-, Finanz- oder Außenminister nicht in Frage kommen. Sie würden zudem generell als Handlanger der französischen Mehrheitsbevölkerung betrachtet.

Im Juni 1990 war J. N. Foncha, einer der Hauptarchitekten des föderalen Landes, aus der Regierung ausgetreten. Als Grund gab er an, dass die Verfassungsartikel zum Schutz der anglophonen Minderheit ausgehebelt würden.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht fühlt sich die sprachliche Minderheit ausgebeutet. "Kameruns Öl kommt aus der Südwestprovinz. Doch wieso ist dort das Straßennetz so schlecht?", fragte Fru Ndi, Oppositionsführer der Sozialdemokratischen Front (SDF), während einer Veranstaltung in der westlichen Stadt Buea im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober.

Den sukzessiven frankophonen Regierungen warf er vor, die boomende Wirtschaft der englischsprachigen Kameruner zugrunde gerichtet zu haben. "Kleine und mittelständische Unternehmen und Behörden wie 'Power Cam', die westkamerunische Entwicklungsagentur und die Westkameruner Marketingbehörde wurden zerstört", kritisierte er.

Ndi, ursprünglich ein vehementer Gegner von Sezessionsbestrebungen, hat seine Meinung offenbar geändert. "Sollte der SDF bei den diesjährigen Parlamentswahlen erneut der Sieg verweigert werden, werde ich mich gezwungen sehen, dem Nationalrat der Südlichen Kameruner (SCNC) beizutreten", sagte er am 19. Januar. Der SCNC kämpft für die Abspaltung vom Kamerun.

Ebenso erbosen den englischsprachigen Teil der Bevölkerung die geringen Chancen im öffentlichen Dienst eine Stelle zu finden. Den Historikern Nantang Jua und Piet Konnings zufolge fanden sich unter den im Februar 2003 zugelassenen, mehr als 5.000 neuen Polizeirekruten nur 57 Anglo-Kameruner. Im März des gleichen Jahres rekrutierten die Zollbehörden 160 französisch- aber nur zwölf englischsprachige Mitarbeiter.

Seither hat sich wenig geändert. Zahlen des Ministeriums für Staatsdienst- und Verwaltungsreform belegen, dass sich unter den 25.0000 jungen Fachkräften, die im letzten Jahr in den Staatsdienst aufgenommen worden sind, nur 2.000 Anglophone befanden.


Vorwurf der Rekolonialisierung

Diese offensichtliche Benachteiligung habe bei der sprachlichen Minderheit den Eindruck verfestigt, in allen Sphären des öffentlichen Lebens "rekolonialisiert und marginalisiert" zu werden. Die Regierung weist die Vorwürfe jedoch zurück und geht gewaltsam gegen Sezessionsgruppen vor. Um den Vorwurf der Diskriminierung zu entkräften, hat die Regierung einige Vertreter der anglophonen Elite eingestellt. Doch dem Politexperten Emmanuel Tatah Mentan zufolge sind Staatsbedienstete keine repräsentativen Vertreter ihrer Sprachgruppe.

Nach den Vorstellungen von Staatspräsident Paul Biya soll der 50. Jahrestag der Wiedervereinigung in Buea, der Hauptstadt der Südwestregion, begangen werden. Dazu meinte ein Sprecher des SCNC sarkastisch, der kamerunische Präsident werde dort einer von vielen ausländischen Staatsgästen sein, die zur Veranstaltung erwartet würden.

Der SCNC hat in seinem Newsletter 'Political Punch', den Staatschef aufgefordert, sich vor seiner Anreise nach Buea bei den Südwestkamerunern zu entschuldigen. In den letzten 20 Jahren seien mehr als 700 Südwestkameruner vor Gericht gestellt worden, nur weil sie den Unabhängigkeitstag Westkameruns am 1. Oktober 1960 gefeiert hätten. (Ende/IPS/kb/2012)


Link:
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=106557

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Januar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2012