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INTERNATIONAL/045: Rechtlos in Silwan, jüdische Sicherheitskräfte drangsalieren Palästinenser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2011

Nahost: Rechtlos in Silwan - Jüdische Sicherheitskräfte drangsalieren Palästinenser

von Jillian Kestler-D'Amours


Silwan, Ostjerusalem, 29. November (IPS) - "Unsere Kinder glauben, dass nicht einmal ihre Väter sie vor den Siedlern und ihren privaten Wachmännern schützen können", klagt Ahmed Qareen aus dem Viertel Silwan in Ostjerusalem. Der Vater zweier Söhne weiß, wovon er spricht. Als er sich vor zwei Jahren einem jüdischen Siedler aus der Nachbarschaft entgegenstellte, der mit einem Maschinengewehr auf einen seiner Jungen zielte, streckte ihn der Mann mit Schüssen in Hüfte und Knie nieder. Seitdem geht Qareen an Krücken.

"Ich brach zusammen, und die Menschen um mich herum begannen zu schreien. Meine beiden Kinder weinten", berichtete der 41-jährige Palästinenser. Doch keiner der zivilen Wachmänner in der Nähe habe sich gerührt.

350 Wachmänner der israelischen Sicherheitsfirma 'Modi'in Ezrahi' sollen in dem von Israel besetzten Ostjerusalem die rund 2.000 jüdischen Siedler vor ihren palästinensischen Nachbarn schützen. Die Gesellschaft für Bürgerrechte in Israel (ACRI) hat nun den Obersten Gerichtshof Israels in einer Petition aufgefordert, den Einsatz dieses Zivilschutzes in Ostjerusalem zu beenden.

Die umstrittenen Wachmänner wurden im Auftrag und auf Rechnung des israelischen Wohnungsbauministeriums nach Ostjerusalem abkommandiert. "Anders als Polizisten unterstehen sie hier nicht dem Gesetz. Sie brauchen sich nicht an die für Polizisten geltenden Vorschriften zu halten, die gesamte Öffentlichkeit und nicht nur einen besonderen Teil der Bürger zu schützen", heißt es in der Petition.


Unkontrollierter 'Schutz'

"Wenn der Einsatz privater Sicherheitskräfte Menschen gefährdet und Menschenrechte verletzt, muss deren Kontrolle durch möglichst viele Behörden verstärkt und einer genaueren Überprüfung unterzogen werden. In Ostjerusalem ist dies leider nicht der Fall", kritisiert ACRI.

2005 hatte das israelische Wohnungsbauministerium einen öffentlichen Ausschuss eingesetzt, der die Sicherheitslage in den von Israelis bewohnten Wohnblicks in Ostjerusalem und in der Jerusalemer Altstadt untersuchen sollte. Das Komitee empfahl damals, die Verantwortung für die Sicherheit der Bürger in diesen Wohngebieten wieder allein dem Innenministerium und der Polizei zu überlassen.

Die israelische Regierung versprach zunächst, die Empfehlung zu befolgen, widerrief aber schon bald ihre Entscheidung. Damit war der Status quo wieder hergestellt. Nach Angaben der ACRI ist das Budget für den Einsatz privater Sicherheitsdienste in Ostjerusalem, für das Israels Steuerzahler aufkommen, seit 1991 von sieben Millionen auf 76 Millionen Schekel, umgerechnet zwei Millionen US-Dollar, angewachsen.

"Nach der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich und haben den gleichen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Schutz", betont ACRI. "Die staatliche Finanzierung von Sicherheitsdiensten zugunsten einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ist eine eindeutige Verletzung dieses Grundsatzes."


Straflosigkeit

Als ein Wachmann im September 2010 im Ostjerusalemer Bezirk Silwan den Palästinenser Samer Sarhan erschoss, kam es dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und palästinensischen Jugendlichen. Der Todesschütze wurde nicht angeklagt.

Im Mai dieses Jahres gerieten in Silwan in der Nähe des von Israelis bewohnten Viertels Baten el-Hawa palästinensische Jugendliche mit der Polizei aneinander. Dabei wurde der 17-jährige Milad Ayyash von einem privaten Wachmann erschossen. Er sei für den Tod des Jungen nicht verantwortlich, denn Ayyash habe sich am Streit beteiligt, meinte der Todesschütze später.

"Die privaten Wachmänner der Siedler führen sich wie Milizen auf. Sie können sich alles erlauben, denn der Staat gibt ihnen Grünes Licht", klagte der Palästinenser Qareen. Nur wenn in Ostjerusalem sämtliche israelischen Siedlungen aufgegeben würden, könne es hier wieder Sicherheit für die palästinensischen Mitbürger geben, ist er überzeugt.

"Die Siedler, die Wachmänner, die Polizisten, sie alle sind bewaffnet und wollen die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Die Probleme haben mit dem Einzug der Siedler in unser Viertel begonnen. Mit ihnen kamen die Polizisten und die privaten Sicherheitsdienste. Deshalb wollen wir, dass sie wieder verschwinden", erklärt der Palästinenser.

Sein Wunsch dürfte sich kaum erfüllen, denn die israelische Regierung hat erst vor wenigen Wochen den Bau von weiteren 1.100 Wohneinheiten für jüdische Siedler in Ostjerusalem angekündigt. (Ende/IPS/mp/2011)


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http://www.acri.org.il/en
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2011