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INTERNATIONAL/020: Indien - Anonyme Gräber in Kaschmir entdeckt, als Opfer Zivilisten vermutet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. September 2011

Indien: Anonyme Gräber in Kaschmir entdeckt - Als Opfer Zivilisten vermutet

Von Athar Parvaiz

Frauen in Kaschmir suchen nach verschleppten Angehörigen - Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Frauen in Kaschmir suchen nach verschleppten Angehörigen
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Srinagar, Indien, 1. September (IPS) - Entlang der Kontrolllinie zwischen Indien und Pakistan sind auf indischer Seite 2.156 anonyme Gräber entdeckt worden. Menschenrechtsaktivisten vermuten, dass es sich bei den Opfern um Zivilisten handelt und nicht, wie von der indischen Armee behauptet, um pakistanische Unabhängigkeitskämpfer.

Die staatliche Menschenrechtskommission (SHRC) des indischen Bundesstaats Jammu und Kaschmir fordert, die Identität der Toten durch DNA-Tests unverzüglich zu klären. Am 21. August hatte die Kommission einen Bericht über Untersuchungen von Gräbern an 38 Orten im Norden von Indisch-Kaschmir vorgelegt.

Die in Srinagar ansässige Vereinigung von Eltern Verschwundener (APDP) rief die Regierung in Neu-Delhi und internationale Menschenrechtsorganisationen um Unterstützung bei der Identifizierung der Leichen an. Beide Gruppen gehen davon aus, dass in dem seit zwei Jahrzehnten andauernden Unabhängigkeitskrieg pakistanischer Rebellen gegen Indien bisher etwa 10.000 Menschen verschleppt wurden.

Auch die Koalition der Zivilgesellschaft (CCS) dringt auf Aufklärung. Sie gehörte einem Forschungsteam an, das in einer 2009 veröffentlichten Untersuchung von 8.000 nicht identifizierten Gräbern im Norden Kaschmirs berichtet hatte. CCS-Programmkoordinator Khurram Parvez verlangte den Zugang zu den tausenden, über ganz Indisch-Kaschmir verteilten Gräbern.

SHRC bestätigte bereits, dass sich in 574 Gräbern die sterblichen Überreste von Einwohnern der Region befanden. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich auch in den an 38 Orten gefundenen Grabstätten die Leichen Verschwundener befinden", heißt es in dem Report.


Streitkräfte durch Gesetze vor Verfahren geschützt

Die Menschenrechtskommission fordert die vollständige Identifizierung aller von indischen Sicherheitskräften getöteten Menschen. Dadurch soll der Missbrauch von Gesetzen verhindert werden, die etwa Streitkräfte vor einer Strafverfolgung schützen. Indiens Armee und Polizei hatten stets versichert, bei den längs der Kontrolllinie begrabenen Toten handele es sich um bewaffnete Rebellen aus dem pakistanischen Teil Kaschmirs. Die Milizionäre seien bei Zusammenstößen von Soldaten erschossen worden.

Am 20. August tötete die indische Armee nach eigenen Angaben zwölf Bewaffnete bei dem Versuch, in den indischen Teil Kaschmirs vorzudringen. Bei dem Auseinandersetzungen kam ferner ein indischer Leutnant ums Leben.

Im Kaschmir-Konflikt haben bisher etwa 50.000 Menschen ihr Leben verloren. Der Streit zwischen den beiden Ländern war am Ende der britischen Kolonialzeit 1947 über den Subkontinent ausgebrochen. Damals wurden die beiden Staaten Indien und Pakistan gegründet.

Ein Drittel der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Region Kaschmir steht unter pakistanischer Verwaltung. Das übrige Territorium bildet den indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir. Die Kontrolllinie wurde gezogen, nachdem die Vorherrschaft über das Gebiet auch nach mehreren Kriegen nicht feststand.

"Die Linie wird auf beiden Seite durch eine starke Truppenpräsenz befestigt. Auf indischer Seite befinden sich außerdem elektrische Zäune", sagte Rajeswari Rajagopal von der Denkfabrik 'Observer Research Foundation' in Neu-Delhi. "Wer diese Linie überqueren will, läuft Gefahr, erschossen zu werden."


Pakistanischer Geheimdienst trainiert Jugendliche

Laut Rajagopal ist die Identität bewaffneter Milizionäre nur schwer feststellbar. Bekannt sei, dass der pakistanische Geheimdienst Jugendliche in Kaschmir militärisch ausbilden lasse und sie dann über die Kontrolllinie nach Indien schicke. Auch Unbeteiligte könnten aber in die Schusslinie geraten. Pakistan streitet dagegen jede Unterstützung für die Rebellen ab. Die Regierung räumte allerdings ein, den Kampf um die Unabhängigkeit von Indien "moralisch" und "diplomatisch" zu unterstützen.

Anfang August meldeten die indischen Sicherheitskräfte, nach zwölfstündigen Gefechten einen Rebellenkommandeur getötet zu haben. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass es sich bei dem Opfer um einen geistig behinderten Mann gehandelt hatte.

Der pakistanische Separatistenführer Mirwaiz Umar Farooq warf im Gespräch mit IPS den indischen Soldaten vor, unschuldige Zivilisten zu töten und im Nachhinein als Rebellen auszugeben, um sich für Medaillen und andere Ehrungen zu qualifizieren. Diese Menschenrechtsverletzungen müssten von internationalen Gerichten geahndet werden.

Der Regierungschef von Jammu und Kaschmir, Omar Abdullah, sprach sich indes für die Bildung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission aus, wie sie Südafrika nach dem Ende der Apartheid eingesetzt hatte. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2011