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STANDPUNKT/043: Papst Franziskus erregt erneut Aufsehen (Gerhard Feldbauer)


Papst Franziskus erregt erneut Aufsehen

Er will jetzt auch den von Ratzinger und Wojtyla verfolgten großen Befreiungstheologen Helder Camara seligsprechen.

von Gerhard Feldbauer, 3. April 2015


Mit der von Radio Vatikan am Donnerstag vor Ostern gemeldeten Einleitung eines Seligsprechungsverfahrens für den 1999 verstorbenen großen Befreiungstheologen Dom Helder Pessoa Camara rücken die von Papst Franziskus erwarteten Reformbestrebungen erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wieder wendet sich Franziskus, der selbst aus Lateinamerika kommt und bevor er den Stuhl Petri bestieg als Mario Bergoglio Erzbischof von Buenos Aires war, dem Kontinent seiner Herkunft, wo knapp die Hälfte der Mitglieder der katholischen Kirche leben, zu.


Wegen "aufgeschlossener Erziehung" gemaßregelt

Der 1909 als elftes von 13 Kindern, von denen fünf im Kindesalter verstarben, in der Familie eines Buchhalters geborene Camara wurde 1964 Erzbischof von Olinda und Recife, später von Rio de Janeiro. Als Begründer zahlreicher Basis-Initiativen gegen Armut und Unterdrückung wurde er zu einem unerbittlichen Kämpfer gegen die soziale Ungerechtigkeit, die er eine "kollektive Sünde" nannte. Zu vielen seiner praktischen Aktionen gehörte die Gründung einer Banco di Providencia (Vorsorgebank), mit der versucht wurde, den Ärmsten ihr schweres Los etwas zu erleichtern. Unter anderem gründete Camara das Theologische Institut von Recife, das von Wojtyla 1989 mit der offiziellen Begründung, es verfolge eine "aufgeschlossenen Erziehung" (was sich in Wahrheit gegen ihre befreiungstheologischen Grundlagen richtete), verboten wurde. Aktiv gestaltete Camara das von Johannes XXIII. einberufene II. Vatikanische Konzil (1962-65) mit und übernahm dessen Leitmotiv, eine "Kirche der Armen" zu gestalten.


Als "roter Bischof" verketzert

Unerschrocken trat der Erzbischof der in Brasilien von 1964 bis 1985 mit blutigen faschistischen Methoden herrschenden Militärdiktatur entgegen, die ihn zahlreichen Repressalien aussetzte und seinen Sekretär Pater Antonio Peirera Nete ermordete. Zu Reaktionen auf seine nahezu ständigen Besuche in der Elendsvierteln von Rio befragt, antwortete Camara einmal: "Wenn ich den Armen Brot bringe, nennt man mich einen Heiligen. Doch wenn ich frage, warum sie nichts zu essen haben, werde ich als Kommunist beschimpft." Der sich offen für die Rechte und Interessen der Arbeiter einsetzende Kirchenmann wurde denn auch als "roter Bischof" verketzert. Nach der verkündeten Seligsprechung des von faschistischen Todesschwadronen ermordeten Erzbischofs von El Salvador, Oscar Romero, ist Helder Camara der zweite führende Befreiungstheologe, den Franziskus jetzt in diesen Stand erheben will.


Wie weit will Franziskus gehen?

In Rom diskutieren Vatikankenner darüber, wie weit Franziskus gehen wird, der damit de facto eine Abkehr von der von seinen Vorgängern, dem polnischen Papst Johannes Paul II., bekannt als Karol Wojtyla und seinem obersten Glaubensrichter, Kardinal Joseph Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI., betriebenen inquisitorischen Verfolgung der Befreiungstheologen wie überhaupt jedes Priesters, der nur einen Fußbreit von der "reinen" Lehre abwich, vornimmt. Denn der jetzt zur Seligsprechung vorgesehene Camara hat ja und fast mehr noch als Romero viele andere Grundsätze katholischer Dogmatik in Frage gestellt und an den Grundfesten der Herrschaft des Heiligen Stuhls gerüttelt. Dafür stehen von Wojtyla und Ratzinger ebenso wie Helder Camara verurteilte und gemaßregelte Befreiungstheologen und Vatikankritiker wie der Priester Ernesto Cardenal aus Nicaragua, der Peruaner Gustavo Gutierrez, Professor der Medizin, Psychologie, Philosophie und Theologie (darunter an der Päpstlichen Universität Georgiana in Rom), dessen Publikationen über die Befreiungstheologie (10 Bücher) von mehreren Universitäten mit der Verleihung des Doktor honoris causa gewürdigt wurden, der mexikanische Bischof von Oaxaca, Bartolomé Carrasco Briseno, der Bischof von Sao Felix do Araguaia, Pedro Casadáliga, der brasilianische Professor und (wie Franziskus) Angehöriger des Franziskanerordens, Leonardo Boff, der Erzbischof von Fortaleza (Brasilien), Aloisio Lorschneider, und der Bischof von San Cristobal de las Casas (Chiapas) in Brasilien, Samuel Ruiz Garcia. Unter den gemaßregelten befinden sich aus Deutschland auch der Theologie-Professor Johann Baptist Metz, langjähriger Direktor des Seminars für Fundamentaltheologie an der westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, und der Regensburger Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller.


Diese Theologen waren gegen Zölibat, für Scheidung, Frauenpriestertum, und eine tolerante Sexualmoral

Unter Papst Wojtyla fällte der Inquisitionsrichter Ratzinger in 24 Jahren gegen etwa 150 Theologen einen Richterspruch. Viel höher liegen die Maßregelungen der verschiedensten Art, Zurechtweisungen, Forderungen nach Unterlassung und verbalen Verurteilungen, die, wenn sie ihren Zweck erfüllten, die Eröffnung einer Inquisition erübrigten. Mit den Zielen dieser Befreiungstheologen - dem Kampf gegen soziales Elend und die Armut, dem Wirken für Gerechtigkeit - kann sich Franziskus solidarisieren, denn er hat dieselben Aufgaben in den Mittelpunkt seines Pontifikats gestellt. Aber die meisten dieser Verurteilten und Gemaßregelten traten ebenso für eine weltoffene katholische Kirche ein, für Scheidung, Frauenpriestertum, eine tolerante Sexualmoral, forderten die Aufhebung des Zölibats, um hier nur die wichtigsten Fragen zu nennen. Wollte Franziskus den verfolgten Befreiungstheologen ernsthaft Gerechtigkeit widerfahren lassen, müsste er beispielsweise die von Kardinal Ratzinger 1984 erlassene berüchtigte "Instruktion über einige Aspekte der Theologie der Befreiung" (Liberatatis nuntius) widerrufen, in der Bestrebungen innerhalb der Kirche zu einer "Politisierung der menschlichen Existenz", die "die Eigenart des Reiches Gottes und die Transzendenz der Person verkennt und die auf die Sakralisierung des Politischen und eine Vereinnahmung der Volksreligiosität für revolutionäre Vorhaben hinausläuft", verurteilt und entsprechend verfolgt wurden. Wie will Franziskus den für ihre Glaubensauffassung Verfolgten Gerechtigkeit widerfahren lassen? Er wird wohl kaum alle selig sprechen wollen oder können. So wird es wohl eher bei symbolischen Gesten bleiben, die der Imagepflege dienen und die Hoffnung am Leben erhalten sollen, dass von diesem Papst doch noch Reformen zu erwarten seien, wenn man ihm denn Zeit lasse.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2015

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