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KIRCHE/1948: Kirche in Deutschland als Partner für Flüchtlinge und Gesellschaft (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Mitteilung vom 20. Dezember 2016

Kirche in Deutschland als Partner für Flüchtlinge und Gesellschaft


Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, brachte bei einem Treffen mit dem Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) seine Dankbarkeit dafür zum Ausdruck, dass in Kirchengemeinden christliche Nächstenliebe praktiziert werde und nicht nur Sonntagspredigten vorkomme.

Das Treffen mit ÖRK-Generalsekretär Pastor Dr. Olav Fykse Tveit fand am letzten Donnerstag in Stuttgart statt.

Kretschmann sagte, die eindrücklichste Erfahrung seiner Amtszeit sei die "Welle der Hilfsbereitschaft" seit letztem Jahr gewesen - in einem Bundesland mit ohnehin schon hohem Engagement.

Bischof Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh von der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Tveit zu dem Besuch eingeladen hatte, bekräftigte, dass die Flüchtlingsarbeit in der Kirche sowohl in den Gemeinden als auch auf allen Führungsebenen Unterstützung finde.

In der Erstaufnahmestelle in der ehemaligen Kaserne Patrick-Henry-Village in Heidelberg besichtigte Tveit ein System der Zusammenarbeit, das humanitäre Standards garantiert und Spannungen minimiert.

In der Aufnahmestelle sind inzwischen bis zu 2.000 Menschen unterschiedlichster Herkunft gleichzeitig untergebracht, viele davon traumatisiert.

Unterschiedliche Behörden arbeiten zusammen, um Verfahren zu beschleunigen und schnelle Entscheidungen darüber zu erreichen, wer Asyl gewährt bekommt. Das Ziel ist, diejenigen, die in Deutschland bleiben dürfen, innerhalb von zwei Wochen in dezentrale, langfristigere Unterkünfte zu bringen.

Druck auf Sachbearbeiter

Die schnelle Integration von Flüchtlingen sei ein gutes Ziel, sagten kirchliche Mitarbeitende, die den Flüchtlingen in der Einrichtung eine unabhängige Beratung anbieten. Allerdings führe der Druck auf Sachbearbeiter/innen, schnelle Entscheidungen herbeizuführen, dazu, dass Einzelschicksale keine angemessene Beachtung fänden, und den unabhängigen Berater/innen wenig Zeit bleibe, mit den Flüchtlingen in Kontakt zu kommen und Vertrauen aufzubauen.

In Deutschland hat die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche eine lange Tradition, und diakonische Einrichtungen bieten verschiedene von der Regierung finanzierte soziale Dienste an.

Auch Flüchtlinge, die anderen Glaubensgemeinschaften angehören, wissen die unabhängige Beratung durch evangelische und katholische Einrichtungen zu schätzen.

Wenn Berater/innen Flüchtlingen helfen, ihr Recht auf Schutz einzufordern, empfinden Mitarbeitende der Behörden dies zum Teil als störend, zum Teil als hilfreich.

Neben der Beratung koordinieren die Kirchen in der Erstaufnahmeeinrichtung auch die Freiwilligenarbeit etwa in Sprachkursen, und bieten Seelsorge für Flüchtlinge und Mitarbeitende der Einrichtung an.

"Toll, dass wir jetzt ein ökumenisches und seit kurzem sogar ein interreligiöses Seelsorge-Team sind", sagte Pastorin Sigrid Zweygart-Pérez.

Für die Kinder zu sorgen, die ihre Eltern in der Einrichtung meist überall hinbegleiten, ob zur medizinischen Untersuchung oder zur psychologischen Betreuung aufgrund von traumatischen Erlebnissen, ist Haupt- und Ehrenamtlichen besonders wichtig.

Streetworker der Diakonie begleiten auch die Shuttle-Busse in die Innenstadt, um Orientierung zu bieten und das Sicherheitsgefühl der lokalen Bevölkerung zu verbessern.

Martin Heß, Geschäftsführer des Diakonischen Werks in Heidelberg, erklärte Tveit: "Als Kirche sind wir stolz auf unsere Arbeit, und froh, dass Sie sich dafür interessieren." Tveit antwortete: "Als weltweite Kirchengemeinschaft sind wir auch stolz auf Sie!"

Flüchtlinge vor Ort begleiten

Der folgende Tag stellte die Arbeit der Evangelischen Kirche in Baden bei der Begleitung und Integration von Flüchtlingen auch auf der Gemeindeebene vor.

Im Begegnungsladen "K26" in Ettlingen arbeiten weltliche Stellen, Kirchen und sonstige zivilgesellschaftliche Initiativen Hand in Hand.

Der Begegnungsladen bringt Einheimische, Flüchtlinge und auch andere Gruppen zusammen, die leicht gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden, etwa Menschen mit Behinderungen oder Senioren/innen.

Der Arbeitskreis Asyl, mit rund 100 Aktiven und einem erweiterten Netzwerk von 400 Personen die größte dieser Initiativen, ging aus einem Willkommensabend der evangelischen Gemeinde hervor. Die Gruppe, die sich lange im katholischen Gemeindehaus traf, zählt sowohl christliche als auch nicht-christliche Mitglieder.

Ein Mitglied der evangelischen Gemeinde, Henrike Ochs, kümmert sich nun im Auftrag der Stadt professional um das K26. Zur Flüchtlingsarbeit kam sie zunächst als Freiwillige über den Pastor, der sie als ausgebildete Krankenschwester um Hilfe für ein krankes Kind bat.

Ihr Ziel sieht Ochs nun darin, Flüchtlingen zu ermöglichen, aktive Mitglieder der Gemeinschaft zu werden, wie zum Beispiel ein ehemaliger Schulleiter aus Syrien, der nun eine achtwöchige Einführung in arabische Sprache und Kultur für 40 Teilnehmende anbietet.

Die evangelische Gemeinde legt auch Wert darauf, den örtlichen Behörden Wohnraum für mehrere Flüchtlingsfamilien in einem zentral gelegenen Gebäude deutlich unter dem dortigen Mietniveau zur Verfügung zu stellen.

"Die Wohneinheiten sind zwar klein", erklärt Pastor Andreas Heitmann-Kühlewein, "aber mit der Lage gleich neben dem Kindergarten und der Betreuung durch die Gemeinde ist das ein sehr guter Platz für Flüchtlinge."

Skepsis gegenüber Flüchtlingen

Zunächst war in der Nachbarschaft Skepsis gegen ein Flüchtlingsheim in der Straße zu spüren. "Ein Fest, das wir im Hof des Kindergartens gefeiert haben, mit vielen Ehrenamtlichen und Einladung an die Nachbarn, hat die Stimmung verändert", erinnert sich der Pastor.

Beim Treffen mit Kirchengemeindegliedern in Ettlingen hörten Tveit und Cornelius-Bundschuh, dass sich die Gemeinde von den Flüchtlingen auch bereichert fühle. Pastor im Ruhestand Gernot Spelsberg, der als Freiwilliger Taufunterricht für diejenigen anbietet, die einen Übertritt zum Christentum erwägen, empfindet seinen eigenen Glauben als geistlich bereichert durch diese Kurse.

Zur Gemeinde gehören nun auch rund 30 kürzlich Getaufte aus dem Iran. Zwei von ihnen tragen auch Führungsverantwortung im Ältestenrat der Kirchengemeinde beziehungsweise als Synodale in der Landeskirche.

ÖRK-Zentralausschussmitglied Pastorin Anne Heitmann, ebenfalls Gemeindeglied in Ettlingen, merkt an: "Jede solche Taufe beeindruckt die Gemeinde zutiefst und ermutigt auch unsere Konfirmanden und ihre Eltern, den Schatz des Glaubens neu zu entdecken."

Die Projektleiterin der Flüchtlingsarbeit im Kirchenbezirk, Andrea Baisch-Herrmann, erklärt, dass "dank der Geflüchteten Themen der Quartiersarbeit zum Vorschein kamen, die zuvor keine Beachtung gefunden hatten, und dadurch die Arbeit der Kirche in der Gesellschaft wieder sichtbarer wird".

ÖRK-Generalsekretär Tveit kommentierte, er sehe zwar eine große Aufgabe, aber auch viele Menschen, die ihr Bestes gäben - auch mit Fehlern, aber in dem Bewusstsein, dass ihre strukturierte Zusammenarbeit allen helfe.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 20. Dezember 2016
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2016

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