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KIRCHE/1743: "(Wozu) braucht die moderne Gesellschaft Religion?" (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 08.07.2015

"(Wozu) braucht die moderne Gesellschaft Religion?"

Festvortrag von Kardinal Marx beim Jahresempfang der Kirchen für die obersten Bundesgerichte


"Die Kirchen stehen dem Gemeinwesen nicht gegenüber, sondern sind darin engagiert." Diese These stand im Mittelpunkt des Festvortrags, den der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am gestrigen Abend in Karlsruhe unter dem Leitthema "(Wozu) braucht die moderne Gesellschaft Religion?" hielt. Kardinal Marx sprach beim Jahresempfang von Erzbischof Stephan Burger (Freiburg) und Landesbischof Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh (evangelische Landeskirche in Baden) für das Bundesverfassungsgericht, den Bundesgerichtshof, die Bundesanwaltschaft und Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz warnte vor Tendenzen in den europäischen Gesellschaften und Staaten, den christlichen Glauben als eine vor-moderne und für den freiheitlichen Staat tendenziell bedrohliche Wirklichkeit misszuverstehen und die Kirchen zu marginalisieren. Ebenso falsch wäre der freiwillige larmoyante Rückzug des Christentums in die Nischen des säkularisierten Gemeinwesens. "Kirchen und Staat hatten in der Vergangenheit stets ein spannungsreiches Verhältnis. Und das ist bis heute so geblieben. Doch wir haben eine gemeinsame Verantwortung", betonte Kardinal Marx, der darauf hinwies, dass die Trennung von Staat und Kirche durchaus dem christlichen Denken entspricht. Über die Grenzen der jeweiligen Verantwortung müsse jedoch stets neu diskutiert werden. Hier stellten sich heute etwa Fragen nach dem Staatskirchenrecht, der Religionsfreiheit und der Antidiskriminierungsgesetzgebung, aber auch nach der Verhältnisbestimmung des Staates zu vorstaatlichen Wirklichkeiten: Ehe und Familie etwa seien Realitäten, die dem Staat in gewisser Weise vorausgehen und ihm vorgeordnet sind. "Kann der Staat die Ehe umdefinieren?" Um der Freiheit willen habe der Staat auch Grenzen. Aufgabe der Kirche sei es, das säkulare Gemeinwesen als Ort des eigenen Zeugnisses und des Beitrags zum gelingenden Zusammenleben zu akzeptieren und mitzugestalten.

Die Frage, ob die moderne Gesellschaft Religion brauche, beantwortete der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz mit den Worten: "Natürlich! Religion ist die Notwendigkeit des Nutzlosen." Sie rette den Menschen und die Gesellschaft vor der Übermacht politischer und ökonomischer Kalküle, indem sie Quellen und Potenziale für das gesellschaftliche Leben bereitstelle, die dieses nicht aus sich selbst hervorbringen könne: die Würde des Menschen; die Befähigung zur Solidarität mit den Armen im eigenen Land und in der Weltgesellschaft; die göttliche Gerechtigkeit für die Opfer der Geschichte als definitive Bestätigung der menschlichen Würde; und schließlich: ein Verständnis der Globalisierung, das nicht bei Wirtschaft und Interessenpolitik stehen bleibe, sondern die Zusammengehörigkeit aller von dem einen Gott geschaffenen Menschen anerkenne.

Erzbischof Burger betonte, dass die unaufgebbare Verpflichtung auf die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen ebenso sehr oberster Grundsatz für das staatliche Handeln wie für den Dienst der Kirche sei. Die damit zusammenhängenden Ziele müssten "sorgsam und entschlossen geschützt und gegen immer neue Anfechtungen und Anfeindungen bewahrt werden". Erzbischof Burger dankte für die Arbeit des "Karlsruher Foyers Kirche und Recht", die gemeinsame Kontaktstelle der beiden Kirchen zu den obersten Bundesgerichten in Karlsruhe, und für den intensiven Austausch über zentrale gesellschaftliche Themen, die Theologen und Juristen gleicherweise betreffen. "Immer geht es um das Wohl der Menschen und um ein gedeihliches Zusammenleben innerhalb unseres Staates", so Erzbischof Burger. Der Dialog der Kirchen mit den relevanten Instanzen des staatlichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens müsse mit Blick auf die "teilweise rasanten Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung" zunehmend auch auf europäischer Ebene geführt werden.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 119 vom 8. Juli 2015
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2015

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