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KIRCHE/1680: Studie - "Kirchen konstant in politische Debatten eingebunden" (idw)


Exzellenzcluster "Religion und Politik" an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster - 18.02.2015

"Kirchen konstant in politische Debatten eingebunden"

Interdisziplinäre Studie zum politischen Einfluss der christlichen Kirchen erschienen


Unter dem Titel "Religiöse Interessenvertretung" ist eine Untersuchung von Wissenschaftlern des Exzellenzclusters "Religion und Politik" zum politischen Einfluss der christlichen Kirchen und christlicher Politiker erschienen. Theologin und Soziologin Prof. Dr. Judith Könemann und Politikwissenschaftlerin Anna-Maria Meuth zeigen in ihrem Teil der Studie, wie sich die christlichen Kirchen an Mediendiskursen zu strittigen Themen wie Abtreibung und Asyl beteiligen und wie sie auf diese Weise die Gesellschaft trotz wachsender Säkularisierung und Pluralisierung mitgestalten. Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Christiane Frantz und Fachkollege Max Schulte erörtern in ihrem Studienteil, wie kirchlich gebundene Lokalpolitiker in ihrer Arbeit politische und religiöse Interessen in Einklang bringen. Das Buch mit dem Untertitel "Kirchen in der Öffentlichkeit - Christen in der Politik" ist im Verlag Ferdinand Schöningh erschienen.

Ein Ergebnis der Forschungen von Prof. Könemann ist, dass die christlichen Kirchen in Deutschland konstant in politische Debatten und Prozesse eingebunden sind. "Sie bedienen sich seit Jahrzehnten professioneller politischer Instrumente und werden insbesondere in ethischen, sozial- und bildungspolitischen Debatten auch von nicht-religiösen Akteuren anerkannt - trotz voranschreitender Säkularisierung in der Gesellschaft", sagt die Wissenschaftlerin. Gerade in öffentlichen Auseinandersetzungen über Menschenwürde, Medizinethik, Zuwanderung oder Integration seien die Kirchen mit mehrheitlich weltlichen Argumenten erfolgreich. "In fast 60 Prozent der untersuchten Äußerungen griffen Kirchenvertreter auf rein weltliche Begründungen zurück." Das Forscherteam untersuchte für die Diskursanalyse politische Stellungnahmen von Kirchenvertretern in rund 1.500 Medienberichten aus den Jahren 1970 bis 2004; der Schwerpunkt lag auf langjährigen Debatten über Abtreibung und Zuwanderung.


"Christen öfter lokalpolitisch engagiert als andere Bürger"

Die Forschungen unter Leitung von Prof. Frantz gehen der Rolle christlich geprägter Lokalpolitiker nach und fragen, wie diese politische Programmatiken mit kirchlichen Lehrmeinungen in Einklang bringen und dies in eine "authentische, persönliche, politische Handlungsstrategie" übersetzen. Die Analyse von 27 qualitativen Interviews mit Bürgermeistern und Ratsabgeordneten aus zwei westdeutschen und einer ostdeutschen Kommune, die in der Studie anonymisiert werden, ergab, dass die christlich gebundenen Akteure kaum Konflikte zwischen politischen und religiösen Interessen sehen. Prof. Frantz: "Sie reflektierten die Vermischung ihres politischen und christlichen Engagements nur begrenzt als potenziell problematisch. Vielmehr betrachten sie es als ihre Aufgabe, Lokalpolitik im Zweifel so zu gestalten, dass christliche Organisationen oder christliche Interessen davon profitieren", so die Politikwissenschaftlerin. "Hinzu kommt, dass Christen per se häufiger und stärker lokalpolitisch engagiert sind als andere Bürger." Selbst in religionsschwachen ostdeutschen Regionen seien christliche Interessen politisch überrepräsentiert.

Die Studien basieren auf zwei Forschungsprojekten des Exzellenzclusters, dem Projekt A12 "Lokale Eliten zwischen bekenntnisgebundenem Bürgerengagement und Parteipolitik" unter Leitung von Prof. Frantz und dem Projekt C17 "Die Rolle der christlichen Kirchen in der Öffentlichkeit" unter Leitung von Prof. Könemann. Erste Ergebnisse waren 2014 in den Medien veröffentlicht worden.

Die Autoren analysieren in der Untersuchung detailliert die Bedingungen, unter denen religiöse Positionen medial und persönlich-politisch erfolgreich in die Öffentlichkeit und Politik vermittelt werden können. Dabei zeigt sich, dass die Kirchen sich kontinuierlich an den Wandel von Gesellschaft und Medien anpassten und zugleich auch Grenzen von Politik und Öffentlichkeit aufgezeigt bekamen. "In den Mediendiskursen zeigt sich ein starkes Selbstverständnis der Kirchen, die Welt in Politik und Gesellschaft mitzugestalten", erläutert Prof. Könemann. "Mit dem Bezug auf Jesus und Gott ist erst das neunthäufigste Argument der Kirchen in Debatten ausdrücklich religiös begründet."

Zu den viel häufiger verwendeten Argumenten der religiösen Akteure gehören der Schutz des menschlichen Lebens, die Menschenwürde sowie soziale und rechtliche Maßnahmen, die auch von säkularen Kräften vorgebracht wurden, wie Prof. Könemann ausführt. "Fast alle politischen Formulierungen der Kirchen sind stark an den jeweils aktuellen Diskurs angepasst." Die Wissenschaftler stellen ihren empirischen Ergebnissen eine Darstellung des religiösen Transformationsprozesses in Deutschland voran, der einerseits durch Säkularisierung gekennzeichnet sei, andererseits durch den öffentlichen Bedeutungsgewinn von Religion. (han/vvm)


Hinweis:
Könemann, Judith/ Meuth, Anna-Maria/ Frantz, Christiane/ Schulte, Max: Religiöse Interessenvertretung. Kirchen in der Öffentlichkeit - Christen in der Politik, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 2015, 281 Seiten, ISBN: 978-3-506-77889-5, 34,90 Euro.


Weitere Informationen unter:
http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2015/feb/PM_Studie_Kirche_und_Politik.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1807

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Exzellenzcluster "Religion und Politik" an der Westfälischen Wilhelms-
Universität Münster,
Viola van Melis, 18.02.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2015

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