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STELLUNGNAHME/007: Zucker statt zucken - Neuauflage des Tierschützerprozesses in Österreich (Ingolf Bossenz)


Zucker statt zucken

Ingolf Bossenz über die Neuauflage des Tierschützerprozesses in Österreich

28. Juni 2013



»Um sicher Recht zu tun, braucht man sehr wenig vom Recht zu wissen. Allein um sicher Unrecht zu tun, muss man die Rechte studiert haben.« Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) hätte wohl seine helle Freude gehabt am juristischen Wurmfortsatz des österreichischen Tierschützerprozesses. Zumindest, was die Bestätigung des zweiten Teils seines Aphorismus betrifft.

Zur Erinnerung: Im März 2011 endete in Wiener Neustadt ein 14-monatiger Prozess mit dem Freispruch aller 13 Angeklagten vom Vorwurf, einer kriminellen Organisation anzugehören. Hintergrund des Verfahrens war eine Anti-Pelz-Kampagne des Vereins gegen Tierfabriken wider eine österreichische Bekleidungskette. Regelmäßige Demonstrationen vor den Filialen stuften die Behörden als »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit« ein. Mit einer zusammengeschusterten Anklage und der Instrumentalisierung des Mafia-Paragrafen sollten die Beschuldigten in die Nähe des Terrorismus gerückt werden. Die Polizeistaatsmethoden, die die österreichischen Behörden über Jahre bei Tierrechtsaktivisten zum Einsatz brachten, richteten sich prononciert gegen eine Bedrohung der Tierausbeutungskultur und der mittels dieser erwirtschafteten Profite.

Doch nicht nur, dass Prozesskosten und Verdienstausfälle die Angeklagten in existenzielle Bedrängnis brachten - fünf der Freisprüche wurden diesen Monat vom Oberlandesgericht Wien kassiert. Laut dessen Entscheidung bleibt der Vorwurf der Nötigung bestehen und muss neu verhandelt werden. Nötigung, und das ist das wahrhaft Revolutionäre mit Blick auf Lichtenbergs Diktum, liegt nach Ansicht der Richter nämlich auch dann vor, wenn Pelzfirmen mit Umsatzverlusten gedroht wird. Wer also Menschen darüber aufklärt, unter welchen elenden Bedingungen Pelztiere gehalten und getötet werden, um diese Menschen vom Pelzkauf abzuhalten, macht sich nach solcher kruden Logik der Nötigung schuldig. Wohlgemerkt, es geht hier nicht nur um legitime, sondern um legale, angekündigte und genehmigte Aktionen wie Demonstrationen und Mahnwachen.

In der Konsequenz hieße das, Unterschriften gegen Massentierhaltung sind ebenso strafbar wie das öffentliche Anprangern der Zustände in Tierfabriken und Schlachthäusern. Mehr noch: Sollte die skurrile juristische Konstruktion tatsächlich zu einem Präzedenzfall werden, kann dieser für die Repressionspraxis gegen jeglichen zivilgesellschaftlichen Widerstand herhalten. Eine Aussicht, die nicht nur die Herzen von Politikern in der Alpenrepublik höherschlagen lassen dürfte. Angesichts des in Europa wachsenden Unmuts über politische und wirtschaftliche Entwicklungen und Entscheidungen wäre solches Schlagzeug aus dem Arsenal der Judikative eine willkommene Ergänzung der exekutiven Instrumente. Die Verfolgung von Tierrechtsaktivisten wirkt wie der Probelauf für weit Ehrgeizigeres. Da passte es, dass Bundesagrarministerin Ilse Aigner im vergangenen Jahr forderte, Polizei und Justiz sollten »hart und konsequent durchgreifen«. Der Anlass: angeblich vermehrte Attacken militanter Tierschützer gegen landwirtschaftliche Einrichtungen in Deutschland. Belastbare Belege für ihre Behauptungen blieb die CSU-Politikerin schuldig. Noch sind solche Stimmen hierzulande eher selten.

Das könnte sich im Zuge der Neuauflage des österreichischen Tierschützerprozesses ändern. Die Funktion dieser Farce, all jene zu verunsichern, die sich mit ökonomisch starken Interessengruppen anlegen, ist unverkennbar. Dass, ebenfalls in diesem Monat, das Parlament in Wien dem Tierschutz Verfassungsrang einräumte, ist da kein Widerspruch, sondern ein klares Signal: Wer trotz des legislativen Zuckerbrots zuckt, muss halt mit den Konsequenzen leben.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Juni 2013
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 28.06.2013
http://www.neues-deutschland.de/artikel/825846.zucker-statt-zucken.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2013