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MELDUNG/044: 61. Deutscher Anwaltstag - Reform der Sicherungsverwahrung überfällig (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - 13. Mai 2010

61. Deutscher Anwaltstag in Aachen (13. bis 15. Mai 2010)

Reform der Sicherungsverwahrung überfällig


Aachen/Berlin (DAV). Spätestens seit der Entscheidung der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 10. Mai 2010 mit seiner Kritik an der Praxis der Sicherungsverwahrung in Deutschland ist eine Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung überfällig. Allein schon das Bild, dass die Sicherungsverwahrung in Deutschland nicht - wie vom Gesetzgeber grundsätzlich gewollt - als Präventivmaßnahme (Maßregel), sondern als Strafe vollstreckt wird, muss Anlass für Veränderungen sein, so der Deutsche Anwaltverein (DAV) beim Deutschen Anwaltstag in Aachen.

"Der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung ist in den letzten Jahren kontinuierlich ausgeweitet worden. Schon daher brauchen wir eine Reform", erläutert Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, DAV-Präsident, anlässlich des Deutschen Anwaltstages in Aachen. Auch Bundesverfassungsgericht und Wissenschaft hätten die Sicherungsverwahrung deutlich kritisiert. So werde die Gefährlichkeit der sicherungsverwahrten Personen in der Regel deutlich überschätzt. [1]

Bei der Reform sind folgende Punkte zu beachten:

Die Maßregel soll nur bei solchen Personen verhängt werden, die wegen schwerer Gewaltverbrechen verurteilt wurden.
Therapeutische Angebote müssen in wesentlich größerem Umfang als zurzeit zur Verfügung gestellt werden.
Die zeitlichen Abstände zwischen den gerichtlichen Überprüfungen der Sicherungsverwahrungen müssen verkürzt werden. Die zuständigen Strafvollstreckungskammern brauchen zudem die Kompetenz, Lockerung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung auch gegen die Weigerung der Vollzugsanstalt und Aufsichtsbehörden anzuordnen.
Eine klare Abgrenzung der Sicherungsverwahrung als eine schuldunabhängige Maßregel von dem Vollzug einer Freiheitsstrafe ist nötig. Es müssen ambulante Maßnahmen als Alternative zur geschlossenen Anstaltsunterbringung entwickelt werden. Dabei ist sowohl an eine Art Freigang zu denken als auch an eine Form betreuten Wohnens, insbesondere für die vielen bereits deutlich älteren Gefangenen. Auch der Einsatz der so genannten elektronischen Fußfessel kommt dabei in Betracht. Die Ausweitung des Instituts der Führungsaufsicht als Alternative zur Sicherungsverwahrung muss verstärkt betrieben werden.
Es bedarf einer grundlegenden Reform und keiner kurzatmigen gesetzgeberischen Maßnahme, wie in den letzten Jahren.

Vor dem Hintergrund der nun rechtskräftigen Entscheidung des EGMR kann insbesondere das System der nachträglichen, möglicherweise aber auch das der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nicht mehr aufrechterhalten werden.

[1] Jüngst veröffentlichte Untersuchung von Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter, 2008


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Quelle:
Pressemitteilung DAT 1/10 vom 14. Mai 2010
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2010