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INTERNATIONAL/148: Nicaragua - Neues Familienrecht lässt gleichgeschlechtliche Paare außen vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Mai 2015

Nicaragua: Neues Familienrecht lässt gleichgeschlechtliche Paare außen vor

von José Adán Silva


Bild: © 'Red de Desarrollo Sostenible de Nicaragua'

Kundgebung von Organisationen, die sich in Nicaragua für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen einsetzen
Bild: © 'Red de Desarrollo Sostenible de Nicaragua'

MANAGUA (IPS) - Im April ist in Nicaragua ein neues Familienrecht in Kraft getreten, das insgesamt betrachtet die Rechte der Bürger umfassend stärkt. Eine Lücke ist jedoch offensichtlich: Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Partner sind nach wie vor unzulässig. Dies bedeutet auch, dass homosexuelle Paare auch weiterhin keine Kinder adoptieren dürfen.

Organisationen, die für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) eintreten, hatten bis zuletzt vergeblich dafür gekämpft, die Situation gleichgeschlechtlicher Paare zu verbessern.

"Die Nichtanerkennung der Homo-Ehe zwingt uns dazu, formell gesehen Singles zu bleiben", kritisiert der LGBTI-Aktivist Marvin Mayorga. "Und Alleinstehende haben in diesem Land kein Recht darauf, Kinder zu adoptieren und eine Familie zu gründen."

Ohne die familiäre Bindung stoße man zudem auf höhere Hürden bei der Suche nach Arbeit, bei der Sozialversicherung sowie im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Dem Staat warf Mayorga vor, ein einziges Familienmodell zu propagieren, obwohl die Wirklichkeit ganz anders aussehe.

Das neue Gesetz, das 2014 im Parlament verabschiedet wurde und am 8. April dieses Jahres in Kraft trat, verfolgt das Ziel, die Rechte jedes einzelnen Familienmitglieds zu schützen und gleichzeitig die Kollektivrechte dieser kleinen sozialen Einheiten zu stärken.

Wie der Abgeordnete Carlos Emilio López von den regierenden Sandinisten erläutert, der das neue Familienrecht maßgeblich vorangebracht hat, handelt es sich um 47 verschiedene Gesetze und Regelungen, die sich auf Eheschließungen, Eigentumsrechte, Adoptionen, Ruhestand, die Rechte von Müttern, Vätern und Kindern, Scheidungen, Unterhalt und die Verantwortung von Eltern beziehen.


Status der Familie bisher streng konservativ definiert

Bisher war das Familienrecht hauptsächlich Teil des Zivilrechts, das diese Fragen López zufolge von einem konservativen und katholischen Standpunkt aus geregelt hat. Frauen und Kinder mussten sich dem Vater, dem die Rolle des Ernährers zukam, unterordnen. "Durch eine sorgfältige Analyse wurde sichergestellt, dass jedes Familienmitglied eindeutige Rechte und Pflichten hat, die im Einklang mit der Verfassung und den Gesetzen des Landes stehen. Dadurch soll garantiert werden, dass niemand aus irgendeinem Grund diskriminiert wird."

López zufolge werden die LGBTI nicht benachteiligt, da die nicaraguanische Staatsverfassung, die über dem neuen Familienrecht steht, die Rechte aller Bürger schütze und ihre Gleichbehandlung garantiere.

Doch Luis Torres, Leiter der lokalen Organisation 'Nicaraguanische Alternative für sexuelle Diversität', ist anderer Meinung. "Homosexuelle bleiben ausgegrenzt, solange sie nicht heiraten dürfen. Außerdem sind zusammenlebende gleichgeschlechtliche Paare nicht sozialversichert, da der Staat nur dazu verpflichtet ist, anerkannten Familien Sozialleistungen zu gewähren."


Keine Familienkredite oder Absicherung bei Tod des Partners

In der Praxis heißt das auch, dass LGBTI-Paare keinen Zugang zu Familiendarlehen und zu Sozialleistungen haben, sollte ein Partner sterben oder krank werden.

Das neue Familienrecht ist allerdings insofern fortschrittlich, als erstmals nichteheliche Lebensgemeinschaften zwischen Männern und Frauen den traditionellen Ehen gleichgestellt werden. Der Rechtswissenschaftler Ramón Rodríguez von der Zentralamerikanischen Universität weist jedoch darauf hin, dass die ausschließliche Anerkennung von Ehen und Lebensgemeinschaften heterosexueller Paare einem Verstoß gegen die universellen Grundsätze von Gleichheit und Nichtdiskriminierung gleichkommt.

Samira Montiel, Ombudsfrau für sexuelle Diversität in Nicaragua, kann jedoch die Kritik von Menschenrechts - und LGBTI-Aktivisten nicht vollständig nachvollziehen. "Ich hätte es zwar auch begrüßt, wenn ich nach dem neuen Gesetz heiraten und Kinder adoptieren könnte", sagt sie. "Dies ist allerdings in der Verfassung, die über dem Familienrecht steht, nicht vorgesehen."

Die Homo-Ehe werde nur 'bis auf weiteres' nicht akzeptiert. Die individuellen Rechte jedes Mitglieds der lesbisch-schwulen Gemeinde seien bereits geschützt. "Lesben und Schwule, die Kinder haben, werden ihr Recht auf Elternschaft nicht verlieren", so Montiel. "Bis jetzt habe ich noch keine einzige Beschwerde über das neue Familienrecht erhalten, und es liegt auch kein Antrag eines homosexuellen Paares auf eine Adoption vor. Ärztliche Behandlungen werden weder Lesben noch Bisexuellen verwehrt."


Unterhaltsprozesse werden beschleunigt

Positiv hervorzuheben ist, dass die rechtlichen Verfahren zur Beanspruchung von Alimenten im Falle von Scheidungen beschleunigt werden. Früher zogen sich solche Prozesse bis zu fünf Jahre in die Länge, während nun binnen 150 Tagen eine Entscheidung herbeigeführt werden muss. Der Unterhalt für Kinder unter 18 Jahren wurde zudem auf die Hälfte des Einkommens des Elternteils festgesetzt, der nicht mit den Kindern lebt. Bei Missachtung drohen Geldbußen.

Söhne und Töchter unter 24 Jahren können von ihren Familien Geld beanspruchen, um im Falle von Bedürftigkeit ihre Ernährung sicherzustellen. Geregelt werden außerdem Scheidungen, Gütertrennung, der Schutz von Kindern und Mutterschutz. Prügelstrafen und andere erniedrigende Behandlungen von Kindern sind verboten.

Das Mindestalter für Eheschließungen ist auf 18 Jahre festgesetzt worden; dann ist auch die Volljährigkeit erreicht. Kinder- und Jugendschutzverbände hatten auf diesen Punkt besonders gedrungen, weil bisher 14-jährige oder noch jüngere Mädchen mit erwachsenen Männern verheiratet werden konnten. Diese 'Mussehen' wurden oftmals arrangiert, wenn ein Mädchen sexuell missbraucht oder geschwängert wurde. (Ende/IPS/ck/07.05.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/04/in-nicaragua-marriage-is-only-for-him-and-her/
http://www.ipsnoticias.net/2015/04/en-nicaragua-el-matrimonio-es-solo-para-el-y-ella/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2015

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