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INTERNATIONAL/131: Drogen - Globale Kommission drängt zu Entkriminalisierung des Konsums (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2014

Drogen: Globale Kommission drängt zu Entkriminalisierung des Konsums

von Jim Lobe


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Zentralen Asháninka vom RíoEne/IPS

Kokafeld im Amazonasdschungel
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Zentralen Asháninka vom RíoEne/IPS

Washington, 10. September (IPS) - Ein hochrangiges internationales Panel hat eine umfassende Neuregelung der globalen Drogenkontrollpolitik gefordert. Nachdem sich der 40-jährige 'Krieg gegen Drogen' als gescheitert herausgestellt habe, gelte es einen Ansatz zu finden, der Menschenrechten und Gesundheit eine höhere Priorität einräume, heißt es in einem neuen Bericht der Weltkommission für Drogenpolitik.

Dem ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten und Kommissionsvorsitzenden Fernando Henrique Cardoso zufolge ist der 43 Seiten starke Report als eine Art Fahrplan mit dem Ziel gedacht, Drogen besser kontrollieren zu können. Die langjährigen Bemühungen, dem Problem mit einer Kriminalisierung beizukommen, haben sich als kontraproduktiv herausgestellt. "Sie haben mehr Gewalt und mehr Gefängnisinsassen geschaffen und die Regierungsfähigkeit weltweit geschwächt."

Die Weltkommission setzt sich stattdessen für einen Ansatz ein, der die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit der Gemeinschaft, die Menschenrechte und Entwicklung in den Mittelpunkt rückt. In diesem Sinne wäre es die Aufgabe der Regierungen, die Märkte für Drogen wie Marihuana, Kokablätter und bestimmte psychoaktive Substanzen zu regulieren, ähnlich wie dies bereits mit Tabak und Alkoholika geschieht. Dadurch könnte dem organisierten Verbrechen das Wasser abgegraben werden.


Umdenken

Darüber hinaus müssten für die unbedeutenden und gewaltlosen Akteure des Drogenhandels Alternativen zu den Haftstrafen gefunden werden und ein fairer Zugang zu wichtigen schmerzmindernden Medikamenten, die etwa Opiate beinhalten, ermöglicht werden. Darüber hinaus wirbt der Bericht 'Taking Control: Pathways to Drug Policies That Work' ('Die Kontrolle übernehmen: Wege zu einer Drogenpolitik, die funktioniert') für einen pragmatischen Trial-and-Error-Ansatz.

Die US-Regierung, die mit ihrem repressiven Ansatz die internationale Drogenpolitik nach wie vor weitgehend bestimmt, hat auf die Empfehlungen des Sonderausschusses unterschiedlich reagiert. Unter der Präsidentschaft von Richard Nixon war 1971 erstmals der 'Krieg gegen Drogen' erklärt worden.

"Wir sind uns einig, dass wir eine Politik verfolgen sollten, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht", meinte Cameron Hardesty vom Büro für nationale Drogenkontrollpolitik im Weißen Haus. Auch stimme man in dem Punkt überein, dass gewaltfreie Drogenvergehen nicht mit Gefängnis-, sondern Alternativstrafen geahndet werden sollten. Nicht einverstanden sei man jedoch mit der These, dass durch eine Legalisierung von Drogen die Menschen gesünder und die Gemeinden in sichereren Verhältnissen leben könnten.

"Unsere Erfahrungen mit der Tabak- und Alkoholindustrie haben gezeigt, dass die Kommerzialisierung auf eine Zunahme und nicht Abnahme des Konsums abzielt, wodurch sich die Schäden, die Tabak- und Alkoholgenuss verursachen, erhöht haben. Tatsächlich lässt sich am Beispiel von 'Big Tobacco' zeigen, dass ein solcher Ansatz eine völlig neue Serie von Problemen mit sich bringt", meinte sie.

Nach Ansicht unabhängiger Analysten werden die Empfehlungen der Kommission allein schon aufgrund der prominenten Zusammensetzung des Panels die Debatte über die Drogenpolitik substanziell voranbringen. So gehören dem Gremium neben Cardoso auch der frühere UN-Chef Kofi Annan, die ehemalige Menschenrechtshochkommissarin Louise Arbour und die Ex-Präsidenten César Gaviria (Kolumbien), Aleksander Kwasniewski (Polen), Ricardo Lagos (Chile) und Ernesto Zedillo (Mexiko) an. Ebenso vertreten sind der ehemalige US-Außenminister George Shultz und der Ex-Notenbankchef der USA, Paul Volcker. Vorgestellt wurde der Bericht in Anwesenheit mehrerer Kommissionsmitglieder während einer Pressekonferenz in New York.

"Das ist ein sehr wichtiger Bericht, der zu mehr ernsthaften Debatten und Diskussionen führen wird", meinte Michael Shifter vom 'Inter-American Dialogue', einer einflussreichen, panamerikanischen Denkfabrik. "Auf US-bundesstaatlicher Ebene und in einigen lateinamerikanischen Ländern gibt es bereits einige bemerkenswerte Veränderungen."


Tabubruch mit Folgen

2011 hatte die Weltkommission ihren ersten Bericht veröffentlicht. Schon damals wurde der Anti-Drogenkrieg als gescheitert erklärt und empfohlen, bestimmte Drogen zu entkriminalisieren und zu regulieren. Erst durch diesen Tabubruch war es einigen damaligen lateinamerikanischen Staatschefs wie Manuel Santos (Kolumbien), Otto Perez Molina (Guatemala) und Jose Mujica (Uruguay) möglich gewesen, weitreichende Reformen durchzuführen. So ist Uruguay das erste Land der Welt, das seit letzten Dezember die legale Produktion, den Vertrieb und den Verkauf von Marihuana reguliert.

Mitte 2013 veröffentlichte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einen eigenen von den Staatsoberhäuptern der Region in Auftrag gegebenen Bericht, der ebenso die Legalisierung von Drogen als alternative Strategie befürwortet hat und die Ansicht vertrat, dass Drogen mehr ein gesundheitliches als ein sicherheitspolitisches Problem seien.

Unter anderem empfahlen die Autoren, Herstellung, Vertrieb und Verkauf von Marihuana zu legalisieren und zu regulieren. Diese Empfehlungen wurden von den Wählern der US-Bundesstaaten Colorado und Washington durchgesetzt. Fast die Hälfte aller US-Bundesstaaten hat Cannabis für medizinische Zwecke freigegeben, und in 17 Bundesstaaten wurde der Besitz für den Eigenbedarf entkriminalisiert.

Im Grunde stimmen alle Beobachter darin überein, dass der Drogenkrieg versagt hat. Während die Preise für Drogen sinken, die mit jedem weiteren Jahr reiner werden, verfeuern die Regierungen jährlich geschätzte 100 Milliarden Dollar für die Umsetzung der Drogengesetze. Die Vereinten Nationen geben den Wert des illegalen weltweiten Drogenhandels mit 350 Milliarden Dollar an.

In ihrem neuen Bericht bietet die Weltkommission für Drogenpolitik eine Vielzahl allgemeiner Empfehlungen an. So rät sie zu einer fundamentalen Neuorientierung der bisherigen strategischen Prioritäten. Bisherige Zielsetzungen und Maßnahmen müssten überdacht und um "weitaus wichtigere" Bezugsgrößen wie der Gefahr tödlicher Überdosen, HIV-Infektionen, Kriminalität, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und der Macht des organisierten Verbrechens als Profiteure der illegalen Handels erweitert werden.

Zusätzlich spricht sie sich für einen gleichberechtigten Zugang zu wichtigen Medikamenten, für eine Regulierung der Märkte für einige ausgewählte Drogen und für Alternativen zum Strafvollzug in Fällen aus, in denen es sich bei den Akteuren des illegalen Drogenhandels um gewaltfreie 'kleine Fische' wie Bauern und Drogenkuriere handelt.


Strategien statt Gewalt

Darüber hinaus fordert der Bericht die Staaten auf, in dem Bemühen, die Macht der kriminellen Organisationen zu brechen, strategischer als bisher vorzugehen. Er weist ferner darauf hin, dass militarisierte Razzien zu mehr krimineller Gewalt und Unsicherheit führen würden, ohne die Produktion, den Handel und Konsum von Rauschgiften einzudämmen.

Langfristig sei es ratsam, die Regulierung der Drogenmärkte den Regierungsbehörden zu überantworten, wolle man der organisierten Kriminalität das Wasser abgraben. Eine andere Möglichkeit gebe es nicht. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/global-commission-urges-decriminalisation-of-drug-use/

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IPS-Tagesdienst vom 10. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2014