Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

INTERNATIONAL/100: Brasilien - Mutmaßlicher Auftraggeber von Mord an Landaktivisten freigesprochen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2013

Brasilien: Mutmaßlicher Auftraggeber von Mord an Landaktivisten freigesprochen

von Fabiola Ortiz


Bild: © Fabiola Ortiz/IPS

Proteste gegen Ermordung zweier Umweltaktivisten
Bild: © Fabiola Ortiz/IPS

Marabá, Brasilien, 8. April (IPS) - In Brasilien hat die Entscheidung eines Gerichts, den mutmaßlichen Auftraggeber der Morde an den beiden bekannten Umweltschützern José Claudio Ribeiro da Silva und Maria do Espiritu Santo freizusprechen, im In- und im Ausland Empörung ausgelöst.

In diesem Jahr sind in Brasilien insgesamt sechs Prozesse geplant, bei denen es um Landstreitigkeiten geht - die Hauptursache für die Gewalt in dem größten südamerikanischen Land.

Der 54-jährige Ribeiro da Silva und seine 53-jährige Frau waren im Mai 2011 während einer Motorradfahrt durch den Amazonas im Norden von Pará in einen Hinterhalt geraten und erschossen worden. Dem sterbenden da Silva schnitten die Mörder ein Ohr ab. Beide Opfer hätten keine Chance gehabt, diesem gemeinen Verbrechen zu entkommen, hieß es in dem am 4. April von Richter Murilo Lemos Simão verlesenen Urteil.

Dass der Mord an dem Paar im Zusammenhang mit Landstreitigkeiten stand, wirkte sich für die beiden Täter strafverschärfend aus. Sie wurden in der Stadt Marabá zu 45 und 42 Jahren Haft verurteilt. Der mutmaßliche Drahtzieher des Verbrechens, José Rodrigues Moreira, wurde jedoch aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Angeklagten 70 Jahre Haft gefordert.

Als Prozessbeobachter waren Vertreter Dutzender brasilianischer und internationaler Menschenrechtsbewegungen im Gerichtssaal anwesend. Im Bundesstaat Pará wird in ganz Brasilien die größte Zahl von Landkonflikten verzeichnet. Etwa 200 Menschen hielten eine Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude ab, das neben einer Amazonas-Schnellstraße liegt. Als die Urteile verlesen wurden, verbrannten Aktivisten und Landarbeiter Kreuze und warfen Steine gegen die Fenster des Gerichtsgebäudes.

"Das Urteil ist keine Überraschung. Diejenigen, die Gründe für einen Mord haben, werden einfach freigesprochen", kommentierte der Leiter der brasilianischen Organisation 'Terra de Direitos', Antônio Escrivão Filho, die Entscheidung des Gerichts.


Proteste gegen Landbesetzung durch Holzfäller

Ribeiro da Silva, von seinen Freunden 'Zé Castanha' genannt, und seine Frau waren Gemeindeführer und Umweltschützer, die sich in Praia Alta Piranheira für ein Projekt über nachhaltige Landwirtschaft engagiert hatten. Die Siedlung liegt 500 Kilometer von Belém, der Hauptstadt von Pará, entfernt.

Seit 2005 kämpfte das Paar gegen die illegale Inanspruchnahme eines 22.000 Hektar großen Grundstücks durch Holzfäller und Holzkohleproduzenten. Praia Alta Piranheira hat bereits 75 Prozent seines Baumbestands verloren.

Der Doppelmord steht in Verbindung mit einem 150 Hektar großen Grundstück, das der Großgrundbesitzer Rodrigues illegal erworben hatte. Das Paar hatte die Vertreibung von drei Familien verhindert, die auf dem Land leben. Nach der Ermordung der beiden Aktivisten gingen die Schikanen gegen die drei Familien weiter, die inzwischen das Landstück verlassen haben. Auch die Familien der beiden Mordopfer, die gegen die Täter ausgesagt hatten, leben in ständiger Lebensgefahr.

Staatsanwalt Danyllo Pompeu Collares kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. "Die Gesellschaft ist noch nicht darauf vorbereitet, dem Verantwortlichen für die Morde die Schuld zu geben. Zu groß ist die Angst vor seiner finanziellen Macht und seinem politischen Einfluss", erläuterte er. "Die Angehörigen der beiden Opfer werden so lange bedroht sein, wie Rodrigues auf freiem Fuß ist."

Der Süden und Südosten von Pará gelten als besonders gefährliche Regionen Brasiliens. Nach Angaben der katholischen Pastoralen Landkommission (CPT) wurden seit 1985 im Zusammenhang mit Landdisputen 1.645 Morde begangen. Nur 100 wurden vor Gericht verhandelt, und in lediglich 22 Fällen wurden die Drahtzieher der Verbrechen schuldig gesprochen.


Abschreckende Strafen gefordert

"Das Rechtssystem in Pará ist sehr konservativ", betonte der Bürgermeister von Marabá, João Salame. "Die Strafen müssen hart sein, um abschreckend wirken zu können."

Atila Roque, Leiter des Brasilien-Büros von 'Amnesty International', warf dem brasilianischen Staat vor, die beiden verdienten Aktivisten vollständig im Stich gelassen zu haben. "Das ist schockierend und beschämend zugleich." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://terradedireitos.org.br/en
http://www.cptnacional.org.br/
http://www.amnesty.org/en/region/brazil
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102624
http://www.ipsnews.net/2013/04/incomplete-justice-in-killings-of-amazon-activists/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2013