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WOHNEN/218: Wessen Stadt, wessen Raum? - Solidarische Wohnungspolitik (spw)


spw - Ausgabe 3/2018 - Heft 226
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Wessen Stadt, wessen Raum? - Solidarische Wohnungspolitik
Einleitung zum Schwerpunkt

von Kai Burmeister und Stefan Stache(1)


Ob Demonstrationen tausender Menschen gegen Mietsteigerungen, Hausbesetzungen direkt betroffener Menschen oder Vorschläge für ein gemeinwohlorientiertes Bodenrecht(2): Die sich verdichtenden Proteste und Mobilisierungen der letzten Jahre verweisen darauf, wie sehr Wohnen zum Thema geworden ist. Konkret sind es steigende Mieten, die die Lebensweise bis weit in die Milieus der Mittelklasse in Ballungsräumen beeinträchtigen oder bedrohen. Wird Wohnen in den Städten zum Luxusgut für wenige Einkommensreiche?

Zwar zeigte sich soziale Ungleichheit schon immer in der Lage und dem Zustand von Wohnungen und der sozialen Strukturen in den Stadtteilen. Die Möglichkeit und die Art und Weise, mit der sich Menschen Wohnraum an eignen können, hängt mit ihrer sozialen Position zusammen. Allerdings sind die Verteilungskämpfe um den städtischen Raum gewachsen und vertiefen soziale Spaltungen. In zunehmend polarisierten Städten machen soziale Entmischung und Verdrängung angestammter MieterInnen die Ungleichheiten sichtbarer.

Während sich privilegiertere Milieus nach unten abgrenzen, geht es für einen Teil der mittleren Milieus nicht selten um ihre soziale Respektabilität, wenn die inneren Städte für Wohnungssuchende oder die gemietete Wohnung unbezahlbar werden oder der Verdrängungsdruck nach Luxusmodernisierungen unerträglich wird. Sie sind zunehmend auf weniger oder nicht attraktive Randlagen angewiesen und müssen die Erfahrung machen, dass weder Politik noch das Mietrecht sie wirksam schützen. Wer dagegen die materiellen Ressourcen besitzt, sich den gewünschten Wohnraum anzueignen, festigt seine soziale Position vor allem auch durch die Kontakte und Beziehungspflege, welche die Nähe zu bestimmten Gruppen und Dienstleistungen ermöglichen. Sie sind, wie es Pierre Bourdieu herausarbeitet, in der Lage, sich den bevorzugten Orten und Menschen dauerhaft zu nähern oder sich von unliebsamen fern zu halten. Ohne entsprechende Ressourcen sehen sich Menschen dagegen an wenig gefragte Orte gekettet.(3)

Eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie der HU Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere in wachsenden Großstädten ein Mangel an Wohnraum entsteht - und zwar in erster Linie ein Mangel an kleineren Wohnungen. Menschen mit geringeren Einkommen haben demnach pro Kopf generell weniger Wohnfläche zur Verfügung und leben in schlechter ausgestatteten Wohnungen. Trotzdem liegt ihre Mietbelastungsquote deutlich über der von wohlhabenderen Haushalten. Das liegt daran, dass die Mieten auch für Wohnungen mit geringem Standard häufig relativ hoch sind. Außerdem stellen die Verfasser der Studie fest, dass inzwischen 40 Prozent der Haushalte in deutschen Großstädten mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für Mieten ausgeben.(4)

Bis in die 90er Jahre federten die wohlfahrtsstaatlichen Instrumente, zum Teil auch der Bevölkerungsrückgang, den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und städtischem Wohnraum noch ab. Mit dem Jahrzehnt der Entstaatlichung (Bofinger) änderten sich auch die wohnungspolitischen Grundlinien. In den 2000er Jahren verkauften Post und Bahn viele Wohnungen und viele Kommunen trennten sich von Teilen ihrer öffentlichen Wohnungsbestände. Auch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften orientierten sich zunehmend in die Richtung neoliberaler Marktlogiken. Die Anzahl der Sozialwohnungen, die seit den 90er Jahren bereits gesunken war, fiel von 2006 bis 2016 um 830.000 auf 1,24 Millionen.(5) Der Bau von Sozialwohnungen liegt auf einem zu geringen Niveau. Als Antwort auf den steigenden Wohnungsbedarf wurde auf private Initiativen gesetzt. Im Zuge der Dynamik wachsender Städte und Immobilienspekulation trug diese z. T. auch von der SPD betriebene marktorientierte Strategie wesentlich zu immer knapperem und unerschwinglichem Wohnraum bei. Einige sozialdemokratische Stadtregierungen wie in Hamburg und Berlin leiteten seit Beginn dieses Jahrzehnts eine Wende ein und setzten wieder - allerdings mit unterschiedlichem Erfolg - auf die Regulierung ihrer Wohnungsmärkte. Die letzte große Koalition erhöhte die Mittel für die soziale Wohnraumförderung. Damit reagierte die SPD auf den Druck auch aus ihren Wählermilieus, die bezahlbaren Wohnraum nicht als individuelles Problem, sondern als öffentliche Aufgabe verstehen. In Teilbereichen führten die Investitionen in dem Wohnungsbau zu Erfolgen. In Hamburg beispielsweise stieg die Zahl der jährlich fertig gestellten Wohnungen von rund 3.700 im Jahr 2011 auf rund 8.500 im Jahr 2015 und rund 7.700 im Jahr 2016.(6) Die Stadt verfügt mit ihrer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft SAGA GWG über einen wichtigen Player am Wohnungsmarkt und flankierte ihre Wohnungsbaupolitik durch ein korporatistisches Bündnis mit Mietervereinen und der Wohnungswirtschaft. Sie legte Quoten für Sozialwohnungen im Neubau fest und nutzte rechtliche Instrumente, wie die soziale Erhaltungsverordnung und die Umwandlungsverordnung, u.a. um die Umwandlung von Miet- in teure Eigentumswohnungen zu verhindern oder einzuschränken. Im Gegensatz dazu steht beispielsweise das grünregierte Stuttgart, für das das Institut der Deutschen Wirtschaft einen Bedarf von 5.000 neuen Wohnungen im Jahr ausweist. Dort wurden allerdings im letzten Jahr nicht einmal 2.000 Einheiten fertig gestellt,(7) von aktiver Wohnungspolitik für geringe und mittlere Einkommen keine Spur.

Mit der Mietpreisbremse aus der letzten Legislaturperiode sollte dem Preisanstieg Einhalt geboten werden, in der Realität ist aber kaum eine preisbegrenzende Wirkung festzustellen. Zudem reichen die Investitionen des Bundes kaum aus, die lt. dem Deutschen Mieterbund bundesweit fehlenden eine Millionen Wohnungen zu erreichen. Das Problem verschärft sich dadurch, dass jährlich 50.000 bis 60.000(8) Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, obgleich sie angesichts des Zuzugs und wachsender sozialer Ungleichheit an den Wohnungsmärkten in einigen Ballungsräumen dringend benötigt werden.

In der Dynamik des wachsenden Zuzugs und Immobilienspekulation hingegen profitieren auch große Immobilienunternehmen und Fonds von den mit öffentlichen Mitteln oder durch kulturelle Arbeit aufgewerteten Stadtteilen oder von mit Fördermitteln errichteten Sozialwohnungen, die aus der Bindung fallen. Die Bodenrendite erhöht sich selbst ohne Investitionen.

Es drängt sich die Frage auf, ob die Wiederentdeckung des sozialen Wohnungsbaus und korporatistische Bündnisse sowie die moderaten Maßnahmen der Mietpreisregulierung ausreichen, um die sich abzeichnenden sozialen Ungleichheiten der neuen Wohnungsfrage zu bremsen oder wieder zu verringern. In den progressiven Debatten um Wohnungspolitik haben Forderungen nach einem kommunalen Wohnungsbau oder der wirksamen Regulierung der Preise daher an Auftrieb gewonnen. An dieser Stelle lohnt sich eine Rückschau auf die Wohnungspolitik im sozialdemokratisch geprägten Wien. Das "Rote Wien" steht wie kein anderer Begriff für die sozialdemokratische Antwort auf die Wohnungsnot der Arbeiterschaft in den 1920er Jahren. Im Mai 1919 bekommt Wien als erste Millionenstadt eine sozialdemokratische Mehrheit im Rathaus und diese wird für eine offensive Wohnungsbaupolitik verwendet. Es entstehen in Wien in den Jahren 1919 bis 1934 rund 64.000 Wohnungen in rund 380 Gemeindebauten wie der Karl-Marx-Hof. Auch wenn Wohnraum damals Mangelware war, wurde nicht einfach nur auf Menge gesetzt gebaut, sondern es wurden entlang dem Grundsatz "Licht, Luft und Sonne" auch großzügige Flächen für Freizeit von Jung und Alt geschaffen sowie eine Infrastruktur (Wäschereien, Kindergärten u.a.) aufgebaut. Finanziert wurden diese kommunalen Wohnungsbauten durch ein sozial gestaffeltes Steuersystem, eine zweckgebundene Wohnbausteuer sowie durch Luxusabgaben.

Jene historischen Erfahrungen mit dem solidarisch finanzierten Wohnungsbau, der die Interessen und Bedürfnisse der Arbeitermilieus repräsentierte, regen zu Debatten an, die weit über die Ankurbelung des Wohnungsbaus hinausreichen. Weder die schlichte Feststellung, Wohnraum ist in begehrten Städten ein knappes Gut, noch die einfache Forderung, mehr bauen, können für die sozialdemokratische Linke spezifisch sein. Zwar muss mehr für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen gebaut werden. Es geht jedoch auch darum, die Eigentumsfrage zu stellen. Heribert Prantl führt hierzu aus: "Es geht um die Umsetzung des Artikels 14 Absatz 2 Grundgesetz: "Eigentum verpflichtet". [...] Ich bin daher der Meinung, dass Grundstücke von der öffentlichen Hand an privat gar nicht veräußert werden dürfen. Grund und Boden darf, aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen, an privat nur per Erbbaurecht vergeben werden."(9) Prantl plädiert für eine am Allgemeinwohl orientierte Boden- und Immobilienpolitik, dies ist ein klarer Auftrag für fortschrittliche Wohnungspolitik in der Kommune sowie im Bund. Eine deutlich stärkere Rolle des kommunalen Wohnungsbaus sollte ein weiteres Element einer Strategie sein, den demokratischen Einfluss auf den Wohnungsmarkt und die Wohnraumversorgung zurückzugewinnen und auszubauen. Der Wohnungsmarkt muss durch öffentliches Eigentum, steuerliche Instrumente sowie das Bau- und Mietrecht wirksamer als bislang reguliert und im Sinne wohlfahrtsstaatlicher Ziele gesteuert werden. So geht es im Steuerrecht um neue Instrumente wie die Bodenwertsteuer, im Mietrecht wesentlich um den Schutz vor unbezahlbaren Mieten.

Darüber hinaus verdeutlichen immer wieder auftretende Konflikte um den Wohnungsneubau und vor allem bei Luxusprojekten, dass eine sozial-integrative Wohnungspolitik demokratische Beteiligungsmöglichkeiten weiter öffnen und politisches Vertrauen aufbauen muss. Hinter den Vorbehalten von AnwohnerInnen gegenüber Neubauprojekten stehen nicht nur klientelistische Interessen. Sie können auch auf der Erfahrung beruhen, nicht gleichrangig mit den Interessen der Investoren Gehör zu finden oder keinen maßgeblichen Einfluss auf das Projekt zu haben. Viele sind skeptisch, weil die Politik Verdrängung und dramatische Preisanstiege mitverursacht hat oder erlebten, dass sich die sozialen Schieflagen am Wohnungsmarkt auch nach den versprochenen Entlastungen nach dem Wohnungsneubau vertieften.

In dem Ruf nach einem "Recht auf Stadt" artikulieren sich auch die wachsenden Bedürfnisse nach demokratischer Teilhabe als Teil der kulturellen und materiellen Lebensqualität. Daher ist eine sozialintegrative Wohnungspolitik gefragt, die jenseits von Klientilismus über diskursive Räume hinaus Mitentscheidung auf Augenhöhe anbietet und die Gestaltungsmöglichkeiten auch für weniger privilegierte Gruppen an Bauprojekten im Alltag erfahrbar macht. Es ist zudem ein langfristiger Prozess, das Vertrauen durch eine sozial gerechtere Wohnungspolitik zurückzugewinnen.

In diesem Schwerpunkt möchten wir zentrale Dimensionen und Instrumente einer solidarischen Wohnungspolitik skizzieren. Hierfür wollen wir zum einen die ökonomischen Dynamiken des deutschen Wohnungsmarktes analysieren. Gewinne von über einer Milliarde Euro für Wohnungsunternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia zeigen, dass in dieser Branche viel Geld zu verdienen ist. Umso mehr müssen die auf den Weg gebrachten Instrumente zur Deckelung der Profitorientierung kritisch hinterfragt werden. Zum anderen sollen aus einer akteursorientierten Sicht von unten die Bedürfnisse der sozialen Milieus an das Wohnen und die Mechanismen der Gentrifizierung im Alltag herausgearbeitet werden. Darüber hinaus nehmen wir die Konflikte um den Wohnungsneubau und demokratische Beteiligungsmöglichkeiten in den Blick.

Für die spw-Redaktion steht fest, eine neue Politisierung der Wohnungsfrage ist notwendig und diese Auseinandersetzung muss auch in den Prozess der Erneuerung der Sozialdemokratie einfließen. Vorbild könnte die in den 1990er Jahren durchgeführte Juso-Kampagne "Miethaie zu Fischstäbchen" sein. Selbstverständlich geht es mit diesem historischen Verweis nicht darum, die alten Plakate aus den Archiven zu holen. Neu nachzudenken über die damalige Kampagne ist deshalb lohnenswert, weil sie die Interessen von MieterInnen in Konflikt zu den Renditevorstellungen der Investoren stellte und sich für das Recht auf gutes Wohnen stark machte. Dieser Grundsatz ist für das Jahr 2018 aktueller denn je.

Die Beiträge des Schwerpunktes im Einzelnen:

Annette Spellerberg setzt sich mit städtischen Milieus bzw. Lebensstilgruppen und deren Bedürfnissen an das Wohnen auseinander. Urbanität bedeute die Auseinandersetzung mit Fremden und die Einübung von Toleranz. Im Zuge der wachsenden Größe von Städten nehme die Variation an Lebensformen, Subkulturen und Gelegenheiten, aber auch räumliche Segregation zu. Mit dem Konzept der sozialen Milieus und Lebensstile werden in der neueren soziologischen Debatte die größeren Wahlmöglichkeiten erfasst, die teilweise quer zu den sozialstrukturellen Ungleichheitskonzepten (Klasse, Schicht) liegen. Auch wenn das Einkommen nach wie vor den Zugang zu Wohnlagen, Wohnungsgrößen und Ausstattungen bestimmt, sind die verschiedenen Wohnmotive ein wichtiger Faktor für innerstädtische Differenzierungen. Der Gentrifikationsprozess als Wandel von Stadtgebieten zugunsten besser gestellter Bevölkerungsgruppen wird in der Forschung als Konflikt zwischen verschiedenen Lebensstilgruppen interpretiert. Nach neuesten Studien nehmen sozialräumliche Spaltungen in den Städten zu. Stadtpolitisch entscheidend sei, so die Autorin, dass diejenigen Milieus Gehör fänden, die günstigen Wohnraum benötigten. Gerade sie seien jedoch politisch weniger repräsentiert als die privilegierteren Milieus, welche ihre Interessen wirkungsmächtig einbringen.

Daniel Gardemin setzt sich mit dem Preisdruck in der Stadt und der Verdrängung einkommensschwacher MieterInnen auseinander. Gentrifizierung sei ein Türöffner für Wohnungsgesellschaften, Investmentfonds und private Vermieter, die den Wandel der Städte aus ihrer interessengeleiteten Perspektive zu nutzten, um sowohl bei Neubauvorhaben als auch bei Sanierung im Bestand ihre eigenen Regeln aufzustellen. Diese Entwicklung hänge mit der Privatisierung kommunaler Wohnungen zusammen. Der empfindlichste und gleichzeitig öffentlich auch im Alltag wahrnehmbarste Bruch entstehe bei der Aushöhlung des Mietrechts. Entmietung und Zweckentfremdung seien ein Geschäftsmodell von Investoren, um Sanierungen durchführen und hohe Mieten fordern zu können. Der Autor verdeutlicht diesen Prozess anhand von Beispielen aus Frankfurt, Berlin, München und Hannover. Die durch Boden- und Leerstandsspekulation weiter angeheizte soziale Schließung des Wohnungsmarktes führe nicht nur zu Segregation und Wohnungslosigkeit, sondern entfremde die sozialen Milieus voneinander und setze sie in eine verschärfte Konkurrenzsituation. Eine kluge Stadtgesellschaft, so Gardemin, schaffe "Orte der Verständigung" und unterstütze "das Entstehen einer kulturellen Ausgestaltung der sich wandelnden Stadt." Der Autor unterbreitet Vorschläge für den Schutz der MieterInnen, die sich teils mit den Forderungen von Michael Sachs und Lukas Siebenkotten im vorliegenden Heftschwerpunkt decken.

Nach Einschätzung von Barbara Schönig und Carsten Praum findet auf dem Gebiet der sozialen Wohnraumversorgung diskursive Beteiligung in vielen Räumen statt - echte demokratische Teilhabe hingegen kaum. Der Volksentscheid gegen die Randbebauung des Tempelhofer Feldes fiel negativ aus, weil der Berliner Senat es nicht habe glaubhaft darstellen können, dass die geplanten Wohnungen für mittlere und niedrige Einkommen erschwinglich seien. Gerade am Beispiel der sozialen Wohnraumversorgung zeigten sich die Schwächen konsensorientierter kommunikativer Verfahren, die Ausgrenzungsmechanismen und Vereinnahmungstendenzen beinhalteten und die wenig Raum für die demokratisch legitimierte Entscheidungen über fundamentale Interessensgegensätze böten. "Bündnisse für Wohnen" oder "Bündnisse für Quartiere" könnten daher kaum mehr als diskursive Foren sein. Gleichwohl sollten sie zum Gegenstand demokratisch legitimierter Entscheidungen gemacht werden. Ein ernsthafter kooperativer Dialog im Bündnis bedürfe der Transparenz über die Reichweite von Entscheidungen, die Rollen und Kompetenzen ihrer Akteure. Als Alternative zu den üblichen Beteiligungsformaten heben die AutorInnen Basisinitiativen wie die "Stadt von unten" hervor, die die Privatisierung des Dragoner-Areals in Berlin-Kreuzberg verhindert hat. Diskurse und die Entscheidungen über Wohnungspolitik müssten auf den unterschiedlichen Ebenen bis in das Quartier ausgeweitet und demokratisiert und hierbei die soziale Dimension der Wohnungsfrage ins Zentrum gestellt werden.

Sebastian Gerhardt plädiert für öffentliche Investitionen zum Aufbau eines kommunalen Wohnungsbestands, der dauerhaft im öffentlichem Eigentum verbleibt. Dieser Wohnungsbau solle der sozialstaatlichen Maxime folgen, wonach öffentliche Aufgaben in die öffentliche Hand gehören, die eingesetzten Mittel möglichst nachhaltig verwendet werden und eine Bereicherung privater AkteurInnen ausgeschlossen wird. Es dürften nicht wieder private EigentümerInnen von einer sozialen Wohnraumförderung mit befristeten Belegungsbindungen und Mietgrenzen profitieren. Der Aufbau eines öffentlichen Wohnungsbestands ziele auf einen Ausbau des Sozialstaats und eine Wohnungspolitik, die die Wohnbedingungen für die Mehrheit verbessert, nicht auf eine residuale Versorgung "einkommensschwacher Haushalte". Der Bund könne den kommunalen Wohnungsbau auch mittels Krediten finanzieren und mit einem Sofortprogramm von mindestens 100.000 neuen Wohnungen pro Jahr starten. Hierfür müssen die kommunalen bzw. landeseigenen Wohnungsunternehmen auf- bzw. ausgebaut werden.

Stefan Bach und Claus Michelsen setzen sich mit der neu zu gestaltenden Grundsteuerreform auseinander und stellen verschiedene Modelle der Grundsteuerberechnung vor. Die Autoren favorisieren die Bodenwertsteuer u.a. aus dem Grund, weil sie an die Wertsteigerungen oder -verluste der Immobilien gekoppelt sei. Nicht zuletzt unterstütze sie siedlungs- und umweltpolitische Ziele. Bei vermieteten Grundstücken verringere die Fokussierung der Grundsteuer auf den Bodenwert deren Überwälzung auf die MieterInnen. Allerdings sehen die Autoren im Detail auch Probleme für die Umsetzung.

Michael Sachs skizziert zentrale Entwicklungsdynamiken und die Ursachen von Preisanstiegen und Verdrängung v.a. in den Innenstädten und angesagten Stadtteilen und fordert u.a.:

• neue Impulse für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik unter Nutzung der Steuerungsinstrumente Planungs-, Boden- und Steuerrecht.

• Staatliche Grundstückeankäufe, solange sie noch billig sind sowie Unterstützung des Bundes für Länder und Kommunen beim Aufbau kommunaler Grundstücksfonds

• Einführung einer progressiven Grundsteuer C im Rahmen einer Grundsteuerreform für nicht genutzte Baugrundstücke

• Diskussion über die Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer

• Einführung einer Wohnraumsteuer gegen die Fehlallokation von Wohnfläche (Berechnung auf die Wohnfläche pro Person, Freigrenze z.B. von 40 m² pro Person)

• Einbindung immobilienwirtschaftlicher Akteure, etwa in Form lokaler Bündnisse unter Einbeziehung aller Immobilien- und Mieterverbände

• Steigerung des geförderten Wohnungsbaus und Quoten für Sozialwohnungen in jedem Neubauprojekt

• Soziale Erhaltenssatzungen oder das Verbot von
Luxusmodernisierungen und gemeindliche Vorkaufsrechte

Lukas Siebenkotten kritisiert die zu niedrigen Investitionen des Bundes in den sozialen Wohnungsbau und fasst zentrale Forderungen des Deutschen Mieterbundes zusammen. Investoren sollen die Sonderabschreibung nur beanspruchen können, wenn sie entsprechend vom Gesetzgeber festgelegte Mietobergrenzen nicht überschreiten. Notwendig sei eine gemeinwohlorientierte Boden- und Liegenschaftspolitik, um Bauland zu aktivieren, vor allem aber auch, um die inflationäre Preisentwicklung zu stoppen. Öffentliche Grundstücke des Bundes oder der Länder sollten nur an Kommunen verkauft werden - und das deutlich unter dem Verkehrswert. Die Kommunen ihrerseits sollten Grundstücke in erster Linie städtischen Wohnungsunternehmen oder anderen gemeinwohlorientierten Unternehmen zur Verfügung stellen und vorrangig in Erbpacht vergeben. Gebraucht werde ein planungsrechtliches Instrument zur Steuerung der Bodenpreisentwicklung und zur Stärkung der kommunalen Vorkaufsrechte bzw. Eingriffsrechte. Vor allem gehe es darum, eine sozialgerechte Bestandspolitik zu entwickeln. Gegen die steigenden Mietpreise fordert der Autor u.a. die Verlängerung des Betrachtungszeitraums bei der Mietpreisbremse von vier auf beispielsweise zehn Jahre, so dass nicht nur die überteuerten, letztjährigen Vertragsabschlüsse in die Vergleichsmiete einfließen. Außerdem müsse die so genannte Kappungsgrenze deutlich abgesenkt und die Modernisierungsumlage auf vier Prozent absinken sowie eine Kappungsgrenze bei 1,50 Euro pro Quadratmeter eingeführt werden. Wohnwertverbesserungen, also zum Beispiel ein Balkonanbau oder Einbau eines Aufzugs, sollten nur im Einvernehmen mit den betroffenen MieterInnen möglich sein. Bei energetischen Modernisierungen müsse eindeutig unterschieden werden zwischen Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten bzw. -kosten und echten Modernisierungsarbeiten, die eine Mieterhöhung rechtfertigten.

Michael Groß fordert u.a. Baugrundstücke im Besitz der Städte und Gemeinden zu belassen, sozial engagierte Wohnungsunternehmen durch eine gemeinwohlorientierte Förderpolitik zu belohnen sowie mit öffentlicher Förderung gebaute Wohnungen dauerhaft sozialverträglich zu nutzen. Zudem würden neben mehr sozialem Wohnungsbau deutlich größere Bestände in öffentlicher Hand benötigt. Die Mietpreisbremse müsse über die Auskunftspflicht des Vermieters hinausreichen und flächendeckend eingeführt werden.


Anmerkungen

(1) Kai Burmeister ist Mitglied der spw-Redaktion und im Kreisvorstand der SPD Stuttgart.
Stefan Stache ist Chefredakteur der spw und lebt in Hannover.

(2) Beispielsweise www.initiative-bodenrecht.de in München.

(3) "Die Fähigkeit, den Raum zu beherrschen, hauptsächlich basierend auf der (materiellen oder symbolischen) Aneignung der seltenen (öffentlichen oder privaten) Güter, die sich in ihm verteilt finden, hängt vom Kapitalbesitz ab. Das Kapital erlaubt es, unerwünschte Personen oder Sachen auf Distanz zu halten und zugleich sich den (gerade hinsichtlich ihrer Verfügung über Kapital) erwünschten Personen und Sachen zu nähern. Hierbei werden die zur Aneignung von Kapital nötigen Ausgaben, insbesondere an Zeit, minimiert. Die Nähe im physischen Raum erlaubt es der Nähe im Sozialraum, alle ihre Wirkungen zu erzielen, indem sie die Akkumulation von Sozialkapital erleichtert, bzw. genauer gesagt, indem sie es ermöglicht, dauerhaft von zugleich zufälligen und voraussehbaren Sozialkontakten zu profitieren, die durch das Frequentieren wohlfrequentierter Orte garantiert ist. [...] Umgekehrt werden aber die Kapitallosen gegenüber den gesellschaftlich begehrtesten Gütern, sei es physisch, sei es symbolisch, auf Distanz gehalten. Die sind dazu verdammt, mit den am wenigsten begehrten Menschen und Gütern Tür an Tür zu leben. Der Mangel an Kapital verstärkt die Erfahrung der Begrenztheit: er kettet an einen Ort" (Bourdieu, Pierre u.a. (Hg.) (2005): Das Elend der Welt - gekürzte Studienausgabe. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft: 120f.)

(4) Henrik Lebuhn, Andrej Holm, Stephan Junker, Kevin Neitzel: Wohnverhältnisse in Deutschland - eine Analyse der sozialen Lage in 77 Wohnversorgungsbedarf", September 2017.

(5)Quelle: Statista.de vom 10.01.2018,
https://de.statista.com/infografik/12473/immer-weniger-sozialwohnungen-in-deutschland/

(6)Quelle: http://www.hamburg.de/bsw/presse/8786162/2017-05-17-bsw-fertigstellungen/.
Seit 2014 wurden davon jährlich über 2.000 Mietwohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen fertiggestellt.
Quelle: http://www.hamburg.de/bsw/wohnungsbau/4029174/wohnungspolitik/

(7) Bautätigkeit und Baubedarfe in Stuttgart und den Umlandgemeinden. Prof. Dr. Michael Voigtländer, Leiter Kompetenzfeld Finanz- und Immobilienmärkte, Institut der deutschen Wirtschaft Köln. 4. Oktober 2017. 
https://www.hausundgrund-stuttgart.de/pressearchiv.start,10.cPage,2.year,2017.html.
Laut der Studie bleibt auch die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in Berlin sehr deutlich hinter dem Bedarf zurück.

(8) Siehe hier zu den Beitrag von Lukas Siebenkotten im Schwerpunkt.

(9) Prantls Blick: Wie wohnen wieder bezahlbar wird. 29. April 2018,
http://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-wie-wohnen-wieder-bezahlbar-wird-1.3961851.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 3/2018, Heft 226, Seite 19-24
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2018

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