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MEINUNG/040: Volkswirtschaftliche Strukturplanung unter kapitalistischem Vorzeichen (Karl Mai)


Kurzkommentar
Zur zentralistisch-realwirtschaftlichen Strukturplanung der Volkswirtschaft unter kapitalistischem Vorzeichen

von Karl Mai, 14. April 2014



Die öffentliche Diskussion klammert die historischen Erfahrungen Deutschlands bei der zentralistisch-realwirtschaftlichen Strukturplanung der Volkswirtschaft im Kapitalismus (nach dem zweiten Weltkrieg) weitgehend aus oder vermeidet kritische Betrachtungen bzw. Analysen hierzu. Daher sind auch theoretische Wertungen zu dieser Fragestellung generell selten bzw. weitgehend unbeachtet bis unbekannt.

Umso bemerkenswerter erscheinen hierzu einige Aussagen in der neuen Veröffentlichung von Klaus Steinitz und Dieter Walter unter dem Titel "Plan - Markt - Demokratie". [1] Hieraus lassen sich einige wichtige Erkenntnisse zum vorstehend benannten Fragenkomplex gewinnen.

Steinitz/Walter erinnern sich an den gescheiterten Versuch der SPD von 1970, die wirtschaftspolitische Langzeitprognose für einen "Orientierungsrahmen '85" für Westdeutschland nutzbar zu machen. Dieses Konzept sah damals vor, neue Schwerpunkte in der Verwendung des Sozialprodukts zu setzen. Zitat: "Insbesondere die öffentlichen Investitionen für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit sollten erhöht werden", heißt es bei Steinitz/Walter auf Seite 94. "Um diese Ziele zu erreichen, wurde im Orientierungsrahmen '85 für den bevorstehenden Zeitraum ein realer Zuwachs des Bruttosozialprodukts von jährlich 5% als notwendig angesehen. Relativ rasch erwiesen sich die zugrundegelegten Wachstumsraten und die vorgesehenen Veränderungen der Verwendungsstrukturen des Sozialprodukts zugunsten der öffentlichen Investitionen als völlig illusorisch. Die durchschnittliche Wachstumsrate erreichte in den 15 Jahren 1971-1985 mit 2,2% nicht einmal die Halte der vorgesehenen Größe von 5%." (Steinitz/Walter, S. 94) Und: "So scheiterte diese kurze Phase des Versuchs einer langfristigen Planung in Westdeutschland relativ rasch an den Realitäten der am Profitstreben gesteuerten kapitalistischen Marktregulierung", heißt es dort abschließend zu dieser historischen westdeutschen Erfahrung.

Man kann heutzutage der bürokratisch-kapitalistischen Regulierung in Deutschland eher noch Chancen im Finanzsektor als in der privaten Realwirtschaft zurechnen. Letztere bleibt dem direkten, auf Eigentum begründeten Zugriff des Staates entzogen, welcher sich im Schlepptau der unternehmerischen Lobby des Bundestags befindet. Um die Größe und die Verwendung eines ausreichend hohen Staatsanteils aus dem Volkseinkommen für neue Investitionen und für die Werterhaltung der Infrastruktur streiten sich alle parlamentarischen Gruppierungen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene permanent. Dies als Folge der neoliberalen Reduzierungen des staatlichen Steueranteils seit dem Jahre 2000.

Es gibt aber auch Hinweise für die Problemlösung in der Gegenwart bei Steinitz/Walter, die hier kurz notiert werden sollen:

"Planung erfordert die Ausarbeitung, Bewertung und öffentliche Diskussion von Alternativen/Varianten sowohl zu den angestrebten Zielen als auch zu den hierfür vorgesehenen Realisierungswegen... Der Wahrscheinlichkeitsgrad des Eintreffens von Aussagen volkswirtschaftlicher Prognosen hängt ab von der realistischen Einschätzung sowohl des wissenschaftlich-technischen Potenzials, der Innovations- und Investitionskraft der Volkswirtschaft, der Entwicklung der Lebensweise und Bedürfnisstrukturen der Bevölkerung als auch von der Entwicklung der internationalen Stellung und der Integration der jeweiligen Volkswirtschaft in die transnationale und globale Arbeitsteilung." (S. 93)

Aufgrund der wechselseitigen Bedingtheit dieser vorgenannten Einflussgrößen auf die volkswirtschaftlichen Langzeitvoraussagen bedarf es eines multifaktoriellen Modells für diese langfristigen Prognosen, das m.E. in erforderlicher Qualität kaum vorliegt. Hier sei an die laufende Produktion von Fehldiagnosen des Wachstums schon für den Zeitraum weniger Jahre in voraus durch die Mehrzahl der wissenschaftlichen Ökonomie-Institute erinnert. Die Empfehlung zur strikten laufenden Diskussion und Abstimmung der Prognosen durch eine "öffentliche Debatte", dürfte der bürokratisch intendierten Bürokratie in Brüssel generell zuwider sein. Die hier etablierten Arbeitskreise für die EWU-Länder und -Regionen mit zentralwirtschaftlicher, koordinierender Aufgabenstellung stellen meist ein Konglomerat von widerstreitenden "Interessen"-Vertretern dar, die unter dem Vorwand der "optimalen Abstimmung" die jeweils ureigensten und oft ambivalenten Ziele verfolgen.

Dies erhellt, welchen Schwierigkeitsgrad die vorgeschlagene Problemlösung von Steinitz/Walter generell verkörpert, die als eine Art prognostische "Zukunftsmusik" für Deutschland erklingt.


Anmerkung:
[1] Klaus Steinitz/Dieter Walter "Plan - Markt - Demokratie", Untertitel "Prognose und langfristige Planung in der DDR - Schlussfolgerungen für morgen", VSA 2014, 221 Seiten.

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Quelle:
© 2014 by Karl Mai, Halle/S.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2014