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INTERNATIONAL/271: Brasilien - Einfluss und Aufstieg der nationalen Entwicklungsbank (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. August 2015

Brasilien: Kredite, Kenntnisse und Kontroversen - Einfluss und Aufstieg der nationalen Entwicklungsbank

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Das BNDES-Gebäude (links) in Rio de Janeiro liegt gegenüber dem staatlichen Erdölkonzern Petrobras
Bild: © Mario Osava/IPS

RIO DE JANEIRO (IPS) - In Brasilien hat der Bau von Infrastrukturprojekten wie Wasserkraftwerken, Raffinerien, Bahnlinien und Häfen in In- und Ausland in der letzten Dekade einen unerhörten Boom erlebt. Treibende Kraft war und ist die Nationale Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES). Seit Jahren versorgt sie das südamerikanische Land mit höheren Krediten als die Weltbank.

Allein im vergangenen Jahr hat das brasilianische Kreditinstitut 187,8 Milliarden Real (62,5 Milliarden US-Dollar) vergeben. Davon war ein Drittel für Infrastrukturprojekte vorgesehen. Die BNDES beschäftigt derzeit 2.881 Mitarbeiter. 85 Prozent haben einen Universitäts- und 11,4 Prozent einen Diplomabschluss.

"Die 1952 gegründete BNDES ist für Brasilien von jeher von hoher strategischer Bedeutung", berichtet der Ökonom Fernando Cardim de Carvalho, ein ehemaliger Professor an der Föderalen Universität von Rio de Janeiro. "Tatsächlich ist sie heute wichtiger denn je."


Fels in der Brandung

Wie der Experte weiter betont, hat die Bank bereits einige Trends erlebt wie den Developmentalismus des ehemaligen Präsidenten Juscelino Kubitschek (1956-1961), den autoritären Planungsstil des ehemaligen Staatschefs General Ernesto Geisel (1974-1979) und den Neoliberalismus eines Fernando Henrique Cardoso (1995-2002).

Seit Überwindung der Militärregime der Jahre 1964 bis 1985 ist die staatliche Einflussnahme auf Planungs- und Finanzentscheidungen kontinuierlich zurückgegangen. "Doch die BNDES ist der letzte Mohikaner, der die Wirtschaftspolitik des Landes - wenngleich in eingeschränkten Bereichen - mitgestalten kann", versichert Cardim de Carvalho im IPS-Gespräch.

Das Planungsministerium sei inzwischen auf die Rolle einer Aufsichtsbehörde reduziert, die die Mittelverwendung kontrolliere. Im Verlauf der Erosion des öffentlichen Dienstes hätten im Wirtschaftsbereich lediglich zwei Institutionen überlebt: die BNDES und die Zentralbank, fügte der Experte hinzu.

Die für die Finanzierung von Infrastrukturarbeiten unerlässliche Kreditanstalt sei aber nicht länger in der Lage, mit den Investitionsbedürfnissen Brasiliens Schritt zu halten. Zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten seien erforderlich.

Dass die Regierung für die Formulierung der allgemeinen Strategien zuständig ist, hält Cardim de Carvalho für einen Fehler, da sie die BNDES als Instrument ihrer antizyklischen Politik missbrauche.

Die Kritik des Wirtschaftswissenschaftlers richtet sich vor allem auf die beschleunigte Umsetzung von Projekten mit Steuergeldern, die der Bank zugeleitet werden, um das Wirtschaftswachstum nach Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 in Gang zu halten. "Eigentliche Aufgabe der Bank ist die langfristige Förderung von Projekten zur Stärkung der Produktivsysteme. Sie mit anderen Aufgaben zu betrauen und von nationalen Finanzmitteln abhängig zu machen, ist höchst bedenklich", betonte Cardim.

Die Kritik des ehemaligen BNDES-Manager Mauricio Dias David richtet sich vor allem gegen unkontrollierte Vergabe von Krediten zur Finanzierung inkohärenter Projekte und von Fehlinvestitionen wie die für die Fußball-WM 2014 gebauten oder renovierten Stadien, weil man sie als antizyklisch eingestuft habe.


Bild: © Mario Osava/IPS

Stadtteil von Altamira im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará, der von BNDES-finanzierten Megaprojekten besonders betroffen ist
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"Als die BNDES noch in den Kinderschuhen steckte, zeichnete sie sich durch ein hohes Maß an Kreativität und Tragfähigkeit aus. Diese Eigenschaften sind im Verlauf ihres Wachstums und einer zunehmenden Bürokratie verloren gegangen", bedauerte Dias David, Wirtschaftsprofessor an der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro. Schlecht entworfene Projekte würden gebilligt und es stehe zu befürchten, dass deren Kosten und Insolvenzen in Zukunft weiter zunehmen würden.

Unter der Präsidentschaft von Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011) und seiner Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff hat sich die Finanzierungsleistung der BNDES versechsfacht. Außerdem hat sich die Zahl der Bankangestellten in 21. Jahrhundert nahezu verdoppelt. 35,8 Prozent der Beschäftigten sind Frauen.


Als Arbeitgeber gefragt

Angesichts der guten Verdienstmöglichkeiten und Arbeitsplatzstabilität bewerben sich die besten Universitätsabsolventen bei der staatlichen Entwicklungsbank. "Die BNDES ist von allen staatlichen Einrichtungen in Rio de Janeiro der beste Arbeitgeber", so der BNDES-Berater Marcelo Miterhof.

Dem Wirtschaftswissenschaftler zufolge ist ein Job bei der Bank auch deshalb interessant, weil die Mitarbeiter Kenntnisse im Bankenwesen und in der Projektfinanzierung erwerben und Kontakte zu Unternehmen und Menschen unterschiedlicher Sachbereiche aufbauen.

"Unsere Leute sind vielleicht keine Spezialisten in Bereichen wie Energie oder Logistik. Dafür haben einen Blick für das große Ganze", fügte er hinzu.

Als Arbeitgeber biete die BNDES ihren Mitarbeitern zudem die Möglichkeit, sich in Seminaren und Diskussionsrunden Zusatzwissen anzueignen. So gebe es die 'Wissenscafés' - Foren, in denen sich die Mitarbeiter von internen und externen Experten über verschiedene Themen wie etwa Windenergie informieren lassen könnten. Auch hätten die Mitarbeiter durch einen Arbeitsplatztausch Gelegenheit, sich einen Einblick in die Arbeit anderer Regierungsbehörden zu verschaffen. Die Bank selbst konzentriert sich auf 20 Bereiche wie Infrastruktur, Außenhandel, Umwelt, strategische Planung und Wirtschaftsforschung.

Außerdem veröffentlicht die das Kreditinstitut eine Vierteljahresschrift mit Beiträgen von internen und externen Experten.

Laut Miterhof wird die BNDES nicht von sich aus aktiv, sondern auf Initiative von Kunden. Nur hin und wieder schlägt sie eigene Projekte vor, etwa zur Modernisierung von Finanz- und Bürgerdienstleistungen.

Seit den 1970er Jahren ist die BNDES-Arbeit um die ökologische Dimension erweitert worden. Zunächst kam es zu einer Zusammenarbeit mit den brasilianischen Umweltbehörden. Später erfolgte die Gründung einer Leitstelle, die die Umweltverträglichkeit interner Projekte und Strategien begutachtete. In den 1990er Jahren wurde diese Stelle in den Rang einer richtigen Abteilung erhoben. Auch verfügen die Ausschüsse, die Kreditanträge sammeln sowie Resolutionen und Richtlinien zustimmen, über Umweltspezialisten.


Ökologische Dimension

Seit dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 hat die BNDES ihre Umweltprojekte erheblich ausgebaut. So verwaltet die Bank unter anderem den 'Amazonienfonds' zur Finanzierung von Regenwaldprojekten wie das Programm 'Ökologische Restauration'. Es fördert die Sanierung von Ökosystemen wie dem 'Mata Atlántica', dem Atlantikwald an der brasilianischen Ostküste, der Pampa im Süden und der Savannenlandschaft des 'Cerrado' im Landesinnern.

Die ökologische Dimension ist in allen Bereichen und Stadien der BNDES-Projektfinanzierung erkennbar.

Mit Blick auf das Belo-Monte-Kraftwerk hatte sich die BNDES bemüht, sämtliche Probleme im Vorfeld der Bauarbeiten aus der Welt zu schaffen. Entsprechend hoch waren die Auflagen für den Bau des 11.330-Megwatt-Kraftwerks in einer armen Region.

"Die Mobilisierung einer gut organisierten Zivilgesellschaft, die sich intensiv an den Plenarsitzungen über den lokalen Entwicklungsplan beteiligt hat, war beeindruckend", berichtete die BNDES-Planungsexpertin Ana Maria Glória. (Ende/IPS/kb/14.08.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/05/mucho-dinero-conocimiento-y-polemicas-en-el-bndes-brasileno/
http://www.ipsnews.net/2015/08/money-knowledge-and-controversy-in-brazils-development-bank/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2015

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