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INTERNATIONAL/266: Zentralamerika - Zwei Kanäle, ein gemeinsamer Traum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Juli 2015

Zentralamerika: Zwei Kanäle, ein gemeinsamer Traum

von Iralís Fragiel


Bild: © Iralís Fragiel/IPS

Der blinde Junge Nicholas Suchecki Guillén erfüllte sich mit dem Besuch der Baustelle in Cocolí einen Traum
Bild: © Iralís Fragiel/IPS

PANAMA-STADT (IPS) - Nicholas Suchecki Guillén ist blind. Für den elfjährigen Jungen ging ein großer Wunsch in Erfüllung. Er konnte die Baustelle der dritten Schleusenanlage des Panamakanals besuchen, die größeren Schiffen als bisher die Durchfahrt zwischen Atlantik und Pazifik ermöglichen soll und sich als Teil dieses Projekts fühlen, das einen neuen Abschnitt in der Geschichte seine Landes einläutet. Der Junge kam mit der letzten Besuchergruppe nach Cocolí, bevor am 22. Juni das Gelände nahe der Pazifikküste geflutet wurde.

Von der Erweiterung des Kanals verspricht sich die Regierung des zentralamerikanischen Landes einen Wirtschaftsaufschwung. "Zwischen 2000 und 2014 hat der Kanal den Staatskassen bereits mehr als neun Milliarden US-Dollar eingebracht. Dank der neuen Schleusentore könnten sich die Jahreseinnahmen auf jährlich drei Milliarden Dollar belaufen", sagt Luis Ferreira, Sprecher der Kanalbehörde ACP.

Die Bauarbeiten, die im September 2007 begannen, sind inzwischen zu 90 Prozent abgeschlossen. Die Investitionen belaufen sich auf 5,25 Milliarden US-Dollar. Im ersten Quartal 2016 soll der erweiterte Kanal in Betrieb genommen werden. Mit Hilfe dieses Megaprojekts hofft Panama die Zahl der täglich verkehrenden Schiffe von 35 bis 40 auf 48 bis 51 zu erhöhen. Bis jetzt können den Kanal Schiffe mit einer Ladekapazität von 4.600 Standardcontainern (TEU) befahren. Nach Abschluss der Erweiterung sollen auch Schiffe mit bis zu 12.000 TEU Ladung passieren können.


Genug Platz für das Empire State Building

Die neuen Schleusen werden 427 Meter lang und 55 Meter breit und mit Rolltoren versehen sein. Würde man das Empire State Building in New York inklusive seiner Antenne flach hinlegen, würde es ohne Probleme dort in das Schleusensystem hineinpassen. Für jedes Schiff, das durch den Kanal fährt, werden etwa 197 Millionen Liter Wasser aus dem Gatún-See benötigt. Wenn die zusätzlichen Schleusen in Betrieb genommen sein werden, sinkt der Wasserbedarf um mindestens sieben Prozent.

Es gibt aber auch Kritik an dem Projekt. So steht nach Ansicht von Marco Gandásegui, Professor an der Universität von Panama, zu befürchten, dass auch nach dem Ausbau des Kanals die Einnahmen aus dem Betrieb der Wasserstraße nicht dazu verwendet werden, die sozial inklusive Entwicklung in dem zentralamerikanischen Land mit 3,8 Millionen Einwohnern zu fördern.

"Die Sorge ist groß, dass der Ausbau des Kanals eher der globalen Handelsmarine als der Bevölkerung Panamas zugutekommen wird", sagt er. "Die politische Führung hat keinen nationalen Entwicklungsplan entworfen. Mehrere Gemeinden verfügen noch nicht einmal über sauberes Trinkwasser. Seit dem Jahr 2000 sind 25 Milliarden Dollar investiert worden, doch wir wissen nicht, wohin das Geld geflossen ist."

Gandásegui weist darauf hin, dass nur etwa 40 Prozent der Erwerbsfähigen in Panama auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sind. 60 Prozent seien im informellen Sektor tätig. "Würde man den enormen Reichtum nutzen, den der Kanal generiert, könnten unsere Gesellschaftsstrukturen positiv verändert werden."

Der Panamaische Verband der Kanallotsen (UPCP) protestiert seit 2014 mit Kundgebungen gegen das ACP-Management. Am 3. Juni warf die Organisation den Verantwortlichen Kostenüberschreitungen und Verzögerungen vor.

Den größten Rückschlag erlebte das Projekt im Februar 2014, als der Vertragspartner 'Grupo Unidos por el Canal' (GUPC) die Arbeit für zwei Wochen unterbrach, weil sich ACP geweigert hatte, Zusatzforderungen der Firma GUPC, die von dem spanischen Bauunternehmen 'Sacyr Vallehermoso' betrieben wird, in Höhe von 2,3 Milliarden Dollar nachzukommen.


Bild: © Iralís Fragiel/IPS

Arbeiter am neuen Bauabschnitt des Panamakanals in Cocolí an der Pazifikküste
Bild: © Iralís Fragiel/IPS

Eine Sonderkommission wurde eingesetzt, um den Konflikt zu klären. Im ersten Fall ging es um Mehrkosten von 463 Millionen Dollar, die durch die Verwendung von qualitativ minderwertigem Basalt aus einem lokalen Bergwerk entstanden waren. ACP übernahm nur für Mehrausgaben von 233 Millionen Dollar Verantwortung.


Konkurrenzprojekt in Nicaragua

Dem Erweiterungsprojekt droht zudem Konkurrenz. So plant auch das Nachbarland Nicaragua den Bau eines interozeanischen Kanals. Der Historiker David McCullough weist in seinem Buch 'The Path between the Seas: The Creation of the Panama Canal, 1870-1914' darauf hin, dass die von Nicaragua gebotenen Voraussetzungen in den ersten Studien zum Kanalbau 1811 als die günstigeren betrachtet worden seien. Nach technischen Studien sei die Wahl aber auf Panama gefallen.

Die Franzosen hatten einen Kanal ausgeschachtet, doch die Pläne schlugen fehl. 1903 beschloss der damalige US-Präsident Theodore Roosevelt den Bau des Panama-Kanals und unterstützte daraufhin die Loslösung des Landes von Kolumbien. Der Bau wurde 1914 abgeschlossen. Bis 1999 stand der Kanal, wie 1977 im Torrijos-Carter-Abkommen festgelegt, unter US-Aufsicht.

Im März untersuchten der Anthropologe Stanley Heckadon und 15 weitere Experten an der 'Florida International University' in Miami die möglichen Umweltfolgen eines Kanalbaus in Nicaragua. Sie warnten, dass die Artenvielfalt des Landes und die Wasserläufe irreparabel geschädigt würden. Die geplanten Investitionen belaufen sich auf etwa 50 Milliarden Dollar, etwa zehn Mal so viel wie die Kosten für die Erweiterung des Panamakanals.

Der Kanal durch Nicaragua wäre mit 280 Kilometern erheblich länger als der Panamakanal, der sich über eine Länge von 80 Kilometern erstreckt. Um den Panamakanal zwischen dem Atlantik und dem Pazifik zu passieren, brauche ein Schiff zehn bis zwölf Stunden, sagt ACP-Sprecher Ferreira. Die Fahrt durch die Wasserstraße in Nicaragua würde dagegen zwei bis drei Tage dauern. Anderseits sei der globale Markt groß genug, um den Betrieb von zwei Kanälen zu rechtfertigen. (Ende/IPS/ck/03.07.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/06/panama-y-nicaragua-dos-canales-y-un-sueno-compartido-otra-vez
http://www.ipsnews.net/2015/07/panama-and-nicaragua-two-canals-one-shared-dream/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2015

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