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INTERNATIONAL/210: Argentinien - Aussicht auf Aufnahme in BRICS-Staaten durch US-Urteil getrübt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2014

Argentinien: BRICS zu BRICSA - Doch Aussicht auf Aufnahme durch US-Urteil zugunsten von Hedge-Fonds getrübt

von Fabiana Frayssinet und Karina Böckmann


Bild: © Regierung Südafrikas

'Familienfoto' auf dem fünften BRICS-Gipfeltreffen im letzten Jahr im südafrikanischen Durban
Bild: © Regierung Südafrikas

Buenos Aires, Berlin, 19. Juni (IPS) - Im nächsten Monat wird Argentinien auf Einladung der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika am sechsten Gipfeltreffen des Staatenblocks teilnehmen. Daran geknüpft ist die Hoffnung, in die Gruppe dieser auch in Krisenzeiten wirtschaftlich stabilen Schwellenländer aufgenommen zu werden. Von einem solchen Schritt verspricht sich das südamerikanische Land die Reintegration in die globalen Kapitalmärkte seit seiner Ächtung nach dem Schuldenschnitt von 2001.

Doch glaubt man der argentinischen Regierung, könnte das Land schon vorher bankrott sein. Bis Ende Juni stehe die Rückzahlung einer Anleihe an, die Argentinien vor dem Hintergrund des jüngsten Urteils des Obersten Gerichtshofs der USA nicht zahlen kann, heißt es aus dem argentinischen Wirtschaftsministerium. Demnach muss das südamerikanische Land zwei US-amerikanische Hedgefonds in Milliardenhöhe entschädigen, die dem Schuldenschnitt von 2001 anders als die meisten anderen Gläubiger nicht zugestimmt hatten.

Jetzt gilt es abzuwarten, wie sich die Verhandlungen zwischen den Unterhändlern der Regierung und den Spekulanten 'Aurelius Capital Management' und 'NML Capital' entwickeln. Die Erwartungen an die Gespräche sind gering. Argentiniens Präsidentin hatte nach dem Urteil des US-Gerichts erkärt, dass sich ihr Land nicht erpressen lassen werde.

Dabei hatte sich in letzter Zeit alles recht gut für Argentinien entwickelt. So konnte Buenos Aires den Schuldenstreit mit den Gläubigern des Pariser Clubs Ende Mai beilegen, dem das südamerikanische Land noch 9,7 Milliarden US-Dollar schuldet. Fast zeitgleich wurde Argentinien von den BRICS-Staaten zu deren nächstem Gipfeltreffen geladen.


BRICS interessiert

Bisher ist der Buchstabe 'A' für Argentinien noch nicht in der Abkürzung der Staatengruppe enthalten. Die Einladung an Staatspräsidentin Cristina Fernández zu der Konferenz am 15. Juli in der nordostbrasilianischen Stadt Fortaleza galt als weiterer Hinweis für die Bereitschaft des Bündnisses, Lateinamerikas drittgrößte Volkswirtschaft aufzunehmen.

"Die Einladung ist von hoher Wichtigkeit", meinte Fernanda Vallejos, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität von Buenos Aires (UBA). "Sie zeigt nicht nur, dass sämtliche BRICS-Mitglieder von der Bedeutung und dem Potenzial Argentiniens überzeugt sind. Sie stellt die Weichen für uns, auf internationalem Parkett eine größere politische und wirtschaftliche Rolle zu spielen."

Vallejos betonte auch die Schlüsselrolle, die BRICS während der Finanzkrise im letzten Jahrzehnt im industrialisierten Norden mit Blick auf das globale Wirtschaftswachstum gespielt hatte. Der Name BRICS war 2001 von Jim O'Neill, einem Wirtschaftsexperten der Investmentbank 'Goldman Sachs', geprägt worden. Zusammengenommen bieten die fünf Länder ein Viertel des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), 43 Prozent der Weltbevölkerung und 20 Prozent der globalen Investitionen auf.

Nach Angaben des argentinischen Außenministeriums stellen die BRICS zudem 45 Prozent der internationalen Arbeitskraft, verfügen zusammen über mehr als drei Billionen US-Dollar an Devisenreserven und produzieren zwei Milliarden Tonnen landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Vallejos zufolge nimmt die Bedeutung von BRICS in einer Welt der Blockbildung immer mehr zu. Diese Staaten forderten auf internationalen Foren die Anerkennung und Mitsprache, die ihnen als gewichtige Volkswirtschaften gebührten, meinte sie.

"Der von Indien vorgebrachte und von Brasilien und Südafrika mitgetragene Vorschlag hat die Behauptungen der argentinischen Opposition Lügen gestraft, das Land sei vom Rest der Welt abgeschnitten", betonte die Expertin, die zudem als Wissenschaftlerin für die Energie-, Technologie- und Infrastruktur-Beobachterstelle für Entwicklung (OETEC) tätig ist. Formell eingeladen worden war das Land von Russland, das damit ebenfalls seine Unterstützung kund tat.

"Es hat sich gezeigt, dass Argentinien sehr wohl internationale Beziehungen unterhält und nicht 'von der Welt isoliert ist'", meinte auch Nicolás Tereschuk, politischer Wissenschaftler an der UBA. "Es ist nur nicht mehr bereit, sich der Politik der zentralen Länder um jeden Preis zu unterwerfen, wie es dies zu anderen Zeiten seiner Geschichte getan hat."


Gesinnungswandel Argentiniens

Einige politische Kreise halten die von der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 aufgenommenen Auslandsschulden für illegitim. Doch die Mitte-Links-Regierung von Staatspräsidentin Fernández hatte sich Ende Mai bereit erklärt, die Schulden gegenüber dem Pariser Klub binnen fünf Jahren zu begleichen.

Nach Ansicht des Ökonomen Diego Coatz sind das Abkommen mit dem Pariser Klub und andere Maßnahmen der Regierung wie die Verbesserung ihrer Wirtschaftsdaten, deren Zuverlässigkeit vom Internationalen Währungsfonds angezweifelt worden war, Ausdruck eines Gesinnungswandels der Behörden, der die Reintegration in die globalen Finanzmärkte erleichtern und die Positionierung des Landes an internationaler Front verbessern sollte.

Von einer BRICS-Aufnahme ginge Coatz zufolge, der dem Forschungszentrum des Argentinischen Industrieverbands angehört, dem größten Arbeitgeberverband der argentinischen Industrie, eine unerhört positive Wirkung aus. Die Potenziale des Landes würden anerkannt. Darüber hinaus würde die Integration in den Block neue Möglichkeiten für Argentinien schaffen, das auf Devisen und Investitionen so dringend angewiesen sei.

Auf dem Gipfel in Fortaleza könnte die Einrichtung einer regionalen Entwicklungsbank als Alternative zu den internationalen Finanzorganisationen wie IWF, Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank (IaDB) beschlossen werden. Die neue Bank soll über einen Fonds in Höhe von 50 Milliarden Dollar zur Finanzierung von Infrastrukurmaßnahmen der BRICS-Migliedsländer verfügen. Auch ist vorgesehen, eine gemeinsame Währungsrücklage in Höhe von 100 Milliarden Dollar zu bilden, die die Mitglieder Vallejos zufolge gegen die Volatilität der Märkte absichern würde. "Argentinien könnte dann zu weit günstigeren Konditionen an Finanzmittel für den Ausbau der Infrastrukturen zugunsten der Entwicklung kommen."

Die Stärkung des internationalen Handels durch eine mögliche Aufnahme Argentiniens in die BRICS-Staaten würde zu einer viel versprechenden Entwicklung des Industriesektors inklusive der Einpassung in globale Produktionsketten und der Industrialisierung der ländlichen Gebiete führen, ist Vallejos überzeugt.


Auch BRICS profitiert

Tereschuk zufolge würden aber auch die BRICS-Mitglieder profitieren. Er verwies auf die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft und das indische Dilemma, schnell zu wachsen oder zu stagnieren. Und auch die brasilianische Wirtschaft sei nicht wirklich im Aufwind.

Darüber hinaus verfügt Argentinien über die zweitgrößten Lithiumresreven der Welt, eine der größten Goldminen (fast 10.000 Tonnen), 500 Millionen Tonnen Kupfer und 300.000 Tonnen Silber. "Darüber hinaus sind wir die drittgrößten Kaliumexporteure der Erde", fügte Vallejos hinzu. "Und wir sitzen auf der drittgrößten Plattform unkonventioneller fossiler Brennstoffe. Nimmt man dann noch unsere technologische Entwicklung und die Entwicklung der Nuklearenergie für friedliche Zwecke hinzu, wäre Argentinien in einem künftigen BRICSA, BRICAS oder ABRICS auf jeden Fall ein Gewinn."

Ob es angesichts der neuen Realitäten tatsächlich zur Aufnahme Argentiniens in die BRICS-Gemeinschaft kommen wird, bleibt abzuwarten. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/06/argentina-de-nuevo-en-el-mapa-de-la-mano-del-brics/
http://www.ipsnews.net/2014/06/argentina-once-more-on-the-map-invited-by-brics/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2014