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INTERNATIONAL/206: Handelsabkommen - Abkehr von Pro-Investoren-Abkommen erkennbar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2014

Handel: Abkehr von Pro-Investoren-Abkommen erkennbar

Ein Kommentar von Martin Khor



In diesem Kommentar berichtet Martin Khor, Geschäftsführer des renommierten 'South Centre', einer Denkfabrik mit Sitz in Genf, über eine zunehmende Zahl von Ländern, die sich von Handelsabkommen verabschieden, die ausländischen Investoren erlauben, Regierungen zu verklagen und Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe zu stellen.

Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Martin Khor

Martin Khor
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Martin Khor


Genf, 14. Mai (IPS) - Für Investitions- und Freihandelsabkommen, die multinationalen Unternehmen über das Instrument des Investor-gegen-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (ISDS) erlauben, rechtlich gegen ihre Gastländer vorzugehen und Schadensersatz in Milliardenhöhe einzufordern, scheint sich das Blatt zu wenden.

So hat Indonesien unlängst mitgeteilt, dass es ein zweijähriges Investitionsabkommen (BIT) mit den Niederlanden beenden und auch alle anderen seiner insgesamt 67 bilateralen Investitionsabkommen (BIT) auflösen wird. Damit folgt das Land dem Kurs von Südafrika, das bereits im letzten Jahr mitteilte, sich aller seiner BIT zu entledigen.

Es gibt weitere Staaten, die ihre Investitionsabkommen überprüfen. Auslöser ist die steigende Zahl von Verfahren, die ausländische Unternehmen gegen Regierungen anstrengen, denen sie vorwerfen, mit ihren politischen Entscheidungen oder Abkommen ihre künftigen Profite zu gefährden.

Viele Staaten wurden zur Zahlung riesiger Entschädigungssummen aufgefordert. Am schlimmsten traf es Ecuador, das einem US-Unternehmen für die Auflösung eines Vertrags 2,3 Milliarden Dollar zahlen muss.

In Malaysia werden die Investorenschutzrechte, durch die Unternehmen nationale Gesetze und Gerichte umgehen und Regierungen vor internationale Schiedsstellen zerren können, vor dem Hintergrund des Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (TPPA) kontrovers diskutiert, dass das Land mit elf anderen Staaten schließen will.


Böses Erwachen

Das ISDS ist sowohl in den BIT als auch in Freihandelsverträgen insbesondere mit den USA enthalten. Als sich die betroffenen Länder auf diese Abkommen einließen, war ihnen gar nicht bewusst, dass sie sich mit ihrer Unterschrift anfällig für Rechtsverfahren machten, die ausländische Investoren durch die Existenz der locker formulierten Auflagen für sich entscheiden können, indem sie behaupten, unfair behandelt oder um erwartete Gewinne betrogen zu werden.

Südafrika war von einem britischen Bergbaukonzern verklagt worden. Dieser hatte der Regierung des ehemaligen Apartheidstaates vorgeworfen, durch die staatlichen Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Kapazitäten der schwarzen Bevölkerung finanzielle Einbußen erlitten zu haben.

Auch Indien überprüft seine BIT, nachdem mehrere Unternehmen Verfahren gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs eingeleitet hatten, ihnen im Zusammenhang mit einem Korruptionsskandal ihre 2G-Mobil-Telekommunikationslizenzen zu entziehen.

Doch nicht nur Entwicklungsländer reagieren zunehmend allergisch auf das ISDS. Auch EU-Länder bekommen, was den Investor-Staat-Streitfallmechanismus im Freihandelsabkommen TTIP mit den USA angeht, offenbar kalte Füße. Vor mehreren Wochen (im März) teilte Deutschland der Europäischen Kommission mit, dass das TTIP kein ISDS enthalten sollte.

Brigitte Zypries, parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie, erklärte im Bundestag, dass sich Berlin dafür einsetze, dass ISDS nicht in den Freihandelsvertrag aufgenommen werde. Zypries wurde von der Financial Times mit den Worten zitiert, dass die US-Investoren in der Europäischen Union aus Sicht der Bundesregierung durch die nationalen Gerichte ausreichend geschützt würden.

Zuvor hatte sich der französische Handelsminister gegen die ISDS ausgesprochen. Ein von der britischen Regierung in Auftrag gegebener Bericht wies auf mögliche Probleme mit dem Mechanismus hin.

Die europäische Ernüchterung hat zwei Gründe. Zum einen sind einzelne EU-Länder selbst von ISDS-Rechtsstreitigkeiten betroffen. So hat der schwedische Energieriese 'Vattenfall' Deutschland wegen angeblicher Verluste von mehr als einer Milliarde Euro durch den nach Fukushima beschlossenen Atomausstieg Deutschlands vor dem Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) der Weltbankgruppe verklagt.


Zunehmend kritische Öffentlichkeit

Die europäische Öffentlichkeit reagiert zunehmend negativ auf das Investitionssystem. Zwei europäische Organisationen hatten im letzten Jahr einen Bericht veröffentlicht, demzufolge das internatonale Investitionsschiedssystem von einigen wenigen Rechtsfirmen monopolisiert wird, die Schiedsstellen von Interessenskonflikten geplagt werden und die Urteile selbst willkürlich gefällt werden.

Im Januar hatte die Europäische Kommission die Verhandlungen mit den USA über die ISDS-Auflagen im TTIP ausgesetzt und angekündigt, sich 90 Tage lang mit der Öffentlichkeit in der Frage zu beraten. (Nachdem die EU den Investorenschutzmechanismus durchgewunken hat, kann er jetzt nur noch durch die einzelnen Staaten verhindert werden)

Die Vorgängerregierung Australiens hatte beschlossen, keine BIT mehr in künftigen Freihandelsabkommen zuzulassen. Zuvor hatte 'Philip Morris International' das Land wegen finanzieller Einbußen infolge von Gesetzen verklagt, die Schockfotos auf Zigarettenschachteln vorschreiben.

Bisher beharren die USA auf den ISDS im TPPA und TTIP. Doch sollte sich der europäische Widerstand auf die TTIP-Verhandlungen auswirken, könnte dies die Position der ISDS-Gegner stärken. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/05/investor-treaties-trouble/

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IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2014