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INTERNATIONAL/161: Bangladesch - Kritik an Arbeitsschutzauflagen, alter Nord-Süd-Konflikt neu belebt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2013

Bangladesch: Kritik an US- und EU-Arbeitsschutzauflagen - Alter Nord-Süd-Konflikt neu belebt

von Ravi Kanth Devarakonda


Bild: © Naimul Haq/IPS

Die 16-jährige Parul, die für einen Hungerlohn in einer Textilfabrik in Bangladesch arbeitet
Bild: © Naimul Haq/IPS

Genf, 15. Juli (IPS) - Mit der Entscheidung, Bangladesch nach dem Einsturz einer Textilfabrik in Dhaka im April mit mehr als 1.000 Toten eine Verbesserung der Sicherheitsstandards abzuverlangen, haben EU und USA einen alten Streit zwischen Entwicklungs- und Industrieländern wiederbelebt. Experten warnen vor den negativen Folgen für das globale Handelssystem.

"Arbeitsrechte und -standards sind ein sensibles Thema für alle Entwicklungsländer", betonte Supachai Panitchpakdi, Generalsekretär der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), im Gespräch mit IPS. "Wenn Staaten versuchen, dort bestimmte Arbeitsbedingungen durchzusetzen, lenken sie damit von der Zuständigkeit der WTO ab."

Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman hatte Ende Juni in Washington bekanntgegeben, man werde Bangladesch keine Handels- und Zollvorteile mehr im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems (ASP) gewähren, da das Land die Arbeitsrechte zu wenig achte. GSP ermöglicht es bisher Exporteuren aus Bangladesch, Waren zu niedrigen Zolltarifen in die USA auszuführen. Textilien sind von dieser Regelung allerdings ausgenommen und werden mit hohen Zöllen belegt.

Kurz nach der Entscheidung der USA verpflichtete die EU Bangladesch in einem Abkommen zur Umsetzung von Arbeitsreformen über einen bestimmten Zeitraum als Bedingung für den weiterhin zollfreien Zugang zum EU-Markt.

Seit der Ministerkonferenz im US-amerikanischen Seattle 1999, die aufgrund unüberbrückbarer Differenzen zwischen reichen und armen Ländern über die Frage scheiterte, wie Arbeitsstandards in das Regelwerk der WTO aufgenommen werden könnten, haben die Industriestaaten darauf verzichtet, auf multilateralen Foren Arbeitsrechte mit Handel in Verbindung zu bringen.


Alte Kontroverse neu belebt

Doch die jüngsten Schritte von EU und USA deuten auf einen Wandel hin. Sie scheinen das Feuer, das auf dem Treffen in Seattle entfacht wurde, wieder neu zu schüren. Brüssel hat nicht nur Bangladesch gedroht, sondern auch anderen der am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) deutlich gemacht, dass sie nicht länger im Rahmen der EU-Initiative 'Alles außer Waffen' (EBA) abgabenfrei Waren auf den europäischen Markt bringen dürfen, wenn sie nicht in der Textil- und Bekleidungsindustrie verbesserte Arbeitsbedingungen garantieren.

"Ich will klarstellen, dass Bangladesch - oder jedes andere LDC - die derzeitigen Handelspräferenzen auf dem EU-Markt nicht als selbstverständlich betrachten kann", erklärte der EU-Handelskommissar Karel de Gucht im letzten Monat. Als Gucht in Genf den von verschiedenen Interessensgruppen unterstützten Vertrag über neue Arbeitsstandards und größere Sicherheit in Fabriken unterzeichnete, wies er eindringlich darauf hin, dass Brüssel im Rahmen von EBA entsprechende Maßnahmen in Erwägung ziehen könnte, sollte Bangladesch in der Hinsicht zu wenige Fortschritte machen.

Die Regierung in Dhaka ist gemäß dem Abkommen dazu verpflichtet, bis Ende Juli das Arbeitsrecht in Bangladesch nachzubessern. Beschäftigte sollen demnach künftig die Freiheit haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Auch Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz stehen im Vordergrund. Die Gebäude sollen auf Statik und Brandschutz überprüft werden.

Wie die bangladeschische Außenministerin Dipu Moni erklärte, handelt es sich bei dem Abkommen um eine "politische" Initiative und nicht um ein "rechtsgültiges Dokument". Der EU-Handelskommissar wollte sich dieser Bewertung jedoch nicht anschließen. "Der Vertrag ist ein Regelwerk, nach dem Brüssel beurteilen kann, ob Bangladesch seine Verpflichtungen erfüllt", sagte Gucht.


Jährliche Textilimporte in EU in Milliardenhöhe

Das südasiatische Land, das jährlich Textilien und Kleidung im Wert von etwa neun Milliarden Euro in die EU ausführt, wurde nach dem Fabrikeinsturz in Dhaka scharf kritisiert. Mehr als 1.000 Menschen kamen unter den Trümmern ums Leben. Die Regierung hat seitdem Maßnahmen ergriffen, um die Gesundheit und das Leben der Arbeiter in der Textilindustrie besser zu schützen.

Panitchpakdi ist jedoch der Ansicht, dass große Handelspartner die WTO anrufen sollten, wenn sie anderen die Einhaltung von Arbeitsrechten vorschreiben wollen. Es sei unfair, außerhalb der WTO Länder zu bestrafen, indem man ihnen mit dem Entzug des Marktzugangs drohe.

Statt auf Arbeitsrechte sollten die Industriestaaten lieber auf die Geschäftspraktiken ihrer eigenen Einzel- und Großhändler schauen, fügte der UNCTAD-Chef hinzu. Das Problem mit globalen Wertschöpfungsketten liege nämlich darin, dass die Unternehmen in den reichen Ländern "von den Ausbeuterbetrieben in armen Ländern profitieren, die ihnen billige Arbeitskräfte beschaffen". (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://ec.europa.eu/trade/policy/index_en.htm
http://unctad.org/en/Pages/Home.aspx
http://www.ipsnews.net/2013/07/new-labour-norms-could-hurt-bangladesh/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2013