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INTERNATIONAL/101: Indien - Erleichterte Geschäfte mit Pakistan bringen Händler in Bedrängnis (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. August 2012

Indien: Erleichterte Geschäfte mit Pakistan bringen Händler in Kaschmir in Bedrängnis

von Athar Parvaiz


Ein Händler in Kaschmir, der Safran und Mandeln verkauft - Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Ein Händler in Kaschmir, der Safran und Mandeln verkauft
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Srinagar, Indien, 1. August (IPS) - Als Teil vertrauensbildender Maßnahmen und als Versuch, die bilateralen Spannungen abzubauen, haben Indien und Pakistan kürzlich vereinbart, die von zwei Staaten beanspruchte Region Kaschmir zu einer Brücke für die Wirtschaft zu machen. Tauschhändler, die seit langer Zeit ihre Waren entlang der Kontrolllinie zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil Kaschmirs absetzen, fürchten jedoch, dass die politischen Entspannungsversuche sie ruinieren könnten.

Die Straße zwischen Srinagar und Muzaffarabad war im April 2005 nach der Aufnahme eines Dialogs beider Länder wiedereröffnet worden, um den durch die Teilungslinie getrennten Familien gegenseitige Besuche zu ermöglichen. Ende 2001 standen die Atommächte Indien und Pakistan nach einem blutigen Anschlag auf das indische Parlament, an dem Neu-Delhi dem Nachbarn die Schuld gab, am Rande eines Kriegs.

Trotz der Straßenverbindung klagen Händler in der Region nach wie vor darüber, dass ihnen keine ausreichende Infrastruktur zur Verfügung steht. Durch diesen Mangel müssten sie hohe Verluste in Kauf nehmen, kritisieren sie.

Beide Staaten haben gegeneinander bereits drei große Kriege um Kaschmir geführt. Bei den seit 1989 andauernden Kämpfen zwischen verfeindeten Rebellengruppen im indischen Teil Kaschmirs sind nach offiziellen Schätzungen bislang etwa 47.000 Menschen getötet worden. Die Unruhen verschärften die Feindseligkeiten zwischen den Ländern weiter. In den vergangenen Jahren, insbesondere seit den Anschlägen in den USA am 11. September 2001, haben sich die Beziehungen jedoch allmählich verändert.


Erwartungen der Händler enttäuscht

Im Oktober 2008 eingeführte vertrauensbildende Maßnahmen ermöglichten eine Wiederaufnahme des seit mehr als 60 Jahren unterbrochenen Handels zwischen beiden Teilen Kaschmirs. Reis, Mais, Obst, Gemüse, Heilkräuter, Holzmöbel, Kunsthandwerk und Kissen können über die Teilungslinie hinaus gegen andere Waren getauscht werden. Ende 2011 belief sich dieser Handel auf ein Volumen etwa 37 Millionen US-Dollar.

Die Händler beschweren sich allerdings darüber, dass sie bisher noch nicht viel von den Erleichterungen haben. "Als der Handel zwischen beiden Seiten verkündet wurde, verglichen viele dies mit dem Fall der Berliner Mauer", meint Rashid Wani, der Kunsthandwerksgegenstände aus Holz gegen Matratzen und Kissen tauscht. "Nach der Aufregung in den Medien ist aber nichts mehr passiert."

Die Händler könnten ihre Geschäftspartner im pakistanischen Teil nicht einmal anrufen, denn die indische Regierung verbiete weiterhin die telefonische Kommunikation zwischen beiden Seiten, kritisiert Mubeen Shah, der Vorsitzender der gemeinsamen Handelskammer JKJCCI. Auch Banktransaktionen seien unmöglich.

Im vergangenen Jahr gewährte Pakistan Indien Handelsvorzüge, die unter den Einwohnern des Kaschmir-Tals gemischte Reaktionen hervorriefen. "Zum ersten Mal seit 1965, als Indien und Pakistan zum zweiten Mal gegeneinander Krieg führten, scheinen sich die Handelsbeziehungen zu verbessern", sagt Khursheed Mahajan, der Wirtschaft an der Universität von Kaschmir lehrt.

Anfang dieses Jahres beschlossen die beiden Länder, Regelungen abzuschaffen, die Tausende Waren von dem gemeinsamen Handel ausgeschlossen hatten. Die Zahl der Produkte, für die Restriktionen gelten, wurde auf 1.200 gesenkt. Die Händler in Kaschmir sind allerdings alles andere als glücklich darüber. Sie fürchten nun starke Konkurrenz durch Großunternehmen.

"Wir beobachten, dass beide Staaten auf einen Ausbau des bilateralen Handels hinarbeiten, der jedoch negative Auswirkungen auf die Geschäfte entlang der Teilungslinie hat", sagt der frühere JKJCCI-Vorsitzende Zulfikar Abbassi, der Anfang Juli eine Handelsdelegation aus dem pakistanischen Teil Kaschmirs nach Srinagar begleitete. Srinagar ist die Sommerhauptstadt des indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir.

Die Grundsätze, die für den Warenverkehr zwischen den beiden Ländern gelten, sollten auch beim Handel in Kaschmir gelten, fordert Abbassi. Er hofft, dass künftig mehr Erzeugnisse als bisher über die Teilungslinie hinaus geliefert werden. Zurzeit können nur 16 Produkte legal abgesetzt werden, darunter 'gabba' (Wollmatten) und 'khraw' (Holzschuhe), die in Pakistan überhaupt nicht nachgefragt sind.


Vom Paradies auf Erden zur Hölle der Armut

Der seit zwei Jahrzehnten andauernde Kaschmir-Konflikt hat nach Ansicht von Abbassi ein Paradies auf Erden in eine Hölle der Armut verwandelt. Einem Zensus von 2011 zufolge leben 21 Prozent oder 3,2 Millionen Menschen in Kaschmir unterhalb der Armutslinie. Die Arbeitslosenrate liegt bei elf Prozent.

Wenn die Regierungen von Indien und Pakistan den Handel zwischen den beiden Teilen Kaschmirs förderten, könnten die Einwohner die jahrzehntelange wirtschaftliche Not überwinden, meint er. Geschätzt wird, dass sich der Handel auf einen Umfang von mehreren Millionen Dollar steigern ließe, wenn alle Beschränkungen aufgehoben würden. Tausende junge Menschen würden dadurch Arbeit finden.

Wie Shah erklärt, haben die Geschäftsleute der Aufnahme des Handels 2008 auch deshalb zugestimmt, weil sie sich Beziehungen zu zentralasiatischen Ländern, zu Russland, China, der Türkei, Indonesien oder dem Iran erhofften. "Das hätte den Handel sicherlich angekurbelt. Aber nichts hat sich in diese Richtung entwickelt." (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/07/trading-across-the-line-of-control/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2012