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INTERNATIONAL/067: Südamerika - Protektionismusvorwürfe gegen Argentinien und Brasilien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Dezember 2011

Südamerika: Protektionismusvorwürfe gegen Argentinien und Brasilien

von Marcela Valente


Buenos Aires, 19. Dezember (IPS) - Die Mitgliedsländer der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR sind zwar politisch auf einer Wellenlänge, kommen aber bei der Handelsliberalisierung nicht richtig voran. Anstatt die weltweite Krise für den Ausbau des innerregionalen Handels zu nutzen, mauern die beiden wirtschaftlichen Schwergewichte Argentinien und Brasilien, indem sie Hindernisse errichten.

Einig sind sich die Partnerländer in der Frage, den Block zugunsten Venezuelas zu öffnen. Seit 2006 wartet die Regierung in Caracas darauf, dass die vier Vollmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay die Voraussetzungen für die Aufnahme schaffen. Doch bisher ist Paraguays Senat dem Projekt seine Zustimmung schuldig geblieben.

Aus diesem Grund hat Uruguays Staatspräsident José Mujica, Gastgeber des MERCOSUR-Gipfels am 20. Dezember, vorgeschlagen, das Gründungsabkommen der Wirtschaftszone von 1991 zu ändern. Seine Amtskollegen Cristina Fernández (Argentinien), Dilma Rousseff (Brasilien) und Fernando Lugo (Paraguay) wären mit der Einführung einer neuen Klausel einverstanden, um das Veto des paraguayischen Senats zu umgehen. Von einer solchen Neuregelung könnte auch Ecuador profitieren, das ebenfalls die MERCOSUR-Mitgliedschaft anstrebt.

Doch die Partnerschaft hat ihre Grenzen. So sehen sich insbesondere Argentinien und Brasilien lieber nach anderen Märkten um, als die Handelshürden abzubauen, die den freien Handel mit den direkten Nachbarn erschweren. "Jenseits aller Fortschritte des Annäherungsprozesses tun sich zwischen den Bündnispartnern Abgründe auf", meint dazu der argentinische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Molteni.


Importverzögerungen

Abgesehen von Schutzmaßnahmen, die in sensiblen Bereichen wie Zucker oder Autos beschlossen wurden, machen die Länder immer häufiger von 'nicht automatischen Lizenzen', Gebrauch, die mit der Notwendigkeit, den Handel zu 'verwalten' begründet werden, wie Molteni, Koautor des Berichts '20 Jahre danach: Erfolge und bestehende Herausforderungen', berichtet.

Der Untersuchung zufolge, die in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift 'Integration und Handel' des Instituts für lateinamerikanische und karibische Integration veröffentlicht wurde, liegt der intraregionale Handel der EU-Staaten bei über 60 Prozent, der der MERCOSUR-Länder hingegen bei nur 15 Prozent.

Wie der Vizepräsident der Brasilianischen Außenhandelsvereinigung, José Augusto de Castro, erklärte, sind die vorwiegend von Argentinien angewandten nicht automatischen Lizenzen durchaus "legal und nicht protektionistisch", da sie lediglich die Ankunft der Waren um 60 Tage verzögerten. Bei einer Verspätung von mehr als 90 Tagen geht die Ware zurück.

Die Strategie zielt darauf ab, transnationale oder brasilianische Konzerne dazu zu bewegen, sich auf argentinischem Boden niederzulassen. Am häufigsten wendet Argentinien den Mechanismus bei Importen von Elektrogeräten, Schuhen und Landmaschinen an. Die Brasilianische Vereinigung der Schuhindustrie teilte kürzlich mit, dass derzeit fast zwei Millionen Schuhe aufgrund der Regelung darauf warten, nach Argentinien eingeführt zu werden. In einigen Fällen sei die Frist inzwischen abgelaufen.

Doch auch Brasilien greift zu Maßnahmen, die dem innerregionalen Handel schaden. So wurde die Steuer für Importfahrzeuge, die nicht zu 65 Prozent aus brasilianischen Komponenten bestehen, um 30 Prozent erhöht.

Da der Niedergang der internationalen Preise für Agrargüter und andere Basisprodukte - also für wichtige MERCOSUR-Exporterzeugnisse - gravierende Handelsdefizite nach sich ziehen könnte, ist die "protektionistische Versuchung" für die großen MERCOSUR-Bundesgenossen nach Ansicht von Castro relativ groß.

Doch angesichts eines brasilianischen Handelsüberschusses seien die Handelsrestriktionen nicht gerechtfertigt, sagte der Experte, der die Beschränkungen eher der Privatwirtschaft als der Rousseff-Regierung anlastet. Importerleichterungen für die kleineren MERCOSUR-Nationen würden in der brasilianischen Handelsbilanz ohnehin nur geringfügig zu Buche schlagen.


Kleine Staaten brauchen Absatzmärkte

Fast 30 Prozent aller uruguayischen Exporte sind für die MERCOSUR-Nachbarländer und insbesondere für Brasilien und Argentinien bestimmt. Die verzögerten Importgenehmigungen bringen das Land somit in die Bredouille.

Erwartet wird, dass Staatspräsident Mujica dem Druck uruguayischer Exportfirmen nachgeben und auf dem MERCOSUR-Gipfeltreffen darum ansuchen wird, Abkommen mit anderen extraregionalen Zonen aushandeln zu dürfen. Erst kürzlich hatte Vizepräsident Danilo Astori erklärt, "dass es für ein Land wie Uruguay in Krisenzeiten nicht Schlimmeres gibt, als sich abzuschotten".

Auch Paraguay wird mit Beschwerden und Forderungen auf dem Gipfel in Montevideo vertreten sein. So wird Präsident Lugo Argentinien bei dieser Gelegenheit dazu auffordern, den in paraguayischen Kraftwerken generierten Strom nach Uruguay weiterzuleiten, der preiswerter ist als die in Argentinien und Brasilien erzeugte Energie. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.mercosur.int/
http://www.iadb.org/intal/detalle_tipo.asp?idioma=esp&tid=4&cid=234
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99810

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2011