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GEWERKSCHAFT/770: Das asiatische Jahrhundert - auch für die Gewerkschaftsbewegung in Ostasien? (spw)


spw - Ausgabe 6/2012 - Heft 193
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Das asiatische Jahrhundert - auch für die Gewerkschaftsbewegung in Ostasien?

Von Erwin Schweisshelm und Julia Müller



Ostasien[1] liegt im Zentrum der wirtschaftlichen und politischen Verschiebungen, die sich im 21. Jahrhundert vollziehen. Besonders in ökonomischer Hinsicht kann die Region auf eindrucksvolle Erfolge verweisen, die Wachstumszahlen liegen seit Jahren bei konstant sieben bis acht Prozent. Doch die beeindruckenden Zahlen können nicht über die Realität hinwegtäuschen, dass Ostasien politisch und wirtschaftlich extrem heterogen ist. Wirtschaftlich finden sich neben den Weltmächten China und Japan Staaten wie Kambodscha, Laos und Myanmar, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehören. Alle Länder eint jedoch der Wachstumsglaube der regierenden Eliten, die an den automatischen "trickle-down"-Effekt glauben und aktiven Maßnahmen zur Förderung von sozialer Teilhabe und gesellschaftlicher Gerechtigkeit nur nachrangige Bedeutung beimessen. Demokratische Prozesse weisen in den meisten ostasiatischen Ländern mehr oder minder schwere Mängel auf. Daher gibt es neben funktionierenden Demokratien wie Südkorea und Japan autoritäre Einparteiensysteme wie China und Vietnam sowie Länder in Transformationsphasen, zu denen unter anderem Indonesien, Kambodscha, Malaysia und die Philippinen gezählt werden können.


Wachstum garantiert keine soziale Gerechtigkeit

Auf den ersten Blick scheint die Politik der regierenden Eliten aufgegangen zu sein: In Ostasien stieg in den letzten 50 Jahren das Pro-Kopf-Einkommen im Schnitt zweieinhalbmal so schnell wie im Rest der Welt, und die Anzahl der absolut Armen hat stark abgenommen. Das entscheidende Defizit jedoch ist, dass die "Früchte" des immensen Wachstums die breite Bevölkerung nicht erreichen, seit Jahren geht die Einkommensschere kontinuierlich weiter auseinander. Auch der Zugang zur oftmals spärlichen sozialen Infrastruktur bleibt nur einem geringen Teil der asiatischen Bevölkerung vorbehalten - von umfassenden Bildungsmöglichkeiten über Gesundheitsversorgung bis hin zu Krankenversicherung und Altersvorsorge. Soziale Sicherungssysteme sind bisher nur rudimentär vorhanden, obwohl gerade in Ostasien der demographische Faktor immer deutlicher erkennbar wird. Der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung wächst schnell und die Ansprüche an eine sozial ausgewogene, nachhaltige und solidarisch finanzierte Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung steigen.

Ungerecht ist vor allem, dass die Ungleichheit gerade in den regionalen "Powerhouses" China und Indonesien extrem gestiegen ist. Die Asian Development Bank (ADB) hat berechnet, dass in den vergangenen 20 Jahren weitere 240 Millionen Menschen in Asien aus der Armut geholt hätten werden können, hätte sich die Einkommensschere nicht weiter geöffnet.[2] Meist fehlt jedoch der politische Wille, umfassende sozialpolitische Reformen durchzuführen und vom vermeintlichen sozialen "Allheilmittel" Wachstum Abstand zu nehmen.

Ein Ende dieses Negativtrends ist nicht abzusehen. Wie in Europa sind in Ostasien prekäre Arbeitsverhältnisse auf dem Vormarsch. Befristete Verträge, Leih- oder Zeitarbeit und Outsourcing sind gängige Praxis in den wenig regulierten industriellen Beziehungen. In manchen ostasiatischen Ländern sind bis zu 80 Prozent der Beschäftigten informell beschäftigt. Selbst im OECD-Mitgliedsland Südkorea hat sich der Arbeitsmarkt gespalten, mehr als 50 Prozent arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen und ihr Durchschnittslohn beträgt gerade mal die Hälfte dessen, was Beschäftigte mit regulären Verträgen verdienen.

Von diesen Benachteiligungen betroffen sind vor allem die etwa 40 Millionen Arbeitsmigranten, die meist aus wirtschaftlichen Gründen oder Mangel an ausreichenden Arbeitsplätzen in ihrem Heimatland in anderen Staaten der Region eine Arbeit suchen. Zumeist bleiben sie jedoch auch dort in ungeschützten, gering bezahlten Arbeitsverhältnissen. Die politischen Eliten zeigen wenig Initiative, die Bedingungen für die Vielzahl der Arbeitsmigranten zu verbessern, nicht zuletzt weil deren Rücküberweisungen einen beträchtlichen Beitrag zum Staatshaushalt des Heimatlandes leisten. Für das Jahr 2012 erwarten beispielsweise die Philippinen Rücküberweisungen von Wanderarbeitern in Höhe von etwa 16,5 Milliarden Euro, weshalb sie auch als die "new rivers of gold" bezeichnet werden.[3] Und auch die Aufnahmeländer profitieren immens. Ohne die schlecht bezahlten Bauarbeiter aus Südasien und Hausangestellten aus Indonesien hätte z.B. Singapur den Bau- und Technologieboom der vergangenen Jahrzehnte nicht dauerhaft fortsetzen können. Selbst Staatsgründer Lee Kuan Yew weist offen darauf hin, dass Singapur "a very different place" ohne sie wäre. Leider jedoch nicht um anschließend bessere Arbeitsbedingungen für sie zu fordern, sondern seine Mitbürger dazu anzuhalten, mehr Kinder zu gebären, um die singapurische Identität zu erhalten.[4]


Schwache Gewerkschaften durch Repression und mangelnden Reformwillen

Auch weil die Zivilgesellschaft in den meisten Ländern Ostasiens schwach ausgebildet ist, fällt den Gewerkschaften eigentlich eine bedeutende Rolle zu, sich als "change agents" für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Denn sie zählen zu den wenigen Akteuren mit landesweiten und regionalen Strukturen. Doch von einer "gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsmacht" ist die Gewerkschaftsbewegung in den meisten ostasiatischen Ländern noch weit entfernt.

Während besondere Organisationsprinzipien wie Einheitsgewerkschaft, politische Unabhängigkeit oder das Prinzip "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft" entscheidend zum Erfolg der deutschen Gewerkschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beigetragen haben,[5] fehlen diese Stärken in der ostasiatischen Arbeiterbewegung. Ein entscheidender Faktor dafür ist, dass die Phase der Industrialisierung in Ostasien zeitgleich mit dem Beginn der Globalisierung eintrat. Internationale Konkurrenz und Deregulierung waren - anders als in der frühen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa - bereits vorhanden, bevor die Gewerkschaften überhaupt ihre Verhandlungs- und Organisationsmacht erlangen konnten.

Daher sind die Gewerkschaften in Ostasien - von wenigen Ausnahmen abgesehen - meist nicht in der Lage, als anerkannter Sozialpartner aufzutreten und eine Rolle als durchsetzungsfähige politische Akteure in ihren Ländern zu spielen. Nationale Gewerkschaftsdachverbaende sind in der Regel schwach und haben geringe Mitsprachemöglichkeiten bei sozialpolitischen Diskussionen. Von den Regierungen werden sie häufig eher als "Unruhestifter" denn als Sozialpartner wahrgenommen. Nicht selten fehlt ihnen aber auch einfach ein Gegenüber, nämlich ein Arbeitgeberverband.

Oftmals verhindern ein restriktives Arbeitsrecht und eine ebenso verdeckte wie systematische Repression die Entstehung von repräsentativen und unabhängigen Interessenvertretungen. Bedrohungen, Verhaftungen und Entlassungen werden häufig genutzt, um Gewerkschafter mundtot zu machen. Die Methoden bleiben meist ungestraft. Zwei Länder in Ostasien machen besonders häufig mit Repressalien gegen Gewerkschafter auf sich aufmerksam: Kambodscha und die Philippinen. Der Internationale Gewerkschaftsbund berichtet in seinem jährlichen Bericht über die Verletzung von Gewerkschafts- und Menschenrechten von fünf ermordeten Gewerkschaftern in den Philippinen im Jahr 2011.[6] Kambodscha hat kürzlich traurige Berühmtheit erlangt, als die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) das Land zu den fünf Staaten mit den gravierendsten Verletzungen der Vereinigungsfreiheit (IAO-Konvention 87) weltweit gezählt hat.[7] Dabei haben beide Länder alle acht Kernarbeitsnormen der IAO ratifiziert. Doch Gesetzestext und Realität klaffen gerade im sozialpolitischen Kontext in Asien häufig weit auseinander.

Doch die Gewerkschaften haben ihre Schwäche auch selbst zu verantworten. Häufig fehlt es an innerem Reformwillen, die existierenden patriarchalischen Strukturen aufzubrechen. Jüngeren Gewerkschafter/innen bleiben in der Regel ebenso Führungspositionen verwehrt wie Frauen. Die Führungsspitzen befinden sich nicht selten im fortgeschrittenen Rentenalter und haben wenig Interesse, durch mehr Dynamik ihre eigenen Pfründen zu gefährden. Dies geht einher mit der finanziellen Schwäche und geringen Kampagnen- und Streikfähigkeit der Gewerkschaften, die vor allem eine Folge des geringen Organisationsgrads ist. Größte Herausforderung ist die Vielzahl der Arbeitsmigranten und die Beschäftigten im informellen Sektor, der als nicht organisierbar gilt. Dass dies aber bei weitem kein Ding der Unmöglichkeit ist, zeigen u.a. die erfolgreiche Organisierung von Hausangestellten in Hongkong und die zahlreichen Initiativen der Zivilgesellschaft.

Durchsetzungsfähig sind häufig die Betriebsgewerkschaften, die in Asien die Grundlage gewerkschaftlicher Organisation sind. Neben den Einflüssen des angelsächsischen Gewerkschaftsmodells in der Vergangenheit und dem japanischen in der Gegenwart ist ein Hauptgrund für die prominente Rolle der Betriebsgewerkschaften, dass Tarifverhandlungen fast ausschließlich auf betrieblicher Ebene stattfinden. Flächentarifverträge existieren in der Regel nicht und tragen zur weitgehenden Bedeutungslosigkeit der nationalen Branchengewerkschaften mit bei.


Gewerkschaftsmonopolismus versus organisatorische Zersplitterung

Die Gewerkschaftslandschaft in den ostasiatischen Ländern kann weitgehend den zwei Extremen von totaler Zersplitterung oder Dominanz einer (Staats-)Gewerkschaft zugeordnet werden. In Ländern wie Indonesien, Thailand, Kambodscha oder auch den Philippinen ist die Gewerkschaftslandschaft extrem fragmentiert. Die Gewerkschaften orientieren sich an politischen Parteien, Religions- oder ethnischer Zugehörigkeit. Dies führt zu einer nicht zu überblickenden Anzahl von Gewerkschaften.

Die Gewerkschaftslandschaft in Singapur und Japan ist von korporatistischen Gewerkschaften geprägt. Der nationale Dachverband in Singapur (Singapore National Trades Union Congress, NTUC) wurzelt in der Staatspartei PAP (People's Action Party) und formt bis heute eine "Tripartite Alliance" mit Arbeitergeberverband und Regierung. Es gibt vereinzelt bedeutungslose Gewerkschaften ausserhalb des NTUC und seiner Mitglieder, aber Singapur hat bis heute nicht die IAO-Konvention 87 zur Vereinigungsfreiheit ratifiziert. Die Gewerkschaften in Singapur und Japan sind jedoch finanzielle Schwergewichte und rechtfertigen damit auch ihren immensen Einfluss in regionalen und internationalen Zusammenschlüssen.

Eine besondere Situation besteht in China, Vietnam und Laos. Die dortigen Gewerkschaften sind eng mit den kommunistischen Parteien verflochten und müssen ihre Rolle als autonome Interessenvertretung erst noch finden. Neben den Staatsgewerkschaften sowie deren Mitgliedsgewerkschaften[8] dürfen sich keine weiteren Arbeitnehmervertretungen gründen. Formal vertreten sie die Interessen der Arbeiternehmerschaft, de facto sind sie Transmissionsriemen der Kommunistischen Partei und die Gewerkschaftsfunktionäre sind Staatsbeamten gleichgestellt. Doch der stetig wachsende Einfluss ausländischer Investitionen und die Zunahme wilder Streiks verstärken vor allem den Druck auf den All-Chinesischen Gewerkschaftsbund (ACGB). Die erfolgreichen Proteste haben nicht nur die Lohnpolitik in China in Frage gestellt, sondern auch den ACGB in eine Organisationskrise geführt.[9] Er steht vor einem Dilemma: Bleibt die Situation unverändert, kämpfen die Beschäftigten dennoch für bessere Arbeitsbedingungen, nimmt der ACGB seine Rolle als Interessenvertretung wahr, muss er vom chinesischen Staatsapparat unabhängig werden.[10] Vor den gleichen Herausforderungen steht der Allgemeine Bund der Werktätigen (ABW) in Vietnam.

Durch die politischen Reformen in Myanmar zeichnen sich dort positive Entwicklungen für die Gewerkschaften ab. Seit einer Gesetzesänderung Ende 2011 dürfen sich Arbeiter wieder zu Gewerkschaften zusammenschließen. Auch der viele Jahre im Exil lebende Vorsitzende der Federation of Trade Unions Burma (FTUB), Maung Maung, durfte 2012 wieder in seine Heimat zurückkehren. Es bleibt zunächst abzuwarten, inwieweit sich mittelfristig starke und unabhängige Arbeitnehmervertretungen formen können.


Mit vereinten Kräften stark - Erfolgsgeschichte Indonesien?

Das erfolgreichste Beispiel für eine positive Entwicklung von Gewerkschaften in Ostasien lässt sich derzeit in Indonesien beobachten. In dem mit 240 Millionen Menschen viertgrößten Land der Welt haben sich einige junge und moderne Einzelgewerkschaften entwickelt, die den oben beschriebenen Trends zuwiderlaufen. Indem sie sich zunächst als genuine Dienstleister zur Verteidigung von Arbeitnehmerrechten begriffen (z.B. durch gewerkschaftliche Rechtsberatung), ist es ihnen gelungen, die Anzahl zahlender Mitglieder schrittweise zu erhöhen und dadurch ihre organisatorische Stärke weiter auszubauen.

Diese Entwicklung bildete die Grundlage dafür, dass die Gewerkschaften verstärkt versuchten, auf arbeits- und sozialpolitische Entscheidungen Einfluss zu nehmen, die für Arbeiter besonders relevant sind. Dabei erfolgte eine Konzentration auf die drei zentralen Themen soziale Sicherung, Outsourcing und Mindestlohn, die in langfristig und strategisch angelegten Kampagen bearbeitet wurden.

Den Anfang bildete der Kampf der Gewerkschaften für ein universelles System sozialer Sicherung, in dessen Mittelpunkt ein Gesetz stand, welches zwar bereits im Jahre 2004 verabschiedet worden war, seitdem von der indonesischen Regierung jedoch nicht weiter verfolgt und umgesetzt wurde. Ein gewerkschaftliches Aktionsbündnis namens KAJS[11] organisierte daraufhin über mehrere Jahre hinweg öffentliche Veranstaltungen in allen Teilen des Landes, in denen die breite Öffentlichkeit über die Bedeutung sozialer Sicherungssysteme informiert wurde. Darüber hinaus entwickelte KAJS eigene konkrete Vorschläge, wie dieses Gesetz implementiert werden könnte und suchte dazu den Kontakt zu Parlament und Regierung. Unter dem dadurch entstandenen öffentlichen Druck unterzeichnete Präsident Yudhoyono Ende 2011 schließlich ein Ausführungsgesetz, welches die konkreten Schritte zum Aufbau eines umfassenden Systems sozialer Sicherung festlegt und zu einer universellen Krankenversicherung ab dem Jahr 2014 sowie zu einer Unfall-, Lebens- und ggf. auch Rentenversicherung ab 2015 führen soll.

Dieser Erfolg hat auch dazu beigetragen, die in Indonesien vorherrschende Zersplitterung der Gewerkschaften teilweise zu überwinden. Die Erfahrung, dass ein gemeinsames Eintreten für eine bestimmte Sache zu konkreten politischen Ergebnissen zu Gunsten der Arbeiter führen kann, wirkte wie ein Katalysator für weitere Kooperationen. So kam es zu einer Annäherung zwischen drei der wichtigsten indonesischen Gewerkschaftsdachverbände, welche sich seit 2012 in dem losen Zusammenschluss MPBI[12] koordinieren und am 1. Mai 2012 gemeinsam mit acht Branchengewerkschaften ein "Manifest der Indonesischen Arbeiter" veröffentlicht haben. Dieses Bündnis organisierte Anfang Oktober 2012 den ersten landesweiten Generalstreik, an dem sich über zwei Millionen Menschen beteiligten und in dessen Folge bereits wenige Wochen später weitreichende Verbesserungen bezüglich Outsourcing und Mindestlohn beschlossen wurden.[13]

Dabei sind die Rahmenbedingungen, unter denen sich diese Entwicklung vollzogen hat, alles andere als leicht. Zwar konnte sich die indonesische Gewerkschaftsbewegung schon direkt nach dem Ende der autoritären Herrschaft unter General Suharto emanzipieren, nachdem zuvor nur eine gleichgeschaltete, staatlich kontrollierte Gewerkschaft existieren konnte. Noch 1998 ratifizierte Indonesien die acht ILO-Kernkonventionen, zwei Jahre danach wurde das Gesetz zur Versammlungs- und Gewerkschaftsfreiheit verabschiedet. In der alltäglichen Praxis leiden Gewerkschaften dennoch bis heute unter einem auch historisch bedingten Stigma, welches sie oft vorschnell in die Ecke des "trouble makers" stellt. Die indonesische Regierung scheint jedenfalls noch mit sich zu ringen, ob sie in der gewachsenen Stärke der Gewerkschaften eine Gefahr sehen oder ob sie diese Entwicklung im Sinne stabiler sozialpartnerschaftlicher Strukturen begrüßen soll.


Hoch die internationale Solidarität?

Erfolgreich sind die indonesischen Gewerkschaften aufgrund der eigenen Kraft, dennoch war internationale Solidarität seitens der internationalen Gewerkschaftsbewegung wichtig. Gerade der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dessen Vorsitzender Michael Sommer auch Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) ist, und die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung haben die indonesische Gewerkschaftsbewegung immer wieder praktisch und politisch unterstützt. Aber insgesamt ist die Vernetzung der asiatischen Gewerkschaftsbewegungen noch kaum wirksam für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen. Die asiatische Regionalorganisation des IGB mit Sitz in Singapur umfasst zwar 50 Dachverbände in 30 Ländern mit etwa 20 Mio. ArbeitnehmerInnen. Aber aufgrund der beschriebenen heterogenen Strukturen ist schon der Konsens über gemeinsame Positionen schwierig, geschweige denn gemeinsame Aktionen gegenüber Unternehmen oder Regierungen. Effizienter arbeiten schon die regionalen Föderationen einzelner Industriegewerkschaften in Ostasien zusammen, etwa durch gemeinsame Kampagnen gegen Leiharbeit oder den Schutz von Arbeitsmigranten. Lediglich die ASEAN Service Employees Trade Union Confederation (ASETUC), ein Zusammenschluss von Dienstleistungsgewerkschaften in ASEAN hat es geschafft, durch gemeinsamen Druck auf die nationalen Regierungen einen sozialen Dialog im Dienstleistungssektor auf regionaler Ebene zu initiieren. Da ASEAN im Jahre 2015 zu einem gemeinsamen Markt werden wird, existiert mit ASETUC immerhin eine regionale Gewerkschaftsstruktur, die eine anerkannte Vertretungsstruktur von Arbeitnehmerinteressen im Wirtschaftsraum ASEAN werden könnte.

Die Frage ist, ob sich in Ostasien ein Diskurs durchsetzen kann, der starken und unabhängigen Gewerkschaften eine wichtige Rolle bei der sozialen Stabilisierung der Gesellschaften zuweist und sie damit auch als politisch und ökonomisch wichtige Organisationen, also als Sozialpartner, betrachtet werden. In China etwa mag man hierfür zwar Anzeichen erkennen, aber dort bleiben dann Gewerkschaften eher Mittel zum Zweck und und werden kaum zu unabhängigen Interessenvertretungen werden. In den meisten anderen Ländern kann davon bisher keine Rede sein. Hier werden die Gewerkschaften nur durch eigene Stärke wie etwa im Fall Indonesien in der Lage sein, durch genuine Gewerkschaftsarbeit die Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder unmittelbar zu verbessern und durch gesellschaftliche Bündnisse eine arbeitnehmerfreundlichere Politik zu erkämpfen. Welche Rolle die internationale Zusammenarbeit dabei spielen wird, ist schwer zu sagen. Es gibt positive Ansätze, deren Reichweite aber begrenzt ist. Realistischer ist wohl die Erkenntnis, dass Gewerkschaften vor allen Dingen auf der nationalstaatlichen Ebene stark sind, weil sie auf der regionalen und globalen Ebene kaum Spiegelungsflächen haben. Die Entwicklung von Verhandlungsmacht und organisatorischer Stärke auf der nationalen Ebene muss im Zentrum stehen, internationale Zusammenarbeit kann immer nur unterstützend wirken, aber nie die eigenen Anstrengungen ersetzen.


ANMERKUNGEN

[1] In diesem Artikel werden unter Ostasien die so genannten ASEAN+3 verstanden, also die 10 Mitgliedsländer des südostasiatischen Staatenbundes Association of South East Asien Nations plus die drei Länder China, Südkorea und Japan.

[2] Asian Development Bank, Asian Development Outlook 2012, Confronting Rising Inequalities,
http://www.adb.org/sites/default/files/pub/2012/ado2012.pdf, S. 20, Zugriff: 19.11.2012.

[3] Gerardo P. Sicat, Worker Remittances and the Philippine Economy, 6.10.2012,
http://www.cfo.gov.ph/index.php?option=com_content&view=article&id=1760:worker-remittances-and-the-philippine-economy&catid=109:overseas-filipino-new&Itemid=840,
Zugriff: 20.11.2012; The Economist, Remittance Corridors, New Rivers of Gold, 28.4.2012,
http://www.economist.com/node/21553458, Zugriff: 19.11.2012.

[4] S. Ramesh, "Enormous" problems if Singaporeans don't procreate: Lee Kuan Yew,
http://www.channelnewsasia.com/stories/singaporelocalnews/view/1219552/1/html, Zugriff: 21.11.2012.

[5] Johann Welsch, Gewerkschaften im Niedergang? Organisierte Arbeiterschaft im 21. Jahrhundert, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2008, S. 68.

[6] International Trade Union Confederation, Annual Survey of Trade Union Violations 2012, Philippines,
http://survey.ituc-csi.org/Philippines.html#tabs-4; Zugriff: 19.11.2012

[7] International Labour Organization, ILO names five countries for serious violations of freedom of association,
http://www.ilo.org/global/about-the-ilo/newsroom/news/WCMS_193200/lang--en/index.htm,
Zugriff: 15.11.2012

[8] All-Chinesischer Gewerkschaftsbund (ACGB), Allgemeiner Bund der Werktätigen in Vietnam (ABW) und dem Laotischen Gewerkschaftsbund (Lao Trade Union Federation, LFTU).

[9] Rudolf Traub-Merz, Lohnstreiks und Gewerkschaften in China - Ende der Niedriglohnpolitik?,
http://library.fes.de/pdf-files/iez/08233.pdf, Juni 2011, S. 7, Zugriff: 21.11.2012.

[10] Rudolf Traub-Merz, Lohnstreiks und Gewerkschaften in China - Ende der Niedriglohnpolitik?,
http://library.fes.de/pdf-files/iez/08233.pdf, Juni 2011, S. 1, Zugriff: 21.11.2012.

[11] KAJS ist eine Abkürzung des indonesischen Namens Komite Aksi Jaminan Sosial (Aktionsbündnis für Soziale Sicherung).

[12] MPBI ist eine Abkürzung des indonesischen Namens Majelis Perkerja Buruh Indonesia (Rat der Arbeiterin Indonesien).

[13] Outsourcing stand im Mittelpunkt des ersten landesweiten Generalstreiks, der Anfang Oktober vom MPBI organisiert wurde und an dem sich über zwei Millionen Menschen beteiligten. Schon am Tag des Streiks signalisierte die Regierung Gesprächsbereitschaft. Wenige Wochen später hat sie entschieden, die bisherige gesetzliche Regelung zu konkretisieren und Outsourcing ausschließlich auf die folgenden fünf Bereiche zu beschränken, u.a.: Reinigungsdienst, Sicherheitsdienst, Fahr- und Chauffeur-, Hilfsdienste im Bergbau und Catering. Laut Informationen der Gewerkschaften verbessert sich dadurch die Lage von ca. 16-20 Millionen Menschen, die bisher deutlich weniger Arbeitnehmerrechte genossen sowie deutlich niedrigere Löhne erhielten. Sie sollen nun innerhalb von sechs Monaten reguläre Verträge innerhalb ihrer "eigentlichen" Firmen bekommen; sechs bis acht Millionen von ihnen sogar unbefristete Verträge, da sie dort bereits seit mehr als fünf Jahren arbeiten. Und auch beim Thema Mindestlohn gab es jüngst Fortschritte. So wurden die gesetzlichen Mindestlöhne in den sieben wichtigsten Industrieregionen in Indonesien um ca. 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr angehoben. Der monatliche Mindestlohn beträgt dort nun ca. 2,2 Millionen Rupiah, was in etwa 180 Euro entspricht. Ridwan Max Sijabat, New Labour Decree Off Course, The Jakarta Post, 19.11.2012,
http://www.thejakartapost.com/news/2012/11/19/new-labor-decree-course.html, Zugriff: 27.11.2012;
Lenny Tristia Tambun, Jakarta Council Recommends 44% Minimum Wage Increase, in: Jakarta Globe, 15.11.2012,
http://www.thejakartaglobe.com/news/jakarta-council-recommends-44-minimum-wage-increase/556305,
Zugriff: 27.11.2012.


Erwin Schweisshelm ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Vietnam.

Julia Müller ist Leiterin des Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Sitz in Singapur.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 6/2012, Heft 193, Seite 21-26
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2013