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GEWERKSCHAFT/1883: Ringen um mehr Einfluss (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 40 vom 4. Oktober 2019
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Ringen um mehr Einfluss
ver.di-Bundeskongress beendet - Kehrtwende beim Sozialabbau nicht in Sicht

von Herbert Schedlbauer


Der neue Bundesvorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Frank Werneke, forderte auf dem 5. Ordentlichen Bundeskongress in Leipzig einen "massiven Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft". Als wichtigste Aufgabe für die kommenden vier Jahre will er die Tarifflucht stoppen. Immer mehr Unternehmer verabschieden sich aus den Flächentarifverträgen. Das spalte nicht nur ganze Belegschaften, sondern erschwere auch die gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten.

Die Änderungen des Tarifvertragsgesetzes durch Rot-Grün und der Großen Koalition ermöglichten erst die Absenkung der Löhne. Sie haben den Arbeitsmarkt in Deutschland zum Billiglohnland und Leiharbeit sowie prekäre Beschäftigung zur Normalität gemacht. Wieso dies heute erst alles möglich ist, warum die Gewerkschaften und die Menschen in diese Situation kamen, spielte dabei auf dem ver.di-Bundeskongress nur eine untergeordnete Rolle. Wenige Redner und Beobachter nannten die Dinge beim Namen und machten darauf aufmerksam, wer die gesetzlichen Grundlagen schuf.

Werneke vermied es, die Verursacher der Zustände zu nennen, die für Sozialabbau, Umverteilung von unten nach oben, für prekäre Beschäftigung und Existenznöte verantwortlich sind. Hätte er SPD und Bündnis 90/Grüne und die Große Koalition beim Namen genannt, müsste die Gewerkschaft sich kritischer und distanzierter zu diesen Parteien verhalten. So aber bleibt der fade Beigeschmack, dass nicht nur der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), sondern auch ver.di und andere Einzelgewerkschaften durch ihre Nähe zur SPD sich selbst Schranken auferlegten. Ändern lässt sich dies nur von der Basis her. Sie wird maßgeblich dazu beitragen müssen, das Motto des Bundeskongresses, "zukunftsgerecht", auch umzusetzen und die Gewerkschaften wieder als Gegenpol zur unternehmerischen Willkür zu machen. Sonst wird es noch schwieriger, den Sozialabbau zu stoppen.

Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Kehrtwende nicht in Sicht. Dazu wäre auch eine breite Analyse der Herrschaftsverhältnisse und die Entwicklung von gewerkschaftlichen Gegenpositionen nötig. So bleiben die Verursacher der jetzigen Lage auch diesmal wieder außen vor. Das Kapital und seine Helfershelfer, CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Grüne und AfD werden auch nach diesem Gewerkschaftstag nicht viel zu befürchten haben.

Die Misere in der Altenpflege und Krankenversorgung, die bis Mitte der 1990er Jahre in der Hand der Kommunen und Wohlfahrtsverbände waren, soll rückgängig gemacht werden. Private Unternehmen haben mit Hilfe der Politik das Gesundheitswesen privatisiert, Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Deshalb müsse die Altenpflege und Krankenpflege der Verwertungslogik des Kapitals entzogen werden.

Laut ver.di können die Klimaziele nur eingehalten werden, wenn es einen massiven Ausbau des ÖPNV zu niedrigen Preisen gibt. Notwendig sind deshalb wirklich große Investitionen nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Das muss für alle bezahlbar sein. Klimaschutz und Ausbau des ÖPNV, die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bei Verkehrsgesellschaften werden deshalb zur Tarifsache gemacht.

Um der drohenden Altersarmut entgegen zu wirken, fordert ver.di die Rente mit 63 Jahren, bezahlbare Wohnungen und eine deutliche Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld. Außerdem spricht sich die Gewerkschaft für die Abschaffung der Sanktionen und die Überwindung bei Hartz IV aus.

Thema waren auch die Angriffe der Unternehmer auf das bestehende Arbeitszeitgesetz und die Schleifung des Acht-Stunden-Tages. Bei der Arbeitszeit besteht kein zusätzlicher Flexibilisierungsbedarf. "Ein Aufweichen des Arbeitszeitgesetzes sei für die Arbeitsbedingungen in der Pflege, oder auch in der Paket- und Briefzustellung, eine Katastrophe."

Die Dienstleistungsgewerkschaft weiß, dass ein stärkerer Widerstand nur durch breite Mobilisierungen möglich wird. Dies ist aber nicht nur durch mehr Mitglieder zu erreichen. Notwendig bleibt, dazu auch Strategien und Kampagnen zu entwickeln, die ver.di in eine Offensive gegenüber dem herrschenden Kapital bringt. Will man den Angriffen durch Politik und Kapital auf die Beschäftigten entgegenwirken, wird man einheitliche Forderungen entwickeln müssen, die fachbereichsübergreifend umzusetzen sind. Dazu gehört zweifelsfrei die Forderung nach einer wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung. Dies zu organisieren und zum Inhalt jeder Tarifauseinandersetzung zu machen wäre nicht nur ein Mitgliederwerbemagnet. Die Tarifforderung für eine Verkürzung der Arbeitszeit ist auch die richtige Antwort auf den Klassenkampf durch Kapital und Kabinett von oben. Ein erster Schritt wurde jetzt nach 12 Jahren und drei Kongressen gegen den hauptamtlichen Apparat erreicht. Der Bundesvorstand muss eine breite Diskussion innerhalb von ver.di veranlassen. Ausdrücklich wird sich dabei auf die 30-Stunden-Woche mit vollem Lohn- und Personalausgleich bezogen.

Gewerkschaftspolitisch positioniert sich ver.di klar gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft. Dieser Widerstand gegen rechts muss auf allen Ebenen, in den Betrieben, auf der Straße und den Parlamenten, aber auch im Netz geführt werden. Mitglieder der AfD hätten in der ver.di nichts zu suchen. Mit Ausschlussverfahren tut man sich jedoch schwer. Befürchtet wird, dass Verfahren verloren gehen, wenn die Betroffenen dagegen juristisch vorgehen. Die Begründung von ver.di: Diese müssten dann wieder durch ver.di aufgenommen werden.

Wernekes Rede war in weiten Teilen sozialdemokratisch geprägt. Für mehr Mobilität und Aktionen berief er sich allerdings auch auf den Kommunisten und Gründer der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci: "Bildet euch, wir brauchen all eure Klugheit. Bewegt euch, wir brauchen all eure Begeisterung. Und organisiert euch, denn wir brauchen all eure Kraft." Nach Gramsci zu arbeiten, würde ver.di jedenfalls ein Stück mehr zukunftsgerechter machen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 40 vom 4. Oktober 2019, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2019

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