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GEWERKSCHAFT/1208: ver.di-Digitalisierungskonferenz in Berlin (ver.di)


ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - Presseinformation vom 10. Juni 2015

ver.di-Digitalisierungskonferenz: Würde, Selbstbestimmung, Solidarität und Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft verwirklichen - Gemeinsame Erklärung mit dem Bundesarbeitsministerium


Berlin, 10.06.2015 - Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) setzt sich für eine aktive Einflussnahme der Politik auf die digitale Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft ein. Die Digitalisierung müsse politisch gestaltet werden, wenn sie nicht nur einer kleinen Minderheit Vorteile verschaffen solle, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske zum Auftakt der ver.di-Digitalisierungskonferenz am Mittwoch in Berlin. Zentrale Herausforderungen seien dabei unter anderem der Schutz der Persönlichkeitsrechte, die Förderung neuer Qualifikationen auch mit Hilfe einer geförderten Weiterbildungsteilzeit und die Umverteilung der durch Digitalisierung und Automatisierung ermöglichten Produktivitätssteigerungen, um neue Beschäftigung zu schaffen und insbesondere gesellschaftlich notwendige und soziale Dienstleistungen auszubauen.

Die ver.di-Digitalisierungskonferenz unter dem Motto "Arbeit 4.0 Würde, Selbstbestimmung, Solidarität und Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft" findet am 10. und 11. Juni 2015 in Berlin statt. Auf der Konferenz diskutieren 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Verwaltung und Unternehmen, aus Wissenschaft, Netzpolitik, Verbraucherschutz, Gewerkschaften und Interessenvertretungen über Fragen, wie die neue Arbeitswelt von den Erwerbstätigen mitgestaltet werden kann, wie Mitbestimmungsrechte in der digitalen Welt umgesetzt und gestärkt werden können und wie Gute Arbeit im Zuge der Digitalisierung durchgesetzt werden kann. Auf der Konferenz referiert auch die Bundesministerin Andrea Nahles über Arbeiten 4.0. Unter diesem Titel hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen Dialogprozess über die Möglichkeiten der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen begonnen.

Anlässlich der Konferenz haben ver.di und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Gemeinsame Erklärung "Nächste Schritte für Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft" veröffentlicht. Darin wird unter anderem ein zeitgemäßer Beschäftigtendatenschutz gefordert, da angesichts neuer Analysetechniken und der Entbetrieblichung der Datenverarbeitung durch Cloud-Services neue Gefährdungen der Persönlichkeitsrechte entstünden. Auch müssten die Chancen der Digitalisierung, die Arbeit räumlich und zeitlich flexibler zu gestalten, den Erwerbstätigen und ihren Familien zugutekommen. Zu einer solchen, an den Interessen der Erwerbstätigen orientierten Flexibilität gehöre auch, dass das Recht, nach einer Teilzeitbeschäftigung wieder auf die frühere Arbeitszeit zurückzukehren, gesetzlich verankert werde. Schließlich werde die Digitalisierung der Arbeitswelt von einer Zunahme selbständiger Tätigkeiten begleitet. Hier müssten Regelungen zur sozialen Absicherung getroffen werden. Daran würden das BMAS und ver.di gemeinsam arbeiten.

Weitere Informationen und die Konferenz im Livestream finden Sie unter:
https://www.verdi.de/themen/recht-datenschutz/kongress

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Berlin, 10. Juni 2015

Gemeinsame Erklärung von ver.di und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales

"Nächste Schritte für Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft"


Die Digitalisierung und digitale Vernetzung erfassen die gesamte Gesellschaft und verändern sie tiefgreifend. Der Dienstleistungssektor ist bereits seit einigen Jahren digitalisierungsgetriebenen Veränderungen unterworfen, wie etwa der Wandel in der Musikbranche, im Bankwesen und im Versandhandel zeigen. In anderen Bereichen steht die Digitalisierung vergleichsweise noch am Anfang.

Die Arbeitswelt wird durch die Digitalisierung schrittweise transformiert. Digitale Technik kann dabei helfen, Arbeit und Lebensqualität zu verbessern. Sie kann aber auch dafür genutzt werden, um Menschen zunehmend zu überwachen, sowie zu mehr prekärer Beschäftigung, wachsender Arbeitsbelastung und hohen Beschäftigungsverlusten führen.

Die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre besteht darin, die Risiken des digitalen Umbruchs zu bewältigen und die Chancen auszuschöpfen, damit gute Arbeit und gute Dienstleistungen geschaffen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und ver.di sehen darin eine politische Gestaltungsaufgabe. Sie werden gemeinsam den Dialog über die Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt gemeinsam fortführen. Ver.di wird eine eigene Stellungnahme zum vom BMAS herausgegebenen Grünbuch "Arbeiten 4.0" vorlegen und zudem in der neuen Plattform "Digitale Arbeitswelt" im Rahmen des IT-Gipfels aktiv mitwirken.

In diesem Prozess sind für ver.di und das BMAS die folgenden Themen von besonderer Bedeutung:

Soziale Marktwirtschaft als Maßstab

Wer die Arbeitswelt der Zukunft gestalten will, muss auch die neuen Wertschöpfungssysteme und Geschäftsmodelle gerade im Dienstleistungssektor in den Blick nehmen. Wir brauchen den gesellschaftlichen Dialog, wie wir innovative Dienstleistungen in Deutschland ausbauen können, aber auf Basis von Geschäftsmodellen, die auf Guter Arbeit basieren und zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft passen.

Partizipation und "digitale Souveränität" der Beschäftigten

Die Partizipation der Beschäftigten bei der Gestaltung und Einführung neuer Technologien und digitaler Prozesse muss sichergestellt werden, um ein gutes Zusammenspiel von Mensch und Technik zu ermöglichen. Damit können wir sowohl die Innovationskraft der Mitarbeiter als auch das Humanisierungspotenzial der neuen Technologien am besten ausschöpfen.

Unter "digitaler Souveränität" wird aktuell die Idee verstanden, dass Deutschland und Europa als Technologie-Standort nicht autark sind, aber auch nicht fremdbestimmt werden. Genau dies könnte auch ein Leitbild für die Beschäftigten werden: Digitale Souveränität bedeutet für Individuen, dass sie selbstbewusst und mit Rechten ausgestattet mitreden und ihre Arbeit mitgestalten können.

Aufgrund neuer Analysetechniken, der Entbetrieblichung der Datenverarbeitung durch Cloud-Services und größer werdenden Datenbeständen, die zunehmend auch persönliche und personifizierbare Daten umfassen, entstehen neue Gefährdungen der Persönlichkeitsrechte. Es wird daher ein zeitgemäßer Beschäftigtendatenschutz benötigt, der diesen Herausforderungen gerecht wird.

Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit: Qualifiziert und gesund

Eine weitere zentrale Aufgabe ist die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit. Die Digitalisierung wird neue Qualifikationen erfordern, den Bedarf an Weiterbildung erhöhen und vielfach bisherige Berufsbilder erübrigen, während neue entstehen werden. Wir brauchen neue Konzepte, um sicherzustellen, dass die Qualifikation der Beschäftigten Schritt hält mit dem technologischen Wandel.

Beschäftigungsfähigkeit bedeutet auch den Schutz der psychischen und körperlichen Gesundheit. Digitale Arbeit ist häufig mit Erleichterungen und erweiterten Freiräumen für Beschäftigte verbunden, aber auch mit Gefährdungen und Belastungen, die aufgrund steigender Arbeitsintensität und Verantwortung vor allem im psychischen Bereich zugenommen haben. Erweiterte Freiräume und Verantwortung verkehren sich bei unzureichenden Ressourcen und Prekarisierung der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse von Chancen in - auch gesundheitliche - Risiken. Das BMAS hat hierzu ein Forschungsprojekt zur "Psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt" in die Wege geleitet, dessen Ergebnisse die Grundlage für weitere Schritte sein werden. Für ver.di bedeutet gesundes Arbeiten, dass Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes - etwa betriebliche Gefährdungsbeurteilungen - konsequenter angewendet werden, dass das Arbeitsschutzgesetz bezüglich des Schutzes der Beschäftigten vor psychischen Belastungen weiterentwickelt und das auch branchenspezifische Regelungen getroffen werden. ver.di hat dazu Vorschläge für eine Verbesserung der Gesetzeslage unterbreitet. Dies wird ver.di in den Dialogprozess mit dem BMAS einbringen.

Neuer Flexibilitätskompromiss

Digitale Arbeit wird räumlich, zeitlich und organisatorisch entgrenzter sein. Das heißt aber nicht, dass keine Grenzen mehr existieren sollen. Flexibilität muss auch den Erwerbstätigen und ihren Familien zugutekommen. Die Realisierung des im Koalitionsvertrag verabredeten Rechts, nach einer Teilzeitbeschäftigung auf die frühere Arbeitszeit zurückzukehren, ist ein wichtiges Element einer zukunftsfähigen Arbeitszeitgestaltung.

Im Zuge der organisatorischen Entgrenzung kann die Zunahme selbstständiger Tätigkeiten eine Folge sein. In einigen Bereichen entspricht diese Entwicklung auch dem Wunsch der Erwerbstätigen. Bislang ist der soziale Schutz und die soziale Sicherung in besonderer Weise auf abhängig Beschäftigte ausgerichtet. Für neue, vor allem selbständige Formen der Erwerbsarbeit, brauchen wir neue Konzepte der Absicherung. Hieran werden wir gemeinsam arbeiten.

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Quelle:
Presseinformation vom 10.06.2015
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Jan Jurczyk - ver.di-Bundesvorstand
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Telefon: 030/6956-1011 und -1012, Fax: 030/6956-3001
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2015

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