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ENERGIE/2069: Lateinamerika - Potenzial für erneuerbare Energien weitgehend ungenutzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. August 2015

Lateinamerika: Potenzial für erneuerbare Energien weitgehend ungenutzt

von Diego Arguedas Ortiz


Bild: © Mario Osava/IPS

Das Itaipú-Wasserkraftwerk zwischen Brasilien und Paraguay ist das zweitgrößte der Welt
Bild: © Mario Osava/IPS

SAN JOSE (IPS) - Lateinamerika steht vor einer doppelten Herausforderung: Bis 2050 wird sich der Stromverbrauch auf dem Kontinent Schätzungen der Interamerikanischen Entwicklungsbank zufolge verdoppeln. Gleichzeitig müssen die lateinamerikanischen Länder ihre Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren und ihre entsprechenden Einsparziele bis Oktober dieses Jahres präsentieren. In ihrer Studie 'Die Energiezukunft neu denken' hält die Entwicklungsbank eine Lösung für das Problem bereit: das bisher unausgeschöpfte Potenzial der erneuerbaren Energien.

Die größten Herausforderungen für den Klimawandel sind die Stromproduktion, der Verkehr sowie die Landnutzung und Landwirtschaft. Im Bereich der Stromproduktion ist Lateinamerika Vorreiter in Sachen Klimaschutz: In den vergangenen Jahrzehnten war Wasserkraft für den größten Anteil der Stromproduktion des Kontinents verantwortlich. Doch in den letzten Jahren ist eine gegensätzliche Entwicklung zu verzeichnen: Der Lateinamerikanischen Energieorganisation (OLADE) zufolge machte Wasserkraft im Jahr 2013 nur noch 38 Prozent der gesamten Stromproduktion aus. 40 Prozent generierte der Kontinent aus Gasreserven. Auch Kohle und Öl machen noch einen großen Anteil des gesamten Energiemixes aus.

Dieser Trend muss gestoppt werden, will Lateinamerika die Zusagen für seine geplanten Treibhausgasminderungsbeiträge (Intended Nationally Determined Contributions, INDCs) einhalten. Auf solcherlei Beiträge haben sich die teilnehmenden Staaten im Rahmen der Weltklima-Vertragsstaatenkonferenz (COP 19) in Warschau im November 2013 geeinigt. Die genaue Höhe müssen die einzelnen Staaten zum 1. Oktober und damit noch vor der Klimakonferenz im November dieses Jahres in Paris mitteilen und ab 2020 umsetzen. Ziel ist es, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Von den lateinamerikanischen Ländern hat bis jetzt allein Mexiko seine Ziele zur Treibhausgasminderung offiziell bekanntgegeben. Chile, Kolumbien und Peru stehen kurz bevor.


Verdopplung des Stromverbrauchs bis 2050

Laut der Interamerikanischen Entwicklungsbank wird sich der Stromverbrauch in Lateinamerika bis 2050 so sehr erhöhen, dass der Kontinent seine Kapazitäten zur Stromerzeugung bis dahin verdoppeln muss. Deshalb muss jetzt zügig darüber nachgedacht werden, welche Art von Infrastruktur dafür gebaut werden soll.

Erneuerbare Energien könnten die Lösung sein. Der Entwicklungsbank-Studie zufolge hat Lateinamerika ein so großes Potenzial an Wind-, Solar- und Wasserkraft sowie Geothermie und Biomasse, dass nur vier Prozent davon gebraucht würden, um den vorausgesagten Energiehunger im Jahr 2050 zu stillen.

Früheren Studien zufolge nutzt Lateinamerika lediglich 22 Prozent seines Wasserkraftpotenzials aus. Allerdings haben große Staudammprojekte in den vergangenen Jahren auch immer mehr Kritik erfahren, weil mit großen Infrastrukturprojekten häufig Natur und Umwelt zerstört werden und mit ihnen oft die Verdrängung indigener Völker aus ihrer angestammten Umgebung einhergeht.

Lateinamerika ist durch seine große unbebaute Fläche und die vielen Sonnenstunden allerdings auch nicht auf Wasserkraft angewiesen, um verstärkt auf erneuerbare Energien umzusteigen. Sonne und Wind, aber auch Geothermie und Biomasse bieten weitere Ausbaumöglichkeiten.

Insgesamt liegt das ausbaufähige Windkraftpotenzial in den lateinamerikanischen Ländern Schätzungen zufolge bei 2800 Terawattstunden (Twh), von Geothermie bei fast 3000 Twh, von Wind bei 11000 Twh und von Solarkraft bei fast 31000 Twh. Die Nachfrage ist wesentlich niedriger. 2014 wurden auf dem gesamten Kontinent 1300 Twh Strom genutzt. Bis 2050 wird sich der Verbrauch voraussichtlich auf 3500 Twh erhöhen.


80 Prozent des Energieverbrauchs basiert auf fossilen Energieträgern

Doch Strom ist nicht die einzige Energieform. Insgesamt machen fossile Energieträger 80 Prozent des Energieverbrauchs aus. Pablo Bertinat, Direktor der Beobachtungsstelle für Energie und Nachhaltigkeit der Nationalen Technischen Universität von Argentinien, geht davon aus, dass etwa die Hälfte davon für den Verkehr genutzt wird. Hier gibt es noch einiges zu tun. "Zur Zeit fließt ein großer Anteil der öffentlichen Gelder in Infrastrukturprojekte, die auf eine energieintensive Zukunft des Verkehrs setzen." 75 Prozent der Waren werden in Argentinien per LKW transportiert. In Ländern wie Frankreich oder den USA liege der Anteil lediglich bei 20 Prozent, so Bertinat.

Das in Argentinien von den Engländern eingeführte Schienennetz wird kaum gepflegt, und dessen Instandhaltung und Ausbau, den Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bereits vor Jahren angekündigt hatte, lässt weiter auf sich warten.

Auch der Personenverkehr muss umgebaut werden. Die Ökonomin Mónica Araya aus Costa Rica fordert eine Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs in allen Städten. Busse, Taxis, aber auch LKW sollten auf Elektrofahrzeuge umgestellt werden. "Uns fehlt die Phantasie", sagte Araya, die die costaricanische Denkfabrik Nivela leitet, gegenüber IPS. "Bisher hat sich weder die Politik noch die Wirtschaft in angemessener Weise mit dem Thema beschäftigt." (Ende/IPS/jk/14.08.2015)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2015/08/sobra-margen-a-america-latina-para-ampliar-infraestructura-verde/
http://www.ipsnews.net/2015/08/latin-america-has-enormous-untapped-potential-for-green-infrastructure/

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IPS-Tagesdienst vom 14. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2015

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