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ENERGIE/1971: Preiskrieg um Öl - Russland verliert. Wer gewinnt? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 2 vom 9. Januar 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Preiskrieg um Öl
Russland verliert - wer gewinnt? Gründe und Folgen des billigen Öls.
Teil 1: Warum der Preis fällt

von Bernd Müller



Für die deutschen Autofahrer ist es eine überraschende Erfahrung an der Tankstelle: Ein Liter Superbenzin für weniger als 1,30 Euro und die gleiche Menge Diesel für 1,12 Euro. Fünf Jahre ist es her, dass die Autofahrer hierzulande so wenig für ihren Treibstoff bezahlen mussten. Beschert hat das der Verfall des Preises für Rohöl auf dem Weltmarkt: Seit dem Frühsommer hat er sich fast halbiert. Kürzlich kostete der Barrel (159 Liter) Rohöl der Nordsee-Sorte Brent weniger als 60 Euro.

Seit einigen Wochen wird viel darüber diskutiert, was die Turbulenzen auf dem Markt für Rohöl ausgelöst hat. Während die Konzernmedien vor allem das Überangebot und die geringer werdende Nachfrage für den Preisverfall verantwortlich machen, verweist der Ökonom Heiner Flassbeck beispielsweise auf die Spekulationen an den Rohstoffmärkten. Andere meinen, die USA und Saudi-Arabien setzen die Ölwaffe ein, um missliebige Regierungen in einigen Ölförderländern unter Druck zu setzen oder gar zu beseitigen. Heiner Flassbeck meinte bereits Mitte Oktober in einem kurzen Aufsatz, der Ölpreis werde in der Hauptsache von den Spekulationen an den Finanzmärkten getrieben und spiegele nicht das reale Verhältnis von Angebot und Nachfrage wider. Demnach habe die jetzige Preisentwicklung "praktisch nichts zu tun" mit dem physischen Angebot und der konkreten Nachfrage nach Öl und Ölprodukten. Stattdessen seien es wie bei den Aktienmärkten "allein die Erwartungen und darauf folgende rein finanzielle Transaktionen, die den Preis bestimmen".

In den vergangenen Jahren habe es oft das große Ölangebot, die Ölschwemme, gegeben, von der in den letzten Wochen überall die Rede war. Trotzdem seien die Preise hoch geblieben oder sogar gestiegen.

Tatsächlich lässt sich Flassbecks Aussage belegen: Mitte 2012 wurde auch in der deutschen Presse darüber diskutiert, warum der Ölpreis steigt, obwohl es eine Konjunkturflaute gibt. Damals fragte man, ob der Ölmarkt womöglich bewusst manipuliert werde.


Überangebot

Flassbeck erklärt den Preisrutsch nicht mit Manipulationen sondern mit dem Verhalten von Spekulanten. Wie an allen Finanzmärkten sei es eine "sich selbst treibende Entwicklung", die die Preise weit über den Wert hinaus erhöhen, den sie ohne die Spekulanten gehabt hätten. Was passiert, wenn plötzlich große Mengen von ihnen auftreten, die aber gar keine Ahnung von den konkreten Marktverhältnissen haben, fragt er. Die Spekulanten seien darin vereint, dass sie Gewinne daraus erzielen wollen, dass sie günstig kaufen und bei höheren Preisen wieder verkaufen wollen. Sie seien von der Erwartung getrieben, dass die Rohstoffpreise generell steigen werden, denn sie malen sich aus, dass durch das weltweite Wirtschaftswachstum mehr Rohstoffe benötigt werden als zur Verfügung stehen. So wetten sie mit großen Geldsummen auf steigende Preise, was zur Folge habe, dass der Preis von Öl-Wetten so hoch steigt, dass sie den realen Preis mit nach oben ziehen.

Irgendwann platze aber die Blase, weil die Spekulationsspirale nicht in alle Ewigkeit von den realen Marktverhältnissen abgekoppelt nach oben getrieben werden kann. Ein Ölpreis von 150 Dollar je Barrel werde einfach unrealistisch, "wenn man mehr und mehr erkennt, dass die Lager voll sind und die Produktion auf vollen Touren läuft". Für Investoren, die langfristig auf steigende Preise gewettet haben, bedeutet das, "dass sie mehr und mehr Verluste einfahren und folglich aus dem Markt aussteigen".

So plausibel Flassbecks Erklärung auch sein mag, so vorsichtig sollte man sein, sich auf diese zu beschränken. Der Hamburger Energieforscher Steffen Bukold sagte auf Nachfrage der UZ, dass die Rolle der Finanzmärkte auf dem Ölmarkt keiner allgemeinen Regel folge: Mal sei sie tonangebend, mal sei sie nur ein zweitrangiger Faktor. In diesem Fall sei sie zweitrangig.

Anders als Flassbeck meint, gibt es tatsächlich auf dem weltweiten Ölmarkt ein Überangebot. Im Jahr 2014 stieg der Ölverbrauch nur um 0,7 Prozent - weniger als vorhergesagt. 2013 war die Nachfrage noch um das Doppelte gewachsen. Ursache ist die stagnierende Wirtschaft in Europa und das verlangsamte Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern. Gleichzeitig wuchs das Angebot kräftig: Im Irak lag die Förderung im August noch über dem Vergleichswert des vergangenen Jahres. Selbst in Libyen, das vom Bürgerkrieg gebeutelt ist, verdoppelte sich die Ölförderung, nachdem Mitte des Jahres zwei zuvor besetzte Ölexportterminals wieder in Betrieb genommen wurden. Aber vor allem die massiv gestiegene Förderung von Schieferöl in den USA hat zum globalen Anstieg des Angebots geführt. Nach Angaben der US-Energiebehörde stieg die Rohölproduktion 2014 um eine Million Barrel pro Tag. Für 2015 wird derselbe Anstieg vorhergesagt. Nach Angaben des Handelsblatts schätzen Experten die Überproduktion im ersten Halbjahr 2015 auf 1,5 Millionen Barrel pro Tag.


Eine Verschwörung?

Eine andere These, die vielfach vorgetragen wird, besagt: Es gibt eine Absprache zwischen den USA und Saudi-Arabien, unliebsame Regierungen von ölexportierenden Ländern unter Druck zu setzen oder sogar einen Regimewechsel herbeizuführen.

Der russische Präsident Wladimir Putin sprach in diesem Zusammenhang von einer "Verschwörung". Die USA würden Druck auf Saudi-Arabien ausüben, damit die Opec-Förderung nicht gekürzt wird. Nikolai Patruschew, einer der engsten Vertrauten Putins und Chef des Nationalen Sicherheitsrates, hat den USA vorgeworfen, den Ölpreis mutwillig zu drücken, um Russland in den Ruin zu treiben. Genauso hätten sie es in den achtziger Jahren getan. Damals hätten sie in einem Komplott mit einer Reihe ölproduzierender Länder den Markt mit billigem Öl überschwemmt und den Untergang der Sowjetunion herbeigeführt. Ähnliches hört man von Venezuelas Staatspräsidenten Nicolás Maduro. Dieser sagte mit Blick auf den Fracking-Boom in den USA, von dort werde der Markt mit umweltschädlichem Öl überschwemmt, um seinem Land zu schaden.

Unterstützt wird diese These von Fred Schmid vom Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung (isw) aus München, und auch sie klingt zuerst recht plausibel. Schließlich reißt der Preisrutsch erhebliche Löcher in die Haushalte zahlreicher Staaten. So braucht Ecuador einen Preis beim Ölexport von 80 Dollar je Barrel für einen ausgeglichenen Haushalt. Der Iran braucht dagegen einen Preis von 140 Dollar pro Barrel, Venezuela über 120 und Russland über 100 Dollar.

Die These scheint auch deshalb plausibel zu sein, weil sie auch aus den USA genährt wird. So fragte unlängst Thomas L. Friedman in der New York Times, ob sich ein globaler Ölkrieg zwischen den USA und Saudi-Arabien auf der einen und Russland und Iran auf der anderen Seite anbahnt. Auch in der März/April-Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift "Foreign Affairs" erschien dazu ein Artikel. Robert D. Blackwill und Meghan L. O'Sullivan, beide ehemalige Mitglieder des US-Sicherheitsrates unter George W. Bush, hatten in ihrem Artikel die geopolitischen Konsequenzen der Schieferöl- und -gasförderung analysiert. Sie sagten voraus, dass die herkömmlichen Energieproduzenten zunehmend unter Druck geraten. Das politische System in diesen Ländern könnte auf diesem Wege destabilisiert werden und in Russland könnte es sogar zu einem "regime change" kommen, schrieben sie.

Kürzlich noch hob Charles Wolf von der Rand Corporation, einem Thinktank, der die US-Streitkräfte berät, hervor, in Washington hoffe man, dass sinkende Ölpreise für eine besser beherrschbare Welt sorgen. Manchen Rohstoffländern werde so ihr "Störpotenzial" genommen.

Schmid meint, mit der Ölwaffe "werden offenbar die gegnerischen Staaten Iran, Russland und Venezuela ins Visier genommen". Sie seien momentan die Hauptfeinde der USA und von Saudi-Arabien. Venezuela sei gemeinsam mit dem Iran der "Gegenspieler des Scheichtums und der Front der Nicht-Golf-OPEC-Mitglieder in Lateinamerika und Afrika". Russland sei der Hauptkonkurrent des Scheichtums auf dem globalen Ölmarkt und ein Schutzpatron Syriens und des Iran.

Zwar werde in vielen Berichten in den Vordergrund gestellt, dass Saudi-Arabien mit seinem Preiskrieg die Fracking-Konkurrenz ausschalten will, um seine Dominanz sicherzustellen, schreibt Schmid. Doch dies sei nicht das primäre Ziel. Zumindest vorübergehend zögen die USA und die Saudis an einem Strang, um ihre politischen Ziele zu erreichen.

Tatsächlich ist eine dritte These, die sich in den Berichten und Analysen finden lässt, dass die Saudis vor allem der Fracking-Industrie auf dem Ölmarkt schaden wollen. Der Schaden Russlands, Venezuelas oder des Iran sei dabei für die Saudis nur ein Kollateralnutzen, der gern gesehen ist.

Es deutet viel darauf hin, dass es einen Preiskrieg im globalen Ölmarkt gibt. Nicht zuletzt der Umstand, dass das saudische Königshaus den Preis exklusiv für den Ölexport in die USA gesenkt hat, unterstreicht diesen Punkt. "Wir kämpfen mit Saudi-Arabien um Marktanteile", warnte Scott Sheffield, der Vorstandschef von Pioneer Natural Ressources, eines der aktivsten Unternehmen auf den Ölfeldern von Texas. Zudem ist die Fracking-Industrie in den USA hoch verschuldet und wird es schwer haben, eine Phase niedriger Ölpreise zu überstehen.


Strategiewechsel

Zwischen den USA und den Saudis hat sich ein Riss aufgetan. Seit dem Zweiten Weltkrieg pflegten sie eine enge Partnerschaft. Während das Königshaus dafür sorgte, dass die USA mit billigem Öl versorgt wurden, stützten die USA die autoritäre Herrscherclique politisch und militärisch. Doch der Fracking-Boom hat es den USA gestattet, die Ölimporte zurückzufahren. Importierten die USA einst 60 Prozent des benötigten Öls sind es heute nur noch 30 Prozent, und es kommt nicht mehr primär aus Saudi-Arabien. Hinzu kommt, dass die USA das Könighaus der Saud nicht mehr in dem Maße unterstützen wie einst.

In der Vergangenheit hatten die Saudis den Ölpreis gestützt, wenn er fiel, indem sie die eigene Förderung drosselten. Nun erklärte der saudische Ölminister Ali Al-Naimi einen Strategiewechsel: Sein Land werde auf keinen Fall die Ölförderung drosseln, um den fallenden Preis zu stabilisieren. Es sei nicht im Interesse der Opec-Produzenten, ihren Ausstoß zu reduzieren. Dabei sei es egal, wo der Preis stehe, erklärte er gegenüber dem Middle East Economic Survey. Es gehe darum, die stärker werdende Konkurrenz - aus den USA - abzuwehren. Über die Folgen einer Drosselung der Produktion sagte er: "Der Preis wird steigen, die Russen, die Brasilianer und die US-amerikanischen Schieferölproduzenten würden meinen Marktanteil gewinnen." Mit Blick auf die kostspielige Fracking-Methode in den USA sagte er, das derzeitige Preisniveau begünstige effiziente Ölförderländer und belaste Produzenten mit hohen Kosten. "Wir wollen der Welt sagen, dass es die hocheffizienten Förderländer sind, die die Marktanteile verdient haben", sagte Naimi.

Der Staatshaushalt von Saudi-Arabien nimmt zwar auch Schaden, wenn der Ölpreis unter 90 Dollar je Barrel fällt, aber die Saudis haben vorgesorgt: Mit der weltweit drittgrößten Devisenreserve von 750 Milliarden Dollar sind sie in der Lage, den Preiskampf über Jahre hinweg unbeschadet zu führen. In den vergangenen Jahren hätten sich die Ölpreise kaum bewegt und diese Ruhe sei nur das Ergebnis eines labilen Gleichgewichts gewesen, meint Steffen Bukold: Auf der einen Seite kam es immer wieder zu größeren Ausfällen, z. B. Libyen, Iran, Irak; auf der anderen Seite bauten die USA ihre Ölproduktion aus Schiefergestein rasant aus.

Als im Sommer eine schwache Nachfrage auf eine kurzzeitige Erholung der Produktion in Libyen traf, liefen die Lager voll und der Preis sank. Die Welt glaubte, die Saudis würden wieder einspringen und ihre Produktion drosseln. Aber das geschah nicht, meint Bukold, weil sich die Saudis selbst unter Druck sehen: US-Schieferöl, steigende irakische Exporte und iranisches Öl hätten ihnen das Leben schwer gemacht. Besonders im letzten expandierenden Ölmarkt der Welt, in Süd- und Ostasien, werde schon "mit Rabattschlachten und Direktinvestitionen um Marktanteile gekämpft". Der Exportverzicht könnte sich demnach auch negativ auswirken und die Saudis Marktanteile kosten. So sei es zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen den Ölproduzenten gekommen.



In der nächsten UZ:
Teil II: Niedriger Ölpreis - was sind die Folgen?


Bernd Müller, Dipl.-Ing., freier Journalist

Weitere Informationen unter:
www.bernd-mueller.org

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 2 vom 9. Januar 2015, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2015


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