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ARBEIT/1760: Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in der Wirtschaftskrise (spw)


spw - Ausgabe 5/2009 - Heft 173
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in der Wirtschaftskrise

Von Claudia Bogedan und Alexander Herzog-Stein


1. Der deutsche Arbeitsmarkt in der Krise

Die derzeitige Wirtschaftskrise hat ein Ausmaß und eine Tiefe erreicht, wie sie seit der Weltwirtschaftkrise 1929 nicht mehr zu beobachten war. Gleichzeitig ist bislang die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt moderater verlaufen, als aufgrund des Einbruchs der Produktion von Gütern und Dienstleistungen in Deutschland und im Rest der Welt zu erwarten gewesen wäre. Nach Berechnungen von Eurostat ist im Euro-Raum die Arbeitslosenquote innerhalb eines Jahres um einen Prozentpunkt auf 9,3 Prozent im zweiten Quartal 2009 angestiegen, während in Deutschland im selben Zeitraum die Arbeitslosenquote lediglich um 0,3 Prozentpunkte auf 7,7 Prozent zugenommen hat.(1) Es scheint, dass bislang das Kurzarbeitergeld im Zusammenspiel mit anderen Konjunkturmaßnahmen erfolgreich einen "Schutzschirm" für den Arbeitsmarkt gegen die unmittelbaren Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftskrise bildete. Es steht allerdings zu befürchten, dass mit zunehmender Dauer der Krise dieser "Schutzschirm" dem wachsenden Druck nicht standhalten kann. Ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Ausweitung auch auf bislang wenig betroffenen Branchen ist ab der zweiten Jahreshälfte 2009 und im kommenden Jahr zu erwarten und, es ist nicht auszuschließen, dass zum Jahreswechsel 2010/2011 wiederum mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland registriert arbeitslos sein werden.(2)

Der deutsche Arbeitsmarkt wird allerdings zu einem Zeitpunkt von der Wirtschaftskrise getroffen, zu dem er sich infolge der Reformen der vergangenen Jahre nach wie vor im Umbruch befindet. Auch aus diesem Grund sind Maßnahmen dringend geboten, die geeignet sind Phasen von Arbeitslosigkeit nicht zur Bedrohung für die Einzelnen werden zu lassen. Die fatalistische Auffassung, nach der neben den beschlossenen Konjunkturmaßnahmen nichts Grundsätzliches gegen die Krise getan werden kann, darf nicht die Meinungsführerschaft gewinnen. Die richtige Alternative besteht vielmehr darin, mittels einer koordinierten Beschäftigungspolitik, ergänzt um die richtigen makroökonomischen Maßnahmen, alles zu tun, um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf dem Arbeitsmarkt einzugrenzen.

Dem weiteren Verschieben des Machtungleichgewichts durch Prekarisierung von Beschäftigung und dem zunehmenden Drohpotenzial gegenüber den verbleibenden Arbeitskräften in den Betrieben infolge steigender Arbeitslosigkeit sollte durch eine Beschäftigung erhaltende und schaffende Politik sowie eine Neuordnung der Arbeitsmarktpolitik entgegengewirkt werden. Dabei wird bei den nachfolgenden Vorschlägen unterschieden zwischen einerseits eher kurz- und mittelfristig umsetzbaren Maßnahmen und andererseits Politiken, die als "Bahnbrecher" im Sinne einer generellen Umsteuerung in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wirken. Ziel ist eine weitere Polarisierung der Gesellschaft zu verhindern und Wachstum mit einem Mehr an sozialer Sicherheit zu verbinden. Dabei könnte die Krise genutzt werden, um notwendige Korrekturen in der Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik zu vollziehen.


2. Beschäftigungsbrücke weiter ausbauen

In einer konjunkturellen Abschwungphase ist die Sicherung der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse zunächst die zentrale arbeitsmarktpolitische Aufgabe der Stunde. Dabei geht es um den Aufbau einer Beschäftigungsbrücke, der bildlich gesprochen die Funktion zukommt, bei der Überbrückung des temporär bestehenden Konjunkturtals zu helfen. Im ersten Jahr der Wirtschaftskrise hat die Beschäftigungsbrücke in Deutschland gehalten, und die drei Pfeiler Kurzarbeitergeld, Arbeitszeitkonten und betriebliche Arbeitszeitverkürzungen haben bislang ihre Tragfähigkeit bewiesen. Im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Krise muss es nun aber darum gehen, diese Beschäftigungsbrücke weiter auszubauen und ihre Tragfähigkeit zu erhöhen, so dass sie möglichst viele Beschäftigte über das Konjunkturtal trägt. Hierzu schlagen wir folgende Maßnahmen vor:

1. Entwicklung und Förderung beschäftigungssichernder Arbeitszeitverkürzungsmodelle: Um Beschäftigte auch nach Auslaufen einer Kurzarbeiterregelung im Betrieb zu halten, sollten betriebs- oder branchenspezifische Arbeitszeitverkürzungsmodelle entwickelt und staatlich gefördert werden, indem die Sozialversicherungsbeiträge der Beschäftigten - analog zur Regelung beim Kurzarbeitergeld - (zeitlich befristet) auf das Niveau vor der Arbeitszeitreduktion aufgestockt werden.
Betriebliche Anstrengungen zur Beschäftigungssicherung durch soziale Absicherung der Betroffenen erleichtern: Unter der Vorraussetzung einer Beschäftigungsgarantie durch den Betrieb sollte für Beschäftigte, die aufgrund beschäftigungssichernder betrieblicher Maßnahmen oder aufgrund von Kurzarbeit ein Einkommen erzielen würden, das den Haushalt zum Bezug von Arbeitslosengeld II berechtigen würde, für die Dauer von bis zu zwei Jahren (oder bis zum Sommer 2011) die vermögensbezogene Bedürftigkeitsprüfung und die Anrechnung des Einkommens der Partnerin oder des Partners ausgesetzt werden.

2. Den Ansatz "Qualifizieren statt Entlassen" ausbauen: Um Beschäftigten in der aktuellen Krise die Möglichkeit zum Nachholen einer Berufsausbildung oder einer höher qualifizierenden Ausbildung zu geben, sollte das Kurzarbeitergeld auf 36 Monate ausgedehnt und in diesen Fällen mit der Möglichkeit einer Absenkung der Arbeitszeit auf Null eine Freistellung mit Lohnersatz geschaffen werden. Mittelfristig könnte davon ausgehend - wie von Prof. Dr. Gerhard Bosch (Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen) seit Jahren gefordert - ein Erwachsenen-Bafög eingeführt werden, um die Beteiligung an (abschlussbezogener) Weiterbildung zu stärken.

3. Überbetriebliche und branchenspezifische Transfergesellschaften ermöglichen: Zum einen sollte - analog zum Kurzarbeitergeld - das Transferkurzarbeitergeld auf 36 Monate ausgedehnt und zum anderen die Schaffung überbetrieblicher und branchenspezifischer Transfergesellschaften ermöglicht werden, um so im Zusammenspiel mit überbetrieblichen Weiterbildungsmöglichkeiten Übergänge aus einer Beschäftigung in eine andere Beschäftigung zu schaffen.

4. Förderung der Beschäftigung von Berufseinsteiger/innen und älteren Beschäftigten: Für die Dauer der Krise sollte mit Hilfe von zeitlich befristeten Lohnkostenzuschüssen die Übernahme oder Einstellung von Berufseinsteiger/innen nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung gefördert werden. Zudem sollte die Einführung einer echten Altersteilzeitregelung (statt der Möglichkeit der Blockregelung) Älteren einen gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben bei gleichzeitiger Wiedereinstellung eines/einer jungen Beschäftigten ermöglichen.



3. Beschäftigte sichern

Da der Einbruch der Konjunktur sich mit einem tief greifenden und bereits länger anhaltenden sozioökonomischen Strukturwandel verbindet, ist davon auszugehen, dass in bestimmten Branchen die Beschäftigungsbrücke nicht alle Beschäftigten wird tragen können und nach der Krise weniger Personen in diesen Sektoren beschäftigt sein werden. Dieser Wandel von Teilarbeitsmärkten erfordert eine Neujustierung der Ziele und Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik:

Erstens muss sichergestellt werden, dass durch die Krise nicht in großem Umfang die Beschäftigungsfähigkeit der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen zerstört und gleichzeitig - notwendig - die Beschäftigungsfähigkeit auch gerade in der Krise erhöht wird. Die als "passiv" abqualifizierte soziale Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit sollte daher im Gegensatz zur derzeitigen sanktionsbewehrten Vermittlungsberatung als Bestandteil einer Aktivierungsstrategie verstanden werden, die Qualifikationen schützen und ausbauen helfen soll, im Sinne einer befähigenden Arbeitsmarktorientierung. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung gehören untrennbar zusammen. Eine gute soziale Absicherung gepaart mit einer passgenauen Aktivierung (z.B. durch ein gutes Profiling) kann dazu beitragen, dass Arbeitssuchende leichter in den Arbeitsmarkt wieder einsteigen können.

Zweitens ist es notwendig sicherzustellen, dass nicht ausschließlich aufgrund der Tiefe und Dauer der aktuellen Wirtschaftskrise eine große Anzahl von Personen nach bereits zwölf Monaten Arbeitslosigkeit in das Arbeitslosengeld II abrutschen. Dies hätte aufgrund der daraus resultierenden Einkommens- und Vermögensverluste nicht nur verheerende soziale Folgen, sondern auch entsprechende negative Auswirkungen auf die Binnenkonjunktur.

Deshalb sollten unter anderem folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1. Rolle des Arbeitslosengeldes als Schutzschirm in der Wirtschaftskrise stärken: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sollte auf einheitlich 24 Monate angehoben und die Rahmenfrist verlängert werden. Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes sollte einhergehen mit einer frühen Aktivierung und einer Stärkung der Rechte auf Erhalt einer (selbst gewählten) Förderung oder Weiterbildung.

2. Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors: Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor sollte zum einen durch temporäre Bereitstellung von Ersatzarbeitsplätzen, deren Entlohnung auf tariflichem oder ortsüblichen Niveau erfolgen muss, mithelfen, die infolge der Wirtschaftskrise auftretenden Beschäftigungstäler zu überbrücken. Zum anderen können in diesem Rahmen bestimmte Zielgruppen gefördert werden. Absolutes Ziel muss dabei sein, im Aufschwung für die darin Beschäftigten wieder reguläre Arbeitsplätze zu finden.

3. Schaffung einer nachhaltigen Finanzierungsgrundlage für die Arbeitslosenversicherung: Zunächst muss es darum gehen, einen unmittelbaren Beitragsanstieg in der Arbeitslosenversicherung aufgrund des krisenbedingt entstehenden finanziellen Defizits zu vermeiden. Kurzfristig ist daher eine Beitragssatzgarantie sicherzustellen, indem die Rückzahlung der notwendigen Darlehen ausgesetzt und stattdessen wieder eine Defizithaftung des Bundes eingeführt wird. Mittel- und langfristig sollte die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung auf mehrere Säulen gestellt werden, zu denen neben einem nachhaltigen Beitragssatz die Verbreiterung der Finanzierungsbasis und die Steuerfinanzierung von gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Leistungen gehören. Eine solche nachhaltige Finanzierung der Arbeitslosenversicherung bietet die Grundlage für den anzustrebenden Umbau der Arbeitslosenversicherung zu einer Beschäftigungsversicherung, die sowohl das Einkommensrisiko bei Arbeitslosigkeit als auch bei riskanten Übergängen im Erwerbsverlauf sichert und darüber hinaus Gelegenheitsstrukturen für neue berufliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.

Ein in der aktuellen Wirtschaftskrise besonders verwundbarer Personenkreis sind die Hilfebedürftigen im System der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie partizipierten aufgrund ihrer schlechteren Perspektiven am Arbeitsmarkt schon nur begrenzt am vergangenen Aufschwung, und mit der zunehmenden Eintrübung der Lage am Arbeitsmarkt werden sich ihre Beschäftigungschancen massiv verschlechtern. Hinzu kommt, dass diese Personengruppe auch in Bezug auf ihre finanzielle Situation schlecht vorbereitet mit der schwersten Wirtschaftskrise seit der Gründung der Bundesrepublik konfrontiert wird. Diesen Umständen sollte Rechnung getragen werden durch:

4. Ein höheres beziehungsweise bedarfsgerechteres Arbeitslosengeld II: Eine Erhöhung des Regelsatzes des Arbeitslosengeldes II ist geboten, weil die derzeitige Berechnungsgrundlage fragwürdig ist und die Funktion der Grundsicherung neben der materiellen Absicherung auch in der Gewährung der soziokulturellen Teilhabe besteht. Daneben kommt insbesondere in einer akuten Wirtschaftskrise den Sozialeinkommen eine gewichtige Rolle für die konjunkturpolitische Zielsetzung zu, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stabilisieren, da ihre Empfänger ausgabenseitig beschränkt sind und deshalb eine hohe Konsumneigung haben.

Wenn zusätzlich Arbeitslosigkeit nicht nur individuell verstanden wird, sondern auch die Probleme auf Seiten der Arbeitsnachfrage gesehen werden und wenn hinderliche Strukturen ebenfalls von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bearbeitet werden, bestehen auch in der Krise bzw. im nächsten Aufschwung gute Möglichkeiten, beispielsweise ältere Beschäftigte besser zu integrieren und regionale Disparitäten auszugleichen.


4. Mittel- und langfristige Ziele einer neuen Regulierung von Beschäftigung

Die Notwendigkeit eines Umsteuerns in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik resultiert nicht allein aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern ist notwendig, da die vergangenen Reformen das Risiko Arbeitslosigkeit zunehmend "privatisiert" und den Status des sozialen Staatsbürgers geschwächt haben. Derzeit treten problematische Entwicklungen der letzten Jahre wie in einem Brennglas zutage. Aus der Krise könnte daher die Chance erwachsen, diesen nun entgegenzuwirken:

1. Eine Neuordnung des Arbeitsmarktes: Arbeitsmarktflexibilität ist bislang zu einseitig an den Wünschen und Interessen der Arbeitgeber orientiert gewesen. Eine Neuordnung des Arbeitsmarktes muss auf die Abkehr von der Arbeitgeberflexibilität hin zu einer Arbeitnehmerflexibilität mit sozialer Sicherheit abzielen. Notwendig ist in diesem Zusammenhang ein verändertes Arbeitszeitregime durch den Ausbau und die Stärkung der individuellen Optionalität der Arbeitszeit, die Einführung eines allgemeinen, branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohns sowie die Stärkung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch eine Reform der Minijobregelungen als Bausteine einer Förderung existenzsichernder Beschäftigung.

2. Eine Neuordnung der Arbeitsmarktpolitik: Bei einer Neuordnung der Arbeitsmarktpolitik muss es darum gehen die Elemente des emanzipatorischen Potentials der deutschen Arbeitsmarktpolitik wieder freizulegen. Notwendig ist eine Arbeitsmarktpolitik, die die Zeitsouveränität der Beschäftigten stärkt und Raum für Weiterentwicklung bietet. Statt der Beschränkung auf den Risikofall Arbeitslosigkeit sollten flexible Erwerbsübergänge sozial abgesichert und gefördert werden. Weiterbildung ist ein weiterer zentraler Baustein in der Rejustierung der Arbeitsmarktpolitik. Die bisherigen mangelhaften Bemühungen der Betriebe im Bereich der Weiterbildung trotz angemahnten Fachkräftemangels verdeutlichen, dass ein stärkeres staatliches Engagement notwendig ist, um die gewünschten gesamtgesellschaftlichen Verbesserungen zu realisieren und mit den künftigen Arbeitsmarktanforderungen pro-aktiv umzugehen. Denn Weiterbildung verbindet betriebliche Notwendigkeiten und individuelle Statussicherungs- und Aufstiegsperspektiven.

3. Geschlechtergerechte Arbeitsmarkt-, Arbeitszeit- und Beschäftigungspolitik: Der Veränderung in den Geschlechterverhältnissen muss nicht nur durch eine generelle Gleichstellungspolitik von Frauen und Männern Rechnung getragen werden, die unter anderem gleichen Zugang zu Beschäftigung sowie Entgeltgleichheit sichert. Auch der wachsenden ökonomischen Bedeutung des weiblichen Einkommens für die finanzielle Situation der Haushalte ist Rechnung zu tragen, indem Frauen nicht länger als bloße Zuverdienerinnen zum Haushaltseinkommen behandelt werden.



5. Umsteuerung in der Wirtschaftspolitik

Die beschriebenen arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen bedürfen einer entsprechenden makroökonomischen Flankierung, damit sie die oben beschriebene Brückenfunktion in der aktuellen Wirtschaftskrise wahrnehmen und mittel- und langfristig beschäftigungsschaffende Wirkung erzielen können. Aus diesem Grund ist ein Umsteuern in der Wirtschaftspolitik notwendig.

Neben der Wiederherstellung eines funktionierenden Finanzsystems bedarf es einer europäischen Geldpolitik, die die Deflationsgefahr ernst nimmt und bekämpft sowie einer Fiskalpolitik, die konjunkturpolitisch das zur Überwindung der Krise notwendige leistet und mittelfristig, nach Überwindung der Krise, eine makroökonomisch rationale Konsolidierungspolitik als Alternative zur beschlossenen Schuldenbremse bietet.

Darüber hinaus bedarf es einer Abkehr von der Politik einer übertriebenen Lohnzurückhaltung. Lohnsteigerungen sollten sich wieder am langfristigen Produktivitätspfad und dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank orientieren und nicht länger krampfhaft dem Diktat der Lohnkostensenkung im Interesse einer Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft unterworfen sein. Gleichzeitig ist eine Wirtschafts- und Strukturpolitik, die Beschäftigungsaufbau in zukunftsträchtigen Beschäftigungssegmenten etwa der "green Jobs" oder der Gesundheitswirtschaft fördert, sowie der Ausbau von sozialen Dienstleistungen (Kinderbetreuung, Pflege) im öffentlichen oder Dritten Sektor vonnöten.


6. Fazit

Auch wenn die Forderung nach einer Flexibilisierung von Arbeitszeiten im Interesse der Beschäftigten, nach einem Ausbau der Weiterbildungsbemühungen und einer Stärkung der Sozialversicherung nicht neu sind, so treten vor dem Hintergrund der Krise einige der Problemlagen deutlicher zutage als zuvor, wenn beispielsweise qualifizierte Facharbeiter (und ihre Familien) nach einem Jahr Arbeitslosigkeit vor der Notwendigkeit stehen, ihr Erspartes aufzubrauchen, weil schlicht die Arbeitsnachfrage fehlt, oder wenn niedrige Löhne dazu führen, dass in der Kurzarbeit das Einkommen unter das Existenzminimum rutscht.

Das Kurzarbeitergeld darf daher nicht alleiniges arbeitsmarktpolitisches Mittel zur Abwehr der Wirtschaftskrise bleiben, sondern gefragt ist die intelligente Kombination von Maßnahmen, die soziale Sicherheit gewähren, Arbeitsförderung wirtschafts- und strukturpolitisch flankieren und eine abschluss- und aufstiegsorientierte Qualifizierung ins Zentrum stellen.

Anmerkungen:
(1) Hierbei handelt es sich um saisonbereinigte Werte der von Eurostat veröffentlichten harmonisierten Arbeitslosenquoten, die einen Vergleich zwischen verschiedenen Ländern und Gebietsständen erlauben.
(2) Siehe beispielsweise Gemeinschaftsdiagnose (2009) "Im Sog der Weltwirtschaft - Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr".


Der Beitrag ist eine Kurzfassung des WSI Diskussionspapiers Nr. 167, August 2009: Vom Schutzschirm zum Bahnbrecher - Anforderungen an die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in der Wirtschaftskrise von Claudia Bogedan, Alexander Herzog-Stein, Christina Klenner und Claus Schäfer, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
Download unter: www.wsi.de


Claudia Bogedan ist Sozialwissenschaftlerin und verantwortet das Forschungsreferat "Arbeitsmarktpolitik" am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf. Sie ist Mitglied der spw-Redaktion.

Dr. Alexander Herzog-Stein ist Ökonom und verantwortet das Referat "Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitforschung" am WSI.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2009, Heft 173, Seite 15-20
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2009