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AGRAR/1460: Handel mit der Lebensgrundlage Boden (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 339 - Dezember 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Handel mit der Lebensgrundlage Boden
Aufkauf von Agrarflächen in Ländern des Südens und Osteuropa verläuft ungebremst

Von Christiane Hinck


Schon seit langem wird Boden in Entwicklungs- und Schwellenländern von ausländischen Investoren gekauft oder gepachtet. Neu ist, welche Ausmaße diese Praxis annimmt: Zwischen Oktober 2008 und Juli 2009 wechselten weltweit fast 47 Mio ha in den Besitz ausländischer Investoren und sind so für die einheimische Bevölkerung verloren. Dies entspricht der Hälfte der Ackerfläche der Europäischen Union. Das sogenannte land grabbing ist seit Mitte der 90er Jahre zu beobachten: Regierungen oder Firmen aus Industrieländern, aber auch aus reichen Golf-Staaten wie Saudi-Arabien oder Schwellenländern wie China und Indien investieren - nachdem das Geld lange Zeit in teure Weltmarktprodukte floss - nun in Grundnahrungsmittel und Energiepflanzen.


Hunger Garant für Gewinne

Höhere Preise für Grundnahrungsmittel, vorübergehende Exportstopps, der gestiegene Ölpreis und die vermehrte Produktion von Agrartreibstoffen ließen vor etwa zwei Jahren auch Regierungen in das Landgeschäft einsteigen. Dies geschieht oft in enger Kooperation mit der Privatwirtschaft. Aber auch die Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten mit hohen Gewinnen führt zum Ausverkauf ganzer Landstriche: "Knappe Ressourcen und Hunger sind für Agrar-Investmentfonds Garanten für Gewinne", so Roman Herre, Agrarreferent der Entwicklungshilfeorganisation FIAN. Deutsche und europäische Fonds spielten dabei eine zentrale Rolle. Die Bedeutung solcher Fonds werde derzeit völlig unterschätzt. Mehr als ein Drittel der land grabbing-Fälle, so der UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, seien durch die Agrartreibstoff-Produktion bedingt. Indirekt unterstützt auch die europäische Union dieses Phänomen, indem sie eine Agrartreibstoff-Beimischung von, zehn Prozent vorsieht.


Schauplätze

Drei Viertel der land grabbing-Fälle passieren in Afrika: Dort werden Flächen zum Teil zu Dumpingpreisen verkauft oder gegen fragwürdige Versprechen kostenlos verpachtet, weil die Regierungen um ausländische Investitionen konkurrieren. Zum anderen werden gezielt Länder mit einer hohen Korruption gesucht. Durch die Unabhängigkeit der Staaten nach der Kolonialzeit sind Flächen oftmals in Staatsbesitz, gleichzeitig existieren traditionelle Landnutzungsrechte, die dezentral verwaltet werden. Diese traditionellen Nutzungsrechte in Afrika oder auch in Asien liegen oft bei Gemeinschaften wie Dorfgemeinschaften. Gefördert unter anderem durch die Weltbank und den Millenium Challenge Account, einem Zweig der amerikanischen Entwicklungshilfe, wird weltweit die Privatisierung zu Gunsten internationaler Investoren und lokaler Eliten vorangetrieben. Um Privatbesitz zu regeln, werden Landtitel vergeben, traditionelle Nutzungsrechte werden dabei oft vernachlässigt. Land- und Wasserrechte hängen oft zusammen, weil nur Flächen gekauft werden, die genügend bewässert werden können. Geraten Wassernutzungsrechte in die Hände von Großinvestoren, verlieren Kleinbauern oft den Zugang zu Wasser. De Schutter sagte jüngst auf der Grünen-Tagung "Bodenlos" in Berlin, er halte Landtitel für den vielleicht schlechtesten Weg, Landrechte zu stärken. Dort, wo es Landtitel gibt, seien besonders viele Fälle von land grabbing zu beobachten, so Herre. Dass Investorländer ihr Eigentum in solchen "Agrarexklaven" mit Waffengewalt verteidigen könnten, sieht Herre zwar noch nicht konkret. Unmöglich sei ein solches Szenario aber nicht, da Staaten wie Südkorea zukünftig mit extremen Ernährungsproblemen konfrontiert würden.

Dadurch, dass weltweit immer mehr Land in die Hände von immer weniger Besitzern gelangt, steigt die Zahl der abhängig Beschäftigten in der Landwirtschaft, die weltweit die schlechtesten Arbeitbedingungen und die geringsten Einkommen haben. Von den neuen Besitzern wird das Land in riesige Monokulturen umgewandelt, die Folge sind Erosion, der Verlust fruchtbaren Bodens und ein Rückgang der Biodiversität. Viele der betroffenen Entwicklungsländer sind von Nahrungsmittelhilfe abhängig, da sich die Ärmsten das teure importierte Getreide nicht leisten können. Die Abhängigkeit der afrikanischen Länder von Getreideimporten ist seit 2007 rapide angestiegen. Land grabbing macht auch vor Europa nicht hält: Vor allem in Osteuropa sind die Flächen günstig. In Rumänien etwa haben viele Kleinbauern aufgegeben. Ihre von China aufgekauften Böden werden nun durch chinesische Gastarbeiter bewirtschaftet. Ihrer heimischen Lebensgrundlage beraubt, gehen viele rumänische Kleinbauern als Saisonarbeiter im Plantagenbau nach Spanien, um dort unter primitivsten Bedingungen tätig zu sein. Die dramatischsten Folgen hat land grabbing dort, wo keine sozialen Sicherungsnetze existieren und ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt: Schon bei geringen wirtschaftlichen Schwierigkeiten muss das Land, eigentlich Lebensgrundlage, verkauft werden. Hunger ist die direkte Folge. Global gesehen sind an cirka 90 Prozent der umstrittenen Landkäufe und Pachten vor allem ausländische Privatinvestoren beteiligt. Anders in Brasilien und seinen Nachbarländern, wo vor allem brasilianische Konzerne aktiv sind. Neben dem Entzug von Land sind die Pachtverträge zwischen den Regierungen auf der einen und Investoren auf der anderen Seite problematisch, da sie oft einseitige Kündigungs- und Verlängerungsrechte zu Gunsten der Investoren festsetzen. Den Regierungen bleibt keine Möglichkeit, diese im Nachhinein in ihrem Sinne anzupassen. Die Verträge sind in den wenigsten Fällen öffentlich und die Pläne werden meist ohne Beteiligung der lokalen Bevölkerung gemacht. Versprochene Gegenleistungen wie ländliche Entwicklung, Arbeitsplätze und Infrastruktur sind meist nicht vertraglich festgelegt. Wird Infrastruktur ausgebaut, dient sie fast ausschließlich dem Export.


Rolle der Weltbank

De Schutter kritisierte, das internationale Finanzmanagement und Beratungsgremium der Weltbank ermutige aktiv dazu, in Land zu investieren, und empfehle den Regierungen vor Ort, ihr Land zur Verfügung zu stellen. Herre sieht die Weltbank als Spieler auf zwei verschiedenen Ebenen: Sie sei seit Mitte der 90er Jahre Vorreiter der Land-Privatisierung und mische sich aktiv in die Staatenpolitik ein. Zwar dürften Kredite offiziell nicht an Bedingungen geknüpft sein, inoffiziell sei dies wegen der finanziellen Abhängigkeit der Entwicklungsländer aber der Fall: In Madagaskar wurde ein Gesetz geschaffen, nach dem ausländische Investoren erstmals riesige Flächen für 99 Jahre pachten dürfen. Nachdem der südkoreanische Konzern Daewoo in Madagaskar 1,3 Mio. ha Acker über einen Zeitraum von 99 Jahren pachten wollte, kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Auch andernorts werden Restriktionen für ausländische Investoren oder Exportsteuern abgeschafft. "Nun, da wegen des bekannter werdenden Phänomens ein Aufschrei durch die Medien geht, plant die Weltbank zusammen mit den G8-Staaten einen freiwilligen Verhaltenskodex", so Herre. Er hält dies für einen Versuch, land grabbing zu legitimieren und von Problemen abzulenken. De Schutter, der für ein Landhandel-Moratorium plädiert, bis rechtsverbindliche Richtlinien entwickelt sind, kritisiert: "Die Weltbank-Prinzipien sind nur Dekoration." Der UN-Sonderbotschafter plädiert für Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft, da diese jahrzehntelang vernachlässigt worden sei. Investiert werden müsse in bestimmte Formen des Kontraktanbaus mit höheren Preisen sowie in Kleinbauernkooperativen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 339 - Dezember 2010, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2011