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MELDUNG/070: Brasilien - Friedensmission in Haiti auf dem Prüfstand, schrittweiser Abzug geplant (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. September 2011

Brasilien: Friedensmission in Haiti auf dem Prüfstand - Schrittweiser Abzug geplant

Von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 15. September (IPS) - Brasilien steht seit dem 1. Juli 2004 an der Spitze der UN-Stabilisierungsmission in Haiti (MINUSTAH) und stellt mit 1.280 Soldaten das größte Kontingent, gefolgt von Uruguay mit 1.136 Mann. Doch der Stolz auf die Ehre, eine UN-Mission anzuführen, ist nach der Vergewaltigung einer 18-jährigen Haitianerin durch uruguayische Blauhelme offenbar verflogen. Brasilien und die anderen Mitglieder der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) drängen auf einen allmählichen Truppenabzug.

Als Celso Amorim im August zum brasilianischen Verteidigungsminister ernannt wurde, kündigte er an, die Beteiligung Brasiliens an dem UN-Einsatz neu zu definieren. Die Anwesenheit der Blauhelme sei nicht für die Ewigkeit gedacht, auch wenn ein übereilter Abzug ebenso wenig empfehlenswert sei, erklärte er. Zu dem Zeitpunkt waren die Vorwürfe gegen Blauhelme noch nicht bekannt.

Auf einem Treffen am 8. September in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo kündigten die Außen- und Verteidigungsminister der UNASUR an, dem UN-Sicherheitsrat die Verringerung der Truppenstärke von derzeit 12.200 Blauhelmen auf 9.000 zu empfehlen. Aufgestockt wurde die MINUSTAH nach dem verheerenden Beben im Januar 2010. Eine Entscheidung des Sicherheitsrats wird am 15. Oktober erwartet.

Unter dem UN-Banner sind derzeit 8.700 Soldaten und 3.500 Polizisten in Haiti stationiert. Nach dem Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide im Februar 2004 hatte bis zum folgenden Juli eine US-geführte multinationale Truppe in dem Inselstaat die Stellung gehalten.


Führung der UN-Mission als Machtbeweis

Mit ihrer Entscheidung, die Führung der Mission zu übernehmen, habe die damalige brasilianische Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ihre militärische Stärke demonstrieren wollen, meinte der Historiker Marcelo Carreiro von der Föderalen Universität in Rio de Janeiro. Darüber hinaus sollte damit dem Wunsch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat Nachdruck verliehen werden.

Brasilien habe glaubhaft demonstrieren müssen, dass es den Sitz im UN-Sicherheitsrat verdiene, erklärte auch Clovis Brigagão, der das Zentrum für Amerika-Studien sowie eine Expertengruppe zu internationaler Konfliktprävention an der Cándido-Mendes-Universität in Rio leitet. Der Staatengemeinschaft habe man deutlich machen wollen, dass Brasilien die Position der Nicht-Intervention aufgegeben habe und auf der Grundlage des Solidaritätskonzepts handele.

William Gonçalves von der staatlichen Universität in Rio de Janeiro zufolge ging es Brasilien vor allem darum, zu zeigen, dass seine zukünftige Außenpolitik darauf ausgerichtet ist, "vor allem die schwächsten und schutzlosesten Nachbarn zu unterstützen".

Die jüngsten Skandalnachrichten haben die Mission jedoch in ein schlechtes Licht gestellt. Ein kürzlich aufgetauchtes Handy-Video zeigte uruguayische Soldaten in Haiti, die einen Teenager sexuell missbrauchten. Auch andere Übergriffe wurden bekannt. Bereits 2007 waren mehr als hundert srilankische Blauhelme wegen ähnlicher Vergehen nach Hause geschickt worden.

Viele Haitianer warfen der MINUSTAH vor, die Cholera in das Land eingeschleppt zu haben. Studien zufolge waren die auf Haiti gefundenen Cholera-Erreger identisch mit denen, die in Nepal vorkamen, als 2010 Friedenssoldaten von dort in die Karibik entsandt wurden.


Landlose sehen Militär in Haiti fehl am Platz

João Pedro Stédile, der Vorsitzende der brasilianischen Landlosen-Bewegung, hält die weitere Präsenz brasilianischer Soldaten in Haiti für "untragbar". Die Streitkräfte sollten sich darauf beschränken, die Souveränität ihres eigenen Landes zu schützen", meinte er.

Laut Mark Weisbrot, dem Ko-Direktor des 'Centre for Economic and Policy Research' (CEPR) in Washington, spielt Brasilien unbeabsichtigt der US-Regierung in die Hände, die die treibende Kraft beim Sturz von Aristide gewesen sei. Brasilien sei nicht aufgefallen, dass die USA in Haiti genau das Gleiche getan hätten wie 2002 in Venezuela, sagte er. "Sie organisierten einen Staatsstreich gegen eine demokratisch gewählte Regierung."

Carreiro sieht keine Notwendigkeit, weshalb die Truppen weiter in Haiti bleiben sollten. Schließlich habe die UN-Mission bereits vor Jahren ein Mindestmaß an Sicherheit für den Übergang zu einer neuen Regierung garantiert. Seit Beginn des Blauhelmeinsatzes seien bereits zwei Mal Wahlen abgehalten worden - 2005 und 2011.

Wenn fremdes Militär zu lange in einem Land bleibe, gebe es immer Probleme, meinte William Gonçalves. An einem gewissen Punkt müssten die Haitianer außerdem selbst die volle Verantwortung für die Zukunft ihres Landes übernehmen. Es sei also an der Zeit, den Rückzug der Blauhelme vorzubereiten. Dies bedeute aber nicht, dass Brasilien Haiti keine Unterstützung mehr leiste. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minustah/
http://www.pptunasur.com/
http://www.cepr.net/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105086

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2011