Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → UNO

KONFERENZ/168: Weltfrauenkonferenz - Von Mexiko nach Peking (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 115, 1/11

Von Mexiko nach Peking
Kulturelle Differenzen oder das Zusammentreffen mehrfacher Hierarchien?

Von Eva Kalny


1975 fand die erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko statt, auf der sowohl die "Erklärung von Mexiko über die Gleichheit der Frauen und ihr Beitrag zu Entwicklung und Frieden" als auch ein umfangreicher Aktionsplan verabschiedet wurden. Knapp zwanzig Jahre später wurden 1995 die - vorerst letzte - Pekinger Erklärung sowie eine Aktionsplattform beschlossen. Jeweils fünf, zehn und fünfzehn Jahre danach wurde in Evaluierungstreffen über die Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform beraten, und eine weitere große UN-Frauenkonferenz wird von manchen gewünscht.


Diese mittlerweile mehr als 35 Jahre sind nicht zuletzt auch dreieinhalb Jahrzehnte sich verändernder und zunehmender Interaktion zwischen Frauen unterschiedlicher regionaler Herkunft, die teilweise unterschiedliche Vorstellungen von Frauenrechten haben. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Kluft zwischen Frauen des "Westens" und jener ehemals kolonialisierter Gebiete ursprünglich groß war, im Laufe der Jahrzehnte sich aber gemeinsame Positionen herauskristallisierten.


Süd versus Nord?

Als Beispiel für kulturelle Differenzen wird dabei häufig auf einen heftig ausgetragenen Konflikt zwischen der bolivianischen Aktivistin Domitila Barrios de Chungara und der US-amerikanischen Feministin Betty Friedan auf der NGO-Parallelveranstaltung zur UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko verwiesen. Während Betty Friedan zur Einheit aller Frauen aufrief, grenzte sich Domitila sowohl auf der Konferenz als auch in ihrer wenige Jahre danach gemachten weltbekannten Aussage: "Wenn man mir erlaubt zu sprechen..." von diesem Aufruf ab. Die Ehefrau eines Minenarbeiters und Aktivistin im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in den Minen, schildert ihre Überraschung über die Einladung nach Mexiko und ihre Hoffnung, dort mit Bäuerinnen und Arbeiterinnen aus der ganzen Welt zusammenzutreffen, und ihre große Enttäuschung, beinahe ausschließlich auf Frauen des Mittelstandes zu treffen, die über ganz andere als ihre Probleme diskutieren. Insbesondere Diskussionsforen über die Rechte von Prostituierten, lesbische Sexualität oder Geburtenverhütung widerstrebten ihr. Als eine mexikanische Delegierte sie auf die gemeinsame Identität als Frauen ansprach, meinte Domitila: "Señora, vor einer Woche habe ich sie kennengelernt. Jeden Morgen haben Sie ein anderes Kleid an, ich aber nicht. Sie kommen jeden Tag gut geschminkt und frisiert, wie jemand, der die Zeit hat, zu einem guten Friseur zu gehen und der gutes Geld dafür ausgeben kann. Ich aber nicht. Ich sehe, dass Sie einen Chauffeur haben, der jeden Abend an der Tür dieses Saales auf Sie wartet, um Sie nach Hause zu bringen. Mich aber nicht. (...) Jetzt sagen Sie mir bitte, Señora, hat Ihre Lage Ähnlichkeit mit der meinen? Hat meine Lage Ähnlichkeit mit der Ihren? Also, über welche Gleichheit werden wir reden? Scheint es Ihnen nicht so, dass wir im Augenblick, auch als Frauen, nicht gleich sein können?"


Regionale Differenzen

Dem Abschlussbericht der offiziellen Tagung ist zu entnehmen, dass neben dem allgemeinen Aktionsplan zwei regionale Aktionspläne verabschiedet wurden, die den jeweiligen spezifischen Bedürfnissen entsprechen sollten. Sowohl der Aktionsplan zur Integration von Frauen in Entwicklung für Asien und Ozeanien als auch der gleichnamige Plan für Afrika legten einen Schwerpunkt auf die Förderung ländlicher Frauen in den Bereichen Bildung, verstärkte Teilhabe von Frauen in formalen Beschäftigungsverhältnissen, die Verstärkung und Einführung von Sozialsystemen und die Aufhebung aller Zugangsbeschränkungen zur Familienplanung. Die afrikanische Wirtschaftskommission ist zu dieser Zeit die einzige der fünf regionalen UN-Kommissionen, die über ein Programm für die Einbeziehung von Frauen in den Entwicklungsprozess verfügt. Dem Anhang des UN-Abschlussdokuments ist zu entnehmen, dass z. B. die Delegation Bangladeschs, das wenige Jahre zuvor bei seiner Loslösung von Pakistan einen Genozid erlitten hatte, spezielle Unterstützungsmechanismen für vertriebene und vergewaltigte Frauen und deren Kinder einforderte. Ecuador bestand auf Zugang von Frauen zu Kunst, Sport und Kultur. Indien forderte, dass Geburtenkontrolle mit sozialer Absicherung verbunden werden sollte - eine dringend nötige Maßnahme, da ohne funktionierendes Pensionssystem eine Entscheidung für ein Leben ohne oder mit wenigen Kindern kaum möglich ist. Jamaika und Malaysia forderten die explizite Möglichkeit der Bildung auch für schwangere junge Mädchen. Pakistan wünschte spezielle Erwähnung "von so ernsten Verbrechen gegen Frauen" wie Kinderheirat oder einseitige Verstoßung durch den Ehemann. Der Vatikan wandte sich gegen die individuelle Entscheidungsmöglichkeit, Zahl und Abstand zwischen den Kindern zu bestimmen. Eine klare Konfrontationslinie zwischen "frauenrechtlich bewegtem Westen" und einem "weniger frauenrechtlich bewussten Süden" ist insbesondere in den Anhängen zum Abschlussdokument nicht zu erkennen.

In ihrem aktuellen Forschungsprojekt über die erste UN-Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko zeigt die Historikerin Jocelyn Olcott weitere interessante Aspekte auf und verweist auf eine dritte, neben Domitila und Friedan, in den klassischen Erzählungen eher vergessene Persönlichkeit: die damals landesweit bekannte Aktivistin Nancy Cárdenas. Sie ist Mitbegründerin der ersten Homosexuellenorganisation des Landes Frente de Liberación Homosexual und sah das Forum als eine weitere Gelegenheit, die Rechte von Homosexuellen in Mexiko medial zu thematisieren. Es dürfte gerade auch das von ihr mitorganisierte Panel zu lesbischer Sexualität gewesen sein, das Domitila Barrios de Chungara ganz besonders irritiert hatte. Bei ihrer Analyse der Sitzungsunterlagen stellt Olcott fest, dass Betty Friedan auf dem NGO-Forum praktisch gar nicht in die Diskussionen um Sexualität involviert war und die diesbezügliche inhaltliche Differenz viel eher zwischen Nancy Cárdenas und Domitila Barrios de Chungara als zwischen dieser und Betty Friedan bestand.


Die Geschichtsschreibung erweitern

In der Überlieferung der Geschichte der Weltfrauentage und der nicht reibungslosen Entwicklung der Frauenrechte liegt der Schwerpunkt oft auf kultureller Differenz - dabei werden jedoch wesentlich komplexere Hierarchiebeziehungen, und insbesondere die Frage der Schichtzugehörigkeit, auf eine Polarisierung "the West and the rest" reduziert. Das wiederum ist für die Zusammenarbeit über nationalstaatliche und soziale Grenzen hinweg eher hinderlich. Hilfreicher ist es da, beim Versuch einer Geschichtsschreibung der Frauenrechte von Mexiko nach Peking auch nach der Klassenzugehörigkeit der an den Beschlüssen und Foren beteiligten Frauen zu fragen, nach der Beteiligung von in den beschlussfassenden Staaten rassistisch diskriminierten Frauen (Roma, Migrantinnen, Indigene, etc.), oder nach weiteren möglichen Diskriminierungskategorien (sexuelle Orientierung, Alter, etc.).


Literaturtipps:
- Barrios de Chungara, Domitila/Viezzer, Moema:
"Wenn man mir erlaubt zu sprechen..." Zeugnis der Domitila, einer Frau aus den Minen Boliviens. (Bornheim-Merten, 1978)
- Homepage von Jocelyn Olcott:
http://fds.duke.edu/db/Provost/clacs/olcott
Sämtliche Abschlussdokumente der UN Weltfrauenkonferenzen:
www.un.org/womenwatch/daw/beijing/


Zur Autorin:
Eva Kalny ist Sozialanthropologin und arbeitet derzeit am Institut für Soziologie der Universität Hannover.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 115, 1/2011, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2011