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INTERNATIONAL/180: Honduras - Gewalt und Abschiebung können Migranten nicht schrecken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2014

Honduras: Gewalt und Abschiebung können Migranten nicht schrecken

von Thelma Mejía


Bild: © Thelma Mejía/IPS

Rot-Kreuz-Mitarbeiter steigen im honduranischen Corinto in einen Bus, um den Gesundheitszustand der an Bord befindlichen, aus den USA deportierten Migranten zu checken und sie mit dem Notwendigsten auszustatten
Bild: © Thelma Mejía/IPS

Corinto, Honduras, 12. September (IPS) - Es ist neun Uhr in der Früh und der erste Bus aus dem mexikanischen Tapachula erreicht die honduranische Grenzstadt Corinto. An Bord befinden sich 19 Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren sowie sechs Frauen und sieben Männer.

Zehn Stunden waren die Familien unterwegs. Ein Team aus ehrenamtlichen honduranischen Rot-Kreuz-Helfern, die vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) unterstützt werden, steigen in den Bus, um nach dem Befinden der Rückkehrer zu sehen.

Corinto im nordwestlichen Departement Cortés ist der erste Zwischenstopp in Honduras für die unfreiwilligen Heimkehrer. Endziel ist die nahe gelegene Stadt San Pedro Sula, wo die Ankömmlinge in einer Migrantenherberge gezählt werden und einen Beutel mit Nahrungsmitteln und einem kleinen Geldbetrag erhalten, der ihnen helfen soll, nach Hause zurückzukehren.


Vier Busse am Tag

Durchschnittlich erreichen vier Busse am Tag die Grenzstadt mit Fahrgästen, für die sich die gefährliche Reise in Richtung USA als vergeblich herausgestellt hat. "Pro Bus sind es zwischen 30 und 38 Menschen", berichtet Yahely Milla, eine Rot-Kreuz-Helferin. Angelaufen seien die Massendeportationen im April und hätten im Mai und Juni ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. In diesen beiden Monaten seien 15 Busse am Tag angekommen.

"Damals kehrten massenweise Kinder im Alter von drei Monaten bis zu zehn Jahren, einige von ihnen mutterseelenallein, andere in Begleitung ihrer Eltern, zurück. Noch nie haben wir hier, an der honduranisch-guatemaltekischen Grenze, so viele Deportierte gesehen."

Corinto liegt 362 Kilometer von der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa entfernt und ist ein häufig genutzter Grenzübergang für Honduraner, die in die USA wollen. Es gibt mindestens 80 Stellen, an denen die Migranten die Grenze nach Guatemala überqueren, um die gefährliche Reise durch Mexiko in Richtung USA anzutreten. Die Behörden haben inzwischen die Grenzkontrollen verschärft, was den Menschenstrom ein kleines bisschen verringert hat.

Hilfsorganisationen oder staatliche Stellen sind hier mit Ausnahme des Roten Kreuzes und des IKRK abwesend. Das einzige Mal, dass die Regierung Präsenz zeigte, war im Juli, als sich Ana Hernández, die Frau des honduranischen Staatspräsidenten Juan Orlando Hernández, zum Gespräch mit einer Gruppe von Kindern einfand. Die Auffanglager, die die First Lady damals versprach, gibt es bis heute nicht. Den aus Mexiko und den USA deportierten Menschen steht an der Bushaltestelle noch nicht einmal eine Toilette zur Verfügung.

Mauricio Paredes, der Leiter des Rot-Kreuz-Einsatzteams in Corinto, erklärt, dass das ungeheure Ausmaß der humanitären Krise seine Mitarbeiter dazu zwinge, die Hilfsgüter zu rationieren. Für die ankommenden Kinder stünden Wasser, Babyflaschen und Salzlösungen bereit, die Erwachsenen erhielten Wasser, Toilettenpapier, Zahnpasta und -bürsten. Die Frauen würden mit Hygienebinden, die Männer mit Einwegrasierern ausgestattet. Auch wird ihnen ein dreiminütiges Telefongespräch mit ihren Angehörigen erlaubt.

Bild: © Thelma Mejía/IPS

In einer überfüllten staatlichen Migrantenherberge im honduranischen San Pedro Sula werden die Familien mit ihren Kindern auf ihre Heimkehr in ihre Dörfer und Städte vorbereitet
Bild: © Thelma Mejía/IPS

Fünf Stunden nach Ankunft des ersten Busses kommt der nächste, diesmal aus dem mexikanischen Acayuca, mit 38 aus den USA deportierten Personen in Corinto an. Eine von ihnen ist die 19-jährige Daniela Díaz. Gleich nach ihrer Ankunft in Corinto ruft sie ihre Mutter an, um ihr mitzuteilen, dass auch der zweite Versuch, in die USA zu gelangen, gescheitert ist. Erst dann ist sie bereit, IPS über die zurückliegende Odyssee zu berichten.

"Ich habe diese Reise vor neun Monaten begonnen", erläutert sie. "Obwohl das bereits mein zweiter Anlauf war, hat mich das, was ich gesehen habe, doch sehr erschüttert." Dieses Mal sei es ihr gelungen, auf dem Dach des 'Biestes', wie der von Migranten genutzte mexikanische Güterzug in Richtung USA genannt wird, mitzufahren.


Vergewaltigung und Mord

"Furchtbare Dinge haben sich dort abgespielt", berichtet Díaz. "Ich sah, wie Frauen vergewaltigt wurden und Menschenhändler ihre Opfer an kriminelle Banden verkauften. Menschen, Landsleute, wurden getötet, bisweilen vom Zug gestoßen. In dieser Zeit habe ich so viel geweint, dass keine Träne übrig ist."

Dass sie ihre Familie verlassen habe, erklärt sie mit der Arbeitslosigkeit in ihrem Land. "Meine Familie ist arm, manchmal haben wir zu essen, manchmal nicht. Wir sind fünf Geschwister, ich bin die jüngste und eine Rebellin, wie meine Mutter sagt", erzählt die junge Frau aus Miramesí, einem Elendsviertel in Tegucigalpa. Doch trotz dieser furchtbaren Erfahrungen will sie es sie es auch ein drittes Mal versuchen. "Für den Traum, in die USA zu gehen, bin ich bereit, mein Leben zu riskieren."

Armut und Gewalt sind die Hauptfaktoren, warum so viele Honduraner die Heimat verlassen. Zwischen Oktober 2013 und Mai 2014 erreichten rund 13.000 unbegleitete honduranische Kinder die USA. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres wurden 30.000 aus den USA und Mexiko deportiert, wie das staatliche honduranische Zentrum zur Betreuung rückkehrender Migranten berichtet.

Der 18-jährige David López stammt aus Copán Ruinas im westhonduranischen Departement Copán, einem der Hotspots des organisierten Verbrechens. Dieser Umstand hat ihn zur gefährlichen Reise in Richtung USA veranlasst. Er hat es nicht geschafft und leidet seither unter Angst- und Ohnmachtsgefühlen. Zwei Mal wurde er von kriminellen Banden attackiert, die in der Grenzregion operieren.

Die Erfahrungen wie Gewalt, Missbrauch, Durst und Hunger gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf, wie er sagt. Hinzu kommt das Gefühl, versagt zu haben. "Ich schäme mich, nach Hause zurückzukehren, weil ich es nicht geschafft habe. Wenn sich die Situation an der Grenze beruhigt hat, versuche ich es noch einmal."

Allein im August waren 19.000 Honduraner über Corinto in die Heimat zurückgebracht worden. Das waren so viele wie 2013 zusammen, wie der Rot-Kreuz-Einsatzleiter Mauricio berichtet.

Das 8,4 Millionen Einwohner zählende Land ist nicht nur mit einer horrenden wirtschaftlichen Not geschlagen, die 65 Prozent aller Haushalte betrifft, sondern auch mit einer exorbitant hohen Mordrate von 79,7 pro 100.000 Einwohnern, die Honduras zu den gefährlichsten Staaten der Welt macht. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/09/masivas-deportaciones-no-rompen-suenos-migratorios-de-hondurenos/
http://www.ipsnews.net/2014/09/mass-deportations-dont-squelch-hondurans-migration-dreams/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2014