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INTERNATIONAL/172: Lateinamerika - junge Leute in Armut, höhere Bildungsinvestitionen angemahnt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Juli 2014

Lateinamerika: Junge Leute in der Armutsfalle - Experten mahnen höhere Bildungsinvestitionen an

von Marianela Jarroud


Bild: © Diego Arguedas Ortiz/IPS

Guadalupe und Angel Villalobos
Bild: © Diego Arguedas Ortiz/IPS

Santiago de Chile, 11. Juli (IPS) - Die Armut in Lateinamerika wird häufig von einer Generation in die nächste vererbt. Eine solide Bildung, die den künftigen beruflichen Anforderungen Rechnung trägt, hätte das Potenzial, den unguten Automatismus zu beenden. Deshalb fordern zivilgesellschaftliche Verbände und Wissenschaftler umfangreiche Investitionen in die Zukunft junger Leute.

"Die lateinamerikanische Jugend von heute verfügt über eine ungeheure symbolische Kraft und hat möglicherweise das reichste Spektrum an Identitäten und kulturellen Ausdrucksformen zu bieten", meint Martin Hopenhayn, Leiter der Abteilung für soziale Entwicklung bei der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL).

Laut der Kommission mit Sitz in der chilenischen Hauptstadt Santiago ist jeder vierte Lateinamerikaner zwischen 15 und 29 Jahre alt. Noch sei Lateinamerika ein junger Kontinent, aber nicht mehr lange, so Hopenhayn. Der Anteil der unter 15-Jährigen in der Region gehe deutlich zurück. "Bereits in zwei Jahrzehnten werden wir eine alternde Gesellschaft sein. Wir müssen jetzt in die Jugend investieren, damit die Bevölkerung in 20 Jahren produktiver sein kann als heute."

In Lateinamerika wird bisher allerdings relativ wenig in die junge Generation investiert. Besonders deutlich wird der Kontrast, wenn man sieht, in welchem Maß europäische Staaten oder Länder in Südostasien die akademische Bildung fördern. Die Armutskette werde nur reißen, wenn die heutige Bildung und künftige Beschäftigungsmöglichkeiten besser aufeinander abgestimmt werden, sagt Hopenhayn.


'Investitionen in junge Menschen'

Den Vereinten Nationen zufolge ist die derzeitige junge Generation die größte in der Menschheitsgeschichte. Insgesamt leben auf allen Kontinenten rund 1,8 Milliarden junge Leute, die meisten von ihnen in den südlichen Entwicklungsländern. Der Weltbevölkerungsfonds UNFPA will die Öffentlichkeit für die Notwendigkeit sensibilisieren, die Ressourcen für diese Bevölkerungsgruppe aufzustocken. Folgerichtig lautet das Motto des am 11. Juli begangenen Weltbevölkerungstages 'Investitionen in junge Menschen'.

Die Kluft zwischen dem Bildungsniveau armer und nicht armer junger Menschen könne nur verringert werden, indem die Schwächeren besonders gefördert würden, betont Hopenhayn. CEPAL-Zahlen zufolge können nur 28 Prozent der ärmsten 20 Prozent der Lateinamerikaner im Alter von 20 bis 24 Jahren einen Abschluss an einer weiterführenden Schule vorweisen. Unter den reichsten 20 Prozent hätten hingegen 80 Prozent diese Ausbildung abgeschlossen.

"Derzeit ist der Abschluss an einer weiterführenden Schule die Mindestanforderung, wenn ein junger Mensch, der einen Berufseinstieg sucht und einen lebenslangen Karriereweg beschreiten will, Wohlstand und soziale Mobilität erreichen und die Armut überwinden will", erklärt Hopenhayn.

Angel und Guadalupe Villalobos, ein Geschwisterpaar, das einen kleinen Obsthandel nahe der Universität von Costa Rica in San José betreibt, sind sich dieser Situation bewusst. Der 21-Jährige schloss im vergangenen Dezember seine Friseurlehre ab und begann im Januar zu arbeiten. Als sich die 22-jährige Schwester von ihrem Freund trennte, begann Angel, gemeinsam mit ihr außerdem Obst an Schönheitssalons zu liefern.

Keiner von beiden besucht die Universität. Ein Studium wäre für Guadalupe gar nicht möglich, weil sie keinen Sekundarabschluss vorweisen kann. In dem zentralamerikanischen Land Costa Rica mit rund 4,8 Millionen Einwohnern arbeiten 22 Prozent aller jungen Leute im informellen Sektor, den Angel und seine Schwester aber unbedingt verlassen wollen.


Kaum Auswege aus der Armut

In Mexiko sind 37 Millionen der insgesamt 118 Millionen Einwohner zwischen 15 und 29 Jahre alt. Fast 26 Prozent von ihnen gehen weder einem Studium noch einer Arbeit nach, und 45 Prozent von ihnen leben in Armut. "Ich bin beunruhigt über das Fehlen von Chancen und die Aussicht auf Arbeitslosigkeit", sagt die 18-jährige María Fernanda Tejada. Ab August will sie Internationale Beziehungen an der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt studieren. "Wir tragen eine große Verantwortung, denn wir sind die Zukunft dieses Landes", erklärt sie.

Nach Ansicht von Hopenhayn sind Interventionen im Bildungsbereich die beste Möglichkeit, um den generationenübergreifenden Kreislauf der Armut zu durchbrechen. Laut einer Studie von CEPAL und UNFPA lebt etwa ein Drittel der jungen Leute in Lateinamerika und in der Karibikregion in Armut. Dies verstößt gegen die in internationalen Abkommen zugesicherten Menschenrechte. Aus der 2012 veröffentlichten Studie geht hervor, dass der Anteil der 15- bis 29-Jährigen in der Region, die in Armut und in extremer Armut leben, 30,3 Prozent beziehungsweise 10,1 Prozent ausmacht. Gemeinsam mit der Altersgruppe der unter 15-Jährigen sind die 15- bis 29-Jährigen die Bevölkerungsgruppe, die am stärksten armutsanfällig ist.

Der Anteil der jungen Arbeitslosen liegt in Lateinamerika bei 15 Prozent, in der Altersgruppe der über 30-Jährigen hingegen nur bei sechs Prozent. Die Lage der Jugendlichen wird zudem durch das hohe Ausmaß der informellen Beschäftigung in der Region erschwert.

"In Chile beispielsweise sind 45 bis 50 Prozent der Erwerbstätigen in der Schattenwirtschaft tätig. In der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen trifft dies sogar auf 60 Prozent zu", sagt der Soziologe Lucas Cifuentes, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso). (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/07/young-latin-americans-face-spiral-of-unemployment-poverty/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2014