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INTERNATIONAL/024: Die Situation von sri-lankischen Frauen im Libanon (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 115, 1/11

Freiberufliche Hausarbeiterinnen
Die Situation von sri-lankischen Frauen im Libanon

Von Lina Abou Habib


Sri-lankische Hausarbeiterinnen bilden mittlerweile die größte Gruppe ausländischer ArbeitnehmerInnen aus asiatischen Ländern im Libanon. Die neuen Ergebnisse über die Situation von Hausarbeiterinnen mit Fokus auf die Relevanz von informellen sozialen Netzwerken basieren auf Interviews. Näher untersucht wurden auch die Gender-Rollen und ihre Veränderung, wenn Frauen finanzielle und soziale Unabhängigkeit erlangen.


Migration wurde traditionell immer mit dem Bild von einem Mann in Verbindung gebracht. Das hat sich seit den 80er Jahren zunehmend verändert, da immer mehr Frauen zu migrieren begannen, um bessere ökonomische Möglichkeiten zu erhalten. In Sri Lanka überholte die Zahl der weiblichen Migration sogar die der männlichen: 2007 waren 52,63% der im Ausland arbeitenden Menschen Frauen.


Rechtliche Rahmenbedingungen und soziale AkteurInnen

Das Sponsorship System kann als regulierende Rahmenbedingung oder legales Konzept gesehen werden. Es entsteht ein spezieller Raum in Anlehnung an rechtliche Vorgaben, in welchem alle sozialen Akteure wie die Agenturen, die ArbeitgeberInnen und die Arbeitnehmerinnen interagieren. Wenn eine Hausarbeiterin in den Libanon einreisen möchte, muss sie "gesponsert" werden. Dies bedeutet, sie wird offiziell von einer Sponsorin/einem Sponsor - einer Agentur oder einer individuellen Person, deren Name im Pass vermerkt ist - eingeladen. Damit erhält sie ein dreimonatiges Arbeitsvisum, das ihr die Einreise erlaubt. Am Flughafen wird ihr der Pass vom Sicherheitsdienst abgenommen, der Name der Sponsorin/des Sponsors aufgerufen und direkt ihr/ihm überreicht. Diese Person ist später auch für die jeweilige Erneuerung aller Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse zuständig. Er/Sie besitzt nicht nur ihre Papiere, sondern kann auch ihre Legalität im Libanon kontrollieren.


Kategorien der Hausarbeiterinnen

Im Allgemeinen können Hausarbeiterinnen in drei Kategorien eingeteilt werden. Erstens gibt es Live-in workers, die im Haus der ArbeitgeberInnen leben und arbeiten. Diese Personen kommen für alle Gebühren auf und kümmern sich darüber hinaus um alle verpflichtenden Arbeits- und Aufenthaltspapiere. Die zweite Kategorie wird von den Freelancers gebildet. Um sich legal im Libanon aufhalten zu können, brauchen nach dem Gesetz auch Angestellte im freien Dienstverhältnis eine Sponsorin/einen Sponsor. Freelancers arbeiten auf Stundenbasis. Im Gegensatz zu den Live-in workers haben sie auch die Möglichkeit, ihre Arbeitgeber selbst zu wählen. Runaways waren ursprünglich Live-in workers, die sich dafür entschieden haben, von ihrer Arbeitgeberin/ihrem Arbeitgeber "wegzulaufen". Dafür ausschlaggebend sind in den meisten Fällen unterschiedliche Formen von Missbrauch oder die Einbehaltung des Lohns. Wenn eine Hausarbeiterin davonläuft, muss sie sich darüber bewusst sein, dass sie sich nun ohne SponsorIn illegal im Libanon aufhält.


Outside und inside

Als die Interview-Teilnehmerinnen über ihren Status befragt wurden, haben alle Frauen die Begriffe inside und outside verwendet; inside weist auf einen Vertrag und live-in work hin, outside auf Freelancing-Aktivitäten. Die meisten Frauen arbeiten zuerst unter Vertrag und erst später outside, wenn sie über ein besseres Wissen der Situation verfügen, arabisch sprechen und Netzwerke haben. Es ist auch zu bemerken, dass einige Freelancer ehemalige Runaways sind. Outside zu arbeiten kann daher eine temporäre Lösung sein, bis der illegale Status behoben ist. Der hauptsächliche Grund für Freelancing ist die Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen. Ein anderer ist das Gefühl, "frei zu sein". Frauen haben so das Gefühl, mehr Macht und Handlungsfähigkeit zu haben, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Frauen unter Vertrag hingegen haben das Gefühl, im Haus bleiben zu müssen. Outside-Arbeiterinnen können zum Beispiel das Land verlassen, wenn es einen Notfall in ihrer Familie gibt. Außerdem besteht für sie die Möglichkeit, mehr in soziale Netzwerke integriert zu sein. Sie haben mehr Freizeit, können Telefonate nach Sri Lanka führen und wann immer sie wollen ihre Freundinnen und Freunde treffen. Die Frauen, die inside arbeiten, müssen 24 Stunden abrufbar sein. Freelancer sind jedoch auch mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Ihr Arbeitsplatz ist nicht stabil. So berichteten mehrere Teilnehmerinnen, dass sie über den Sommer weniger oder keine Arbeit hatten, da dann viele Menschen in Urlaub fahren. Wenn sich Frauen verletzen oder krank werden, können sie wiederum nicht Vollzeit arbeiten. Und schließlich haben Frauen mehr Kosten, wenn sie outside arbeiten. Sie müssen unter anderem ihre Aufenthaltsgenehmigung selbst bezahlen und fürs Wohnen aufkommen.


Informelle soziale Netzwerke

Die Freelancer stützen sich auf ein informelles Netzwerk, das aus srilankischen Frauen besteht. Die Frauen wenden sich nicht an formelle Netzwerke, da die meisten davon ausgehen, ohnehin nicht unterstützt zu werden. Es werden informelle Darlehensstrukturen aufgebaut und organisiert. Die Freundinnen sind auch eine psychologische Unterstützung, da sie untereinander über ihre Probleme sprechen können. In extremen Fällen können Freelancer auch Runaways helfen. Die Frauen können sich bei der Arbeitssuche aufeinander verlassen. Und es besteht die Möglichkeit, wenn eine Freundin das Land wieder verlässt, deren Stelle zu übernehmen. Dennoch gibt es auch einen Wettbewerb um Arbeitsstellen unter den Frauen.


Die Zunahme an finanzieller und sozialer Unabhängigkeit

Die Frauen haben ihren Haushalt in Sri Lanka verlassen, um in den Libanon zu migrieren und mehr Geld für ihre Familien zu verdienen. Somit wurden sie zu den Hauptverdienerinnen und können nicht mehr ihre Rolle als Hauptverantwortliche für ihre Familien erfüllen. In den meisten Fällen führt ihre Abwesenheit zu einem Zerfall ihres Haushaltes. Im Libanon erleben die Frauen eine neue Art zu leben, wodurch sie Unabhängigkeit auf mehreren Ebenen erlangen. Selbst wenn die Entscheidung zu migrieren von ihnen selbst getroffen wurde, standen sie immer unter dem Druck der Gesellschaft und ihrer eigenen Familie. Die Teilnehmerinnen erleben die libanesische Gesellschaft als freier und moderner. Der geringere soziale Druck und die neu erworbene Freiheit zeigen sich in ihrem Kleidungsstil, dass sie rauchen oder wie sie Beziehungen mit Männern führen. Außerdem fühlen diese Frauen sich nicht mehr dafür verantwortlich, sich um ihre Familien zu kümmern. Ein anderer bedeutender Unterschied ist der Gewinn an finanzieller Unabhängigkeit, was bedeutet, dass die Frauen glücklich sind, ihr eigenes Geld zu haben und ohne das Einverständnis des Ehemannes selbst darüber entscheiden zu können. Zusammenfassend bewegen all diese unterschiedlichen Ausdrucksformen von Unabhängigkeit die Frauen dazu, dass sie diese andere Mentalität übernehmen und sich an das Leben im Libanon gewöhnen. Wobei sie aber auch die Diskrepanz zwischen ihrem neuen Dasein und dem in ihrem Heimatland erleben. Folglich ist es für sie schwierig, sich wieder in die sri-lankische Gesellschaft einzufügen. Dennoch wollen alle Teilnehmerinnen wieder in Sri Lanka arbeiten, unabhängig davon, ob sie zuvor einen Beruf in Sri Lanka hatten.


Zur Autorin:
Lina Abou Habib ist die Leiterin der Collective for Research and Training on Development-Action (CRTD-A) im Libanon.

Übersetzung aus dem Englischen: Julia Sarkissian


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 115, 1/2011, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2011