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FRAUEN/748: El Salvador - Simultankonferenz in Brüssel und San Salvador fordert Ende des Abtreibungsverbots (Frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 144, 2/18

Wie lange noch?
Simultankonferenz in Brüssel und San Salvador fordert Ende des Abtreibungsverbots in El Salvador

von Gaby Küppers


Den Versuch war es wert. Mit einer simultan durchgeführten Konferenz in Brüssel und San Salvador (Titel: "Unser Körper - unser Leben") wurden Anfang April diejenigen Kräfte unterstützt, die in dem zentralamerikanischen Land eine Änderung des totalen Abtreibungsverbots durchsetzen wollen. Neben vier grünen Europaabgeordneten als Organisator_innen sprachen freigelassene Verurteilte, eine Gynäkologin, Abgeordnete, Vertreter_innen internationaler Unterstützungsorganisationen sowie mehrere Botschafter_innen über Videokonferenz miteinander.


"Es geht mir nicht mehr um mich", sagte Teodora Vázquez. "Ich stehe hier für die mehr als 25 Frauen, die so schnell wie möglich aus dem Gefängnis müssen." Vor knapp zwei Monaten erst wurde sie entlassen und sitzt bereits in Brüssel auf einem Podium des Europäischen Parlaments, "damit unsere Stimme ernst genommen wird, damit keine mehr lebendig begraben wird." Fast hätte Teodora nicht kommen können, weil Kanada das Transitvisum für den Flugumstieg verweigerte. Vorbestraft. Dann warf sich die Frauenorganisation Colectiva Feminista aus El Salvador ins Zeug, und es klappte gerade noch rechtzeitig am Vorabend des Abflugs.


"Wir sind keine Kindsmörderinnen"

Teodora ist genau zehn Jahre und sieben Monate in Haft gewesen. 2008 arbeitete die damals 23-jährige Schwangere in einer Universitätscafeteria, als ihr eines Tages schlecht wurde. Der angerufene Rettungsdienst kam nicht. Das Baby kam tot zur Welt, Teodora fiel in Ohnmacht. Als sie wieder aufwachte, befand sie sich in Handschellen auf der Polizeiwache. Ein Anwalt verlangte für die Verteidigung 700 Dollar, die die Familie zusammenkratzte, dann noch einmal 800 Dollar. Doch der Anwalt kam erst gar nicht zur Verhandlung. Der Richter nahm irgendeinen, der gerade vorbeikam, um die Verhandlung abhalten zu können. Das Urteil: "30 Jahre für erschwerten Mord".

Die Ankunft im Frauengefängnis Ilopango war die Hölle. Als Kindsmörderin behandelt, sprach sie monatelang mit niemandem. Aus Furcht. Als 2012 eine Frauengruppe ins Gefängnis kam, um mit den wegen Abtreibung oder Totgeburt Verurteilten zu reden und ihnen klar zu machen, dass sie keine Mörderinnen sind, gingen ihr die Augen auf: "Ich habe mich nie schuldig gefühlt", sagt sie. Aber jetzt merkte sie, dass sie mit ihrem Problem nicht allein war.

So wurde Teodora zu einer der "17 und mehr Frauen", für deren Freilassung eine weltweite Kampagne startete. Teodora gilt weiterhin als "schuldig". Vor knapp zwei Monaten wurde ihr unverhofft Haftverkürzung gewährt. Aber sie wurde nicht freigesprochen. Der Fall sorgte für viel Aufsehen. "Im Moment noch wollen mich alle interviewen. Das muss ich ausnutzen. Irgendwann interessiert sich niemand mehr für mich. Aber jetzt bin ich ihre Stimme. Wir sind keine Kindsmörderinnen."


"Das sind erzwungene Mutterschaften"

Teodora ist stark: "Ich war im Gefängnis, aber ich habe das Gefängnis nie in mich hineingelassen." Teodora hatte Glück. Eine der großen Ängste der Frauen im Knast ist, dass ihre Kinder ohne sie aufwachsen, verwahrlosen und sich einer der Maras, der kriminellen Banden, anschließen.

"Sie hat aber auch Glück, überhaupt noch zu leben", beginnt Victoria Ramírez, Gynäkologin in El Salvador ihr Statement. "Als 1998 das Gesetz geändert und Abtreibung in allen Fällen verboten wurde, wurden wir von einem auf den anderen Tag von Ärzt_innen, die zur Lebensrettung verpflichtet sind, zu potentiellen Beihelfer_innen zu Mord, die denunzieren müssen. Wir müssen heute tatenlos mitansehen, wie Frauen sterben." Nur 12,6% der Schwangeren sind erwachsen. Die anderen sind junge Mädchen, oft noch Kinder. "Wie sollen sie in ihrem Alter entscheiden können? Das sind erzwungene Mutterschaften." Ramírez verlangt vom salvadorianischen Parlament die Änderung des Gesetzes: "Um die Gesundheit der Frauen zu schützen, nicht um Geld zu machen." Geld werde in den Privatkliniken verdient, wo begüterte Frauen unbehelligt Abtreibungen vornehmen lassen. "Alle verurteilten Frauen haben eines gemeinsam: sie sind arm", sagt Bertha De León, eine Anwältin, die mit dem Colectiva Feminista zusammenarbeitet. Sie erinnert an Sandra, die als 18-Jährige nach einer Spontangeburt zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, obwohl der Fötus nur 16 Wochen alt und hirnlos war. Und an die 19-jährige Evelyn, die Schwangerschaftskomplikationen hatte. Das Kind starb. Die Unschuldsvermutung wiesen die Richter beweislos zurück.


"Es geht hier um Menschenrechte"

Wer für eine Änderung des Abtreibungsrechts in El Salvador eintritt, gilt sehr schnell als Rechtfertiger_in von Mörderinnen oder als Emissär_in internationaler Abtreibungskliniken. Das wissen auch die Vertreter_innen von Amnesty international, Christa Rahner-Göhring und Catalina Martínez vom Zentrum für Reproduktive Rechte. Sie können nur hoffen, dass ihre Petitionen mit bisweilen sechsstelligen Unterschriftenzahlen nicht nur die Betroffenen und die Unterstützer_innen gestärkt haben, sondern auch, dass sie politisch wirksam sind. Es gibt in El Salvador keine gesellschaftlichen Mehrheiten für eine Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs.

Dem Parlament liegen zwei Anträge auf Gesetzesänderung vor. Einer, von Lorena Peña von der linksgerichteten FMLN, listet vier Gründe für die Legalisierung von Abtreibung auf. Der zweite ist von Johnny Wright Sol von der rechten ARENA-Partei. Letzterer ist zusammen mit vielen anderen bei der Simultankonferenz in San Salvador zugeschaltet und spricht mit den Redner_innen in Brüssel. Er ist sich bewusst, dass sein Antrag nur ein erster Schritt ist. "Es geht hier um Menschenrechte. Mit dem jetzigen Gesetz schaffen wir kein abtreibungsfreies Land, sondern ein Land, in dem geheim und damit lebensgefährlich abgetrieben wird. Es geht darum, Menschenleben zu retten."

Doch Sol findet keine Mehrheit unter seinen ARENA-Parteikolleg_innen. Außerdem verzichtete er auf eine erneute Kandidatur und wird folglich im neuen Parlament nicht weiter für seinen Antrag kämpfen. Auch die FMLN sieht nach dem schlechten Wahlergebnis Anfang März keinen Handlungsspielraum und hält ihren Antrag zurück.


Zehn von 25.000

Bertha de León beklagt am Ende der Konferenz, dass sie als Anwältin nicht einmal Unterlagen zu den inhaftierten Frauen mitnehmen darf. Auf die Frage, wie viele Anwält_innen es in El Salvador gebe und wie viele sich um das Abtreibungsthema kümmerten, antwortet sie: etwa 25.000, davon verteidigten vielleicht zehn in Fällen von Abtreibung. Geld verdiene sie in ihrer Kanzlei mit anderen Streitfällen.

Miguel Zumalacárregui, Vertreter der Weltorganisation gegen Folter (OMCT), merkt an, dass seine Organisation dabei ist, das absolute Abtreibungsverbot als Folter zu klassifizieren. Damit dürfte El Salvador bei der nächsten periodischen UN-Menschenrechtsuntersuchung (UPR) am Pranger stehen. Eine Möglichkeit, um Druck auf das Parlament in El Salvador zu machen. Die Simultankonferenz brachte einige Ideen hervor, um die Situation für Frauen in El Salvador maßgeblich zu verbessern. Genügend Anregungen etwa für EU-finanzierte Projekte.


ZUR AUTORIN:
Gaby Küppers, promovierte Lateinamerikanistin, arbeitet als Referentin für Internationalen Handel und für Lateinamerika in der Fraktion der Grünen/EFSA im Europäischen Parlament in Brüssel und ist Mitglied der Redaktion der Monatszeitschrift ila (www.ila-web.de) in Bonn.

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 144, 2/2018, S. 22-23
Text: © 2018 by Frauensolidarität / Gaby Küppers
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2018

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