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FRAUEN/641: Acht Sekunden - Flucht und Olympia (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 136, 2/16

Acht Sekunden

Flucht und Olympia

von Claudia Dal-Bianco


Mit Ausdauer und Ehrgeiz treten die Sportler_innen an, um Ruhm und Ehre für ihr Land zu erlangen. Die Flaggen werden hochgehoben und die Nationalhymnen gespielt. Was passiert, wenn die Bedingungen im eigenen Land nicht gut genug sind, um dort bleiben zu können? Auch Sportler_innen sind vor Flucht nicht gefeit. Das zeigen die Biographien von Yusra Mardini und Samia Yusuf Omar.


Am Weg von der türkischen Küste nach Lesbos versagte der Motor des Schlauchbootes. Ungefähr 20 Menschen waren in das kleine Boot gequetscht. Yusura Mardini, ihre Schwester und ein Freund der Familie waren die einzigen Menschen an Bord, die schwimmen konnten. Yusra Mardini und ihre Schwester sprangen ins Wasser und zogen das Boot Richtung Griechenland. Kurz vor der Küste funktionierte der Motor doch wieder, und alle flüchtenden Menschen kamen an der griechischen Küste an. Was eine 45-minütige Fahrt sein sollte, wurde eine dreieinhalbstündige Horrortour.

Die 18-jährige Yusra Mardini schaffte es schlussendlich von Syrien bis nach Deutschland. In Berlin angekommen, trainiert sie nun im Schwimmteam, um bei den Refugee Olympic Athletes (ROA) dabei zu sein.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) der Olympischen Spiele 2016 hat beschlossen, dass dieses Jahr auch ein Flüchtlingsteam an den Spielen in Rio de Janeiro mitkämpfen soll. Es wird das Team ROA sein und soll unter der Flagge des IOC starten. Die Athlet_innen sollen unter denselben Bedingungen wie alle anderen teilnehmen können.

Um wirklich nach Rio fahren zu können, muss Yusra Mardini noch trainieren und ihre Zeit um acht Sekunden verbessern. Nichtsdestotrotz ist es ihr Langzeitziel, bei den Olympischen Spielen in Tokyo 2020 teilzunehmen.


Ort- und Zeitwechsel

Acht Jahre zuvor - bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 - trat die damals 17-jährige Somalierin Samia Yusuf Omar beim 200-Meter-Lauf an. Auch wenn sie die letzte Athletin war, die ans Ziel kam, war ihr Auftritt beeindruckend. In einem legeren weißen T-Shirt, mit lockeren Shorts lief sie und kam circa acht Sekunden nach ihren Konkurrentinnen ins Ziel und bekam stehenden Applaus. In Interviews beschreibt sie, dass das einer der schönsten Momente in ihrem Leben war und dass sie gegen den Hass in ihrem Land läuft [1]. Nach den Spielen wieder in Mogadischu angekommen, hieß es für sie weiter trainieren, mit dem Ziel, 2012 bei den Olympischen Spielen in London teilzunehmen. Samia Yusuf Omar musste sich schon den Start in Peking gegen den Widerstand muslimischer Kräfte in Somalia erkämpfen - sie konnte nur unter widrigen Umständen trainieren. Belästigungen und Schikanen durch Miliztruppen standen an der Tagesordnung. So beschloss sie Ende 2010, nach Addis Abeba, Äthiopien, zu gehen. Die Hoffnung, dort regelmäßig und unter sicheren Bedingungen trainieren zu können, erfüllte sich nicht. Nachdem sie keine Papiere der somalischen Botschaft erhalten hatte, konnte sie nicht beim äthiopischen Leichtathletikverband mittrainieren. Also entschloss sie sich, nach Europa zu gehen, um dort für Olympia zu trainieren. Ihre Familie sammelte Geld, um die Reise zu bezahlen. Sie schaffte es auf dem Landweg über den Sudan bis nach Libyen. Dort stieg sie in ein Schlauchboot, um über das Mittelmeer nach Malta zu gelangen. Im April 2012 wurde bekannt, dass sie nie in Europa angekommen war.


Anmerkung:
[1] Nach dem Sturz von Mohammed Siad Barre 1991 dauerte der Bürgerkrieg in Somalia noch lange an, und es kam 20 Jahre lang zu keiner funktionierenden Regierung. Auch die ab 2000 gegründete Übergangsregierung konnte das Land nicht unter Kontrolle bekommen. Viele Teile des Landes gerieten in die Hände von radikalen Gruppen.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 136, 2/2016, S. 18
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2016

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