Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAUEN/592: Lateinamerika - Erster Gipfel der Führerinnen afrikanischer Herkunft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2015

Lateinamerika: Schwarze Frauen starten Jahrzehnt zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung

von José Adán Silva


Bild: © José Adán Silva/IPS

Delegierte des Ersten Gipfels der Führerinnen afrikanischer Herkunft
Bild: © José Adán Silva/IPS

MANAGUA (IPS) - Schwarzenführerinnen aus 22 lateinamerikanischen Ländern haben auf einem Treffen in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua den Aufbau einer politischen Plattform beschlossen, die ihnen innerhalb einer Dekade zu regionaler Einflussnahme, Mitsprache und der Überwindung von Diskriminierung und Rassismus verhelfen soll.

"Wir sind es leid, nach Jahrhunderten der Vernachlässigung und Ausgrenzung auf Gerechtigkeit zu warten", hieß es auf dem Treffen der Aktivistinnen vom 26. bis 28. Juni in Managua. "Wir werden mit aller Kraft dafür kämpfen, die Ketten des Rassismus und der Gewalt zu sprengen."

Wie die Kolumbianerin Shary García zum Abschluss des sogenannten 'Ersten Gipfeltreffens der Führerinnen afrikanischer Herkunft der Amerikas' gegenüber IPS erklärte, enthalte die Abschlusserklärung 17 Forderungen und Vorschläge zur Beendigung der Diskriminierung schwarzer Frauen, die in Lateinamerika als Mischung aus rassistischer und geschlechtlicher Diskriminierung in Erscheinung trete.


Forderungskatalog

"Es war nicht ganz einfach, die Forderungen von 270 Frauen und deren Familien, die ein Leben lang Diskriminierung, Gewalt und die Verweigerung ihrer Rechte erfahren haben, auf 17 Punkte herunterzubrechen", meinte García. "Doch sind wir uns alle, die wir hier zusammengekommen sind, einig, dass wir den Grundstein für ein Ende der historischen Benachteiligung gelegt haben."

Wie Altagracia Balcácer aus der Dominikanischen Republik erläuterte, geht es bei den Forderungen und Vorschlägen um übergreifende Konzepte zur Bekämpfung des Rassismus, für ein würdiges Leben und politische Maßnahmen zur Überwindung der Armut sowie für das Recht, die eigene Zukunft zu gestalten und die reproduktiven und sexuellen Rechte wahrzunehmen.

"Wir wollen, dass die Gewalt gegenüber schwarzen Frauen ein Ende nimmt, dass die schwarzafrikanische Bevölkerung in den Volkszählungen und Statistiken der einzelnen lateinamerikanischen Länder sichtbar wird und schwarzen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen besondere Entwicklungschancen gewährt werden", fügte sie hinzu. Auch müssten die schwarzen Bevölkerungsgruppen einen besseren Zugang zu Recht und Gerechtigkeit erhalten sowie die Sicherheit schwarzer Frauen und ihrer Gemeinschaften gewährleistet werden.

Ebenso habe man Forderungen nach einem Schutz der Umwelt, dem Zugang zu den natürlichen Ressourcen, Sicherheitsgarantien und Ernährungssouveränität im Abschlusspapier verankert sowie einen menschenwürdigen Umgang mit Migranten, die Anerkennung und den Schutz des kulturellen Erbes und den Respekt und die Bereitschaft der Medien, sich für ein Ende der Stigmatisierung der schwarzen Bevölkerung zu engagieren.

Dorotea Wilson, Generalkoordinatorin des Netzwerks der afrolateinamerikanischen und afrokaribischen Frauen und schwarzer Frauen in der Diaspora (RMAAD), erläuterte gegenüber IPS, dass die Plattform nicht die Anerkennung von Rechten einfordere, sondern die Durchsetzung existierender Übereinkünfte, Gesetze und internationaler Abkommen, die seit der Weltkonferenz gegen Rassismus in der südafrikanischen Stadt Durban 2001 in Kraft getreten seien.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von RMAAD

Dorotea Wilson aus Nicaragua, Leiterin des Afrolateinamerikanerinnen- Netzwerks RMAAD
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von RMAAD

"Das Abschlusspapier von Managua ist keine Absichtserklärung. Vielmehr verlangen wir die Umsetzung der in den lateinamerikanischen Ländern vorhandenen Bestimmungen, damit die schwarzen Bevölkerungsgruppen auf dem amerikanischen Kontinent endlich Anerkennung erfahren und ihren Platz in der Gesellschaft des amerikanischen Kontinents einnehmen können."

Wie die Leiterin von RMAAD, einer Organisation, die in 24 Ländern aktiv ist, erklärte, soll die Plattform die Umsetzung der im Internationalen Jahr für Menschen afrikanischer Herkunft anvisierten Rechte ermöglichen.

Die UN hatte im Januar den Zeitraum 2015 bis 2024 zur Internationalen Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft erklärt, damit ein Beitrag zum Schutz der Rechte der Menschen afrikanischer Herkunft geleistet und ihr reiches kulturelles Erbe anerkannt wird. Den UN zufolge leben auf dem amerikanischen Kontinent 200 Millionen Menschen, die sich als Nachfahren von Afrikanern begreifen.


"Wir sind unsichtbar"

Wilson erläuterte, dass die Afrolateinamerikanerinnen die Zeit bis zum Ende der Dekade nutzen würden, um gegen die Armut der schwarzen Bevölkerungsgruppen in deren Ländern vorzugehen. Außerdem werde man zuverlässige Zahlen und solide Indikatoren zur Realität der afroamerikanischen Bevölkerung der Region zusammentragen. "Bisher ist es so, dass wir in den Statistiken gar nicht in Erscheinung treten", so die Aktivistin. "Wir sind unsichtbar."

Auf dem Gipfel der Afroamerikanerinnen wurde auch beschlossen, dass in jedem Land des amerikanischen Kontinents eine Stelle zur Beobachtung der Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele eingesetzt wird. Unterstützung kommt von den UN-Agenturen, europäischen Geberländern, Nichtregierungsorganisationen sowie Menschen- und Frauenrechtlern. Außerdem wollen die Frauen dafür sorgen, dass ihre Forderungen von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aufgegriffen werden.

Wilson zufolge steckt dahinter das Bestreben, die Länder der Region dazu zu bewegen, die Menschen afrikanischer Herkunft durch konkrete Gesetze und Bestimmungen zur Wahrnehmung ihrer Rechte zu befähigen. Die Erfolge sollen auf der nächsten Konferenz in fünf Jahren diskutiert werden.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von RMAAD

Am 26. Juni wurde der erste Gipfel der Führerinnen afrikanischer Herkunft der Amerikas eröffnet
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von RMAAD

Die Teilnehmerinnen des Treffens waren sich einig, dass Polizeigewalt und andere Übergriffe gegen Schwarze vor allem in den USA und in Brasilien zunehmen. "Es sind zwar meist die Hassverbrechen in den USA, die für internationale Schlagzeilen sorgen. Doch kommt es auch in Lateinamerika zu rassistisch motivierten Morden. Bloß erfahren sie aufgrund der Tatsache, dass Lateinamerikaner afrikanischer Herkunft unsichtbar sind, nicht die gleiche öffentliche Aufmerksamkeit."

Die Brasilianerin Nilza Iriaci erklärte auf einer Podiumsdiskussion über die Menschenrechte im Rahmen des 'Gipfeltreffens', dass solche Verbrechen in ihrem Land jeden Tag geschähen, ohne dass sie skandalisiert würden. Brasilien ist in der Region das Land mit dem höchsten Anteil schwarzer Menschen an der Bevölkerung.

Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) hatte in einer Untersuchung von 2010 über die schwarze Bevölkerung Lateinamerikas herausgefunden, dass trotz der Existenz neuer rechtlicher Rahmenwerke und Institutionen zum Schutz der Rechte der Menschen afrikanischer Herkunft die Mehrheit der Schwarzen in Armut lebt und diskriminiert wird. Die Studie wurde vor zwei Jahren aktualisiert.


Kaum Erfolge

Dazu meinte Vicenta Camusso, eine Vertreterin schwarzer Frauen in Uruguay: "Es ist immer dasselbe. Mit Blick auf die Wahrnehmung unserer Rechte und Möglichkeiten, der Armut zu entfliehen, hat sich kaum etwas geändert." Sie beklagte das Fehlen von Etats zur Finanzierung von Anti-Diskriminierungsmaßnahmen. Dies erkläre zum Teil, warum die meisten schwarzen Frauen im Vergleich zu den Frauen anderer Bevölkerungsgruppen unter noch miserableren Lebensbedingungen leben müssten. "Und junge Schwarze machen die gleichen Erfahrungen wie die älteren Generationen vor ihnen."

14 Jahre nach der Durban-Konferenz lebten mehr als 80 Prozent der Schwarzen Lateinamerikas in Armut und sozialer Ungleichheit. Aufgrund ethnisch-rassistischer Gründe seien die Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen, gering, so Camusso. "Und bis heute warten wir auf die Einlösung der damals gemachten Versprechen, Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, ethnische Konflikte und Gewalt auszumerzen." (Ende/IPS/kb/01.07.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/06/mujeres-negras-de-america-lanzan-decada-de-lucha/
http://www.ipsnews.net/2015/06/black-women-in-the-americas-launch-decade-of-struggle/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang