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FRAUEN/576: Lateinamerika - Kleinbäuerinnen auf der Suche nach eigenen Lebenskonzepten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. April 2015

Lateinamerika: Feminismus als Ausdruck von Solidarität - Kleinbäuerinnen auf der Suche nach eigenen Lebenskonzepten

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Teilnehmerinnen der Fünften Kontinentalen Versammlung der Landfrauen im argentinischen Ezeiza
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Ezeiza, Argentinien, 16. April (IPS) - Lateinamerikanische Kleinbäuerinnen haben auf einem Forum in Argentinien über einen eigenen 'ländlichen Feminismus' diskutiert, der Männer und Frauen im Kampf um ihre Landrechte zu Verbündeten zusammenschweißt.

Gregoria Chávez stammt aus der nordwestargentinischen Provinz Santiago del Estero. Wie sie auf der Fünften Kontinentalen Begegnung der Frauen am 14. April in Ezeiza im Großraum Buenos Aires erklärte, beinhaltet der Feminismus die Unterstützung der Männer bei der Verteidigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft.

Noch bis vor kurzem habe sie mit dem Begriff wenig anfangen können, räumte sie ein. Das sei anders geworden, seit sie sich den vielen Bäuerinnen der Region angeschlossen habe, um sich gegen das Vorrücken von Soja-Monokulturen und die Vertreibung der kleinbäuerlichen Produzenten zu wehren.

"Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Frauen in den ländlichen Regionen auch aufgrund unseres großen Mutes wichtig sind. Ich sage meinen Mitstreiterinnen immer wieder, dass wir ohne Mut nichts erreichen werden", erklärte sie auf dem Treffen, das in den VI. Kongress der Koordinationsstelle der Landorganisationen-Via Campesina vom 10 bis 17. April eingebettet war, an dem 400 Vertreter kleinbäuerlicher, ländlicher, Schwarzen- und indigener Organisationen aus 18 lateinamerikanischen und karibischen Staaten teilnehmen.

Auch wenn die Teilnehmerinnen offensichtlich Schwierigkeiten hatten, den Begriff 'Feminismus' zu definieren, waren sie sich einig, dass er mehr als ein Rezept für Geschlechtergleichheit ist.


"Sich Zeit für einen Konsens nehmen"

Vom Begriff Feminismus gehe für viele Bäuerinnen eine abschreckende Wirkung aus, weil darunter der Kampf zwischen Frauen und Männern verstanden wird, sagte Rilma Román, Vertreterin der Nationalen Kubanischen Vereinigung der Kleinbauern und Mitglied der Koordinationsstelle der internationalen Bauernorganisation 'La Via Campesina', einer globalen Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern, die zur Hälfte aus Frauen besteht. "Das Konzept ist uns noch fremd, und ich denke, dass wir uns die Zeit nehmen sollten, um es zu erklären und zu einem Konsens zu kommen."

So gelte es unter anderem Fragen der sexuellen Vielfalt zu klären. "Es war lange fast unmöglich, dass sich Menschen in den kleinbäuerlichen Gesellschaften als Transvestiten outen konnten", berichtete sie. "Das zwang und zwingt auch heute noch sehr viele dazu, ihre sexuelle Identität zu unterdrücken", erläuterte Deolinda Carrizo. "Es ist Zeit, den Horizont zu erweitern."

Die Fünfte Versammlung der Kleinbäuerinnen würdigte den "historischen Beitrag, den der Feminismus als Teil eines Konzeptes zur Abgrenzung vom Kapitalismus geleistet hat". Nach Ansicht von Carrizo ist der Kapitalismus das Übel, das zur Ausbeutung der Menschen im Allgemeinen und der Frauen im Besonderen geführt hat.

Die Forumsteilnehmerinnen setzten den Feminismus, verstanden als Waffe gegen die Ausgrenzung von Männern und Frauen, in Bezug zu Fragen der Landreform, des Kampfes gegen transnationale Agrarkonzerne, der Land- und Wasserkonzentration, der Agroindustrie und des Bergbaus in großem Stil.

Wie Marina dos Santos von der brasilianischen Landlosenbewegung erklärte, sind Kleinbäuerinnen besonders marginalisiert. "In Brasilien kommt es inzwischen zur Schließung ländlicher Schulen. An den Gesundheitszentren, wenn überhaupt vorhanden, fehlt es an Ärzten, Pflegekräften und Medikamenten. Viele Schwangere müssen sterben, weil es keine Transportmittel gibt, die sie in ein Krankenhaus bringen könnten", führte sie als Beispiele für deren Benachteiligung auf.

Nach Angaben der UN-Agrarorganisation FAO leben 58 Millionen Frauen in den ländlichen Gebieten Lateinamerikas und leisten einen entscheidenden Beitrag zur Ernährungssicherheit, dem Schutz der Artenvielfalt und der Produktion gesunder Nahrungsmittel aus der Region. Doch obwohl sie die Hälfte der Nahrungsmittel produzierten, seien sie sozial, politisch und wirtschaftlich benachteiligt.


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Drei Generationen von Landarbeiterinnen in San Gerónimo in der nordwestargentinischen Provinz Santiago del Estero
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Gerade einmal 40 Prozent aller Lateinamerikanerinnen über 15 Jahre verfügen nach FAO-Angaben über eigene Einkommen, nur 30 Prozent über Landtitel. Gerade einmal zehn Prozent haben Zugang zu Krediten und fünf Prozent zu technischer Hilfe. "Und das, obwohl die Frauen die meiste Arbeit leisten. Sie werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet", kritisierte Santos. "Und wenn im Zuge der Landflucht die Männer außerhalb arbeiten, sind es wir Frauen, die am Ende die Familie ernähren."

Die Landbesitzverhältnisse müssten den neuen Gegebenheiten angepasst werden, forderte Luzdari Molina von der Kolumbianischen Gewerkschaft der Land- und Viehwirte. "Land wird in aller Regel den Männern zugewiesen. Und weil wir Frauen uns auch noch um den Haushalt kümmern müssen, ist es in meinem Land Kolumbien um unsere Bildung schlecht bestellt."

Das, was Landfrauen leisteten, werde nicht als Arbeit anerkannt. "In Boyacá, dem kolumbianischen Departement, in dem ich lebe, stehen wir um drei Uhr morgens auf, um die Kühe zu melken, das Haus in Ordnung zu bringen, das Frühstück vorzubereiten und in der Landwirtschaft zu arbeiten", so Molina. "Die Tage vergehen im Flug."


"Hüterinnen des Saatgutes"

Carrizo wies auf eine weitere wichtige Rolle der lateinamerikanischen Landfrauen hin: Sie seien die "Hüterinnen des Saatgutes". Sie erlebten die Versuche, das Saatgut zu privatisieren, als Akt der Gewalt. "Den Einsatz von Pestiziden nehmen wir als Anschlag auf die Gesundheit unserer Söhne und Töchter wahr, denn sie führen zu Fehlgeburten, Missbildungen und einer hohen Konzentration dieser Giftstoffe in der Muttermilch."

"Manchmal nehmen wir den Feminismus als Waffe gegen den Machismus in den Mund", fügte sie hinzu. "doch sollten wir uns davon lösen und ihn als Ausdruck der Solidarität unserer Frauen und Männern als Verbündete im Kampf um unsere Landrechte begreifen." (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2015/04/campesinas-latinoamericanas-abren-surcos-de-un-feminismo-propio/

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IPS-Tagesdienst vom 16. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2015

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